Borussia Mönchengladbach 2012 hat es schon mal geklappt

Mönchengladbach · Lucien Favre rannte. Und rannte. Und rannte. Quer über den Rasen des Leverkusener Stadions, von seiner Trainerbank hinüber zur Eckfahne, wo seine Spieler jubelten. Favre fand schließlich Igor de Camargo und sprang dem Stürmer in die Arme, dann feierte der Schweizer ausgelassen mit all den freudentrunkenen Borussen. Favre, der sonst sehr reserviert ist im Erfolg, ließ an diesem Tag, es war der 17. März 2012, seinen Emotionen freien Lauf, er kehrte in diesem Moment sein Seelenleben nach außen wie nie zuvor und auch danach als Trainer von Borussia Mönchengladbach. Favre wusste in jener Sekunde, dass sein Team auf bestem Wege war, Großes zu schaffen, und das nur ein Jahr, nachdem er diese Mannschaft vor dem Sturz in die Zweite Liga gerettet hatte.

 Der Sprint ins Glück: Lucien Favre 2012

Der Sprint ins Glück: Lucien Favre 2012

Foto: dpa, Marius Becker

Sekunden vor Favres Sprint hatte Igor de Camargo den Ball ins Tor von Bayer getreten, zwei Minuten vor dem Abpfiff war dies der 2:1-Siegtreffer im Duell der beiden rheinischen Klubs. Mit diesem Sieg, der den tabellarischen Vorsprung auf Bayer auf elf Punkte anwachsen ließ, war klar: Borussia wird in der neuen Saison international spielen. Es waren noch acht Spiele übrig, doch Favres Jubel zeigte, dass er spürte, sein Team würde es sich nicht mehr nehmen lassen: 16 Jahre nach der letzten Europa-Tour würde der Klub wieder dabei sein auf der internationalen Bühne.

Leverkusen verlor ein Spiel, in dem es eigentlich aufholen wollte. Bayer wollte den Borussen noch einmal auf die Pelle rücken. Es war also ein gefühltes Finale. Wie heute, am 9. Mai 2015. Wieder kann Borussia, die mit einem Vorsprung in die Partie im Borussia-Park geht, einen großen Schritt tun, was das Ansinnen angeht, Dritter zu werden am den heutigen Tag.

Es ist wieder ein Tag, an dem Geschichte geschrieben werden kann, ein Tag, an dem unauslöschliche Helden geboren werden können, wie damals, 2012. Saisonende. Setzt sie sich durch, winkt ohne Umweg die erste Teilnahme an der Gruppenphase der Champions League. Der 17. März 2012 kann als Vorlage dienen für den heutigen Tag. Es ist wieder ein Tag, an dem Geschichte geschrieben werden kann, ein Tag, an dem unauslöschliche Helden geboren werden können, wie damals, 2012.

Die Geschichte jenes 2:1-Sieges ist auch die von Igor de Camargo. Der Brasilianer mit belgischem Pass hatte ein unfassbares Gespür für wichtige Tore. In der Relegations- Saison schoss er zunächst den 1:0-Sieg in Frankfurt heraus, der Borussia am Leben hielt im Abstiegskampf und die Eintracht, die letztlich abstieg, ins Trudeln kommen ließ. Dann erzielte er eines der wichtigsten Tore der Vereinsgeschichte: Das 1:0-Siegtor im ersten Relegationsspiel gegen den VfL Bochum.

Dieser Moment war ein endgültiges Erweckungserlebnis für die Mannschaft und den Klub. Im ersten Spiel der Saison nach der Rettung köpfelte de Camargo dann das Tor, das den zweiten Sieg beim FC Bayern überhaupt brachte. Dieser war, so sagte Lucien Favre später, die Initialzündung des Höhenflugs, der letztlich auf den vierten Rang führte, auch, weil de Camargo in Leverkusen traf. Er hatte den Abstieg verhindert und nun das Ticket für den Europapokal gelöst. Seine Tore waren für Borussia, geschätzt, rund 20 Millionen Euro wert.

Spieler wie de Camargo, einen Mann für den entscheidenden Moment, braucht es in Angelegenheiten mit Final-Charakter. Damals in Leverkusen, wo sie sich so oft schwer getan hat, konnte Borussia das Finale. Danach nicht mehr. Das Pokalhalbfinale nur wenige Tage später ging im Elfmeterschießen gegen die Bayern verloren. In den Play-offs zur Champions League in der folgenden Saison waren die Gladbacher dann im ersten Treffen mit Dynamo Kiew zu grün und verloren 1:3. Und als es am 32. Spieltag darum ging, sich gegen den FC Schalke 04 durchzusetzen, um die Chance auf den erneuten Einzug ins internationale Geschäft zu wahren, verloren sie 0:1. Am letzten Spieltag der Spielzeit 2013/14, als mit einem Sieg in Wolfsburg mindestens Platz fünf drin gewesen wäre, gab es ein 1:3. Und jetzt, im Februar gegen den FC Sevilla, schied Borussia in der Zwischenrunde der Europa League aus.

Borussia - Bayer: Mann gegen Mann
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Sie war in beiden Spielen auf Augenhöhe mit dem Champion des Vorjahres, doch der war abgezockter vor dem Tor. Auch im Viertelfinale des DFB-Pokals gab es zu wenig Tore und das Ende des Traums vom Endspiel in Berlin. Doch Pokal und Europapokal sind nicht die Bundesliga. In der haben die Borussen in der Rückrunde schon gezeigt, dass sie Big Points machen können. In München natürlich, wo sie beim 2:0 unfassbar abgeklärt spielten und den Champion taktisch und spielerisch aushebelten. Es war eines der Meisterstücke Favres — und die Seinen brauchten drei Chancen für zwei Tore. Es war ein großer Sieg. Im Derby gegen den defensivstarken 1. FC Köln blieb Gladbach bis in die Nachspielzeit beharrlich und wurde belohnt, weil Granit Xhaka per Kopf zum 1:0 traf.

Gegen Wolfsburg gab es ebenfalls einen Last-Minute-Sieg durch den Treffer von Max Kruse. Das vermeintlich übergroße Restprogramm hat Borussia nicht beeindruckt, gegen den Ersten und den Zweiten gab es sechs Punkte und kein Gegentor. Leverkusens Hoffnung, Gladbach könnte in diesen Spielen Niederlagen kassieren und zurückfallen, erfüllte sich nicht. Borussia kann es also gegen die Schwergewichte der Liga, zu denen sie nun selbst zählt. 2012 waren der Sieg in Leverkusen und seine Konsequenzen ebenso sensationell wie Lucien Favres Jubellauf.

Borussia war in der Saison 2011/2012 das Überraschungsteam: Der Fast-Absteiger, der in die Champions-League- Qualifikation stürmte. Auch 2015 hat sie die Liga verblüfft mit ihrer großen Konstanz. In der vergangenen Saison war sie auch nach 17 Spielen Dritter, dann kam ein Knick. Jetzt hat Favres Ensemble die Sache durchgezogen. Die Qualität ist eine ganz andere als vor drei Jahren. Die Borussen sind reifer und erwachsener geworden.

Sie sind bereit für das nächste gefühlte Finale gegen Bayer. Die rheinischen Rivalen begegnen sich auf Augenhöhe. Und Gladbach hat genug Spieler im Team, die der neue Igor de Camargo werden können. Heute bringt jeder Treffer die Gladbacher den prall gefüllten Fleischtöpfen der Champions League näher. Das Motto: Borussia, mach's wie 2012

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