Borussia Mönchengladbach Bayern-Schreck Raffael und sein Urvater Hidegkuti

Mönchengladbach · Raffael ist ein Prototyp. Lucien Favre hat ihn als solchen erfunden – doch hatte er ein Vorbild, nach dem er den damals 18-jährigen Brasilianer beim FC Zürich geformt hat: Nandór Hidegkuti.

Borussia Mönchengladbach: Raffael trifft gegen FC Bayern München
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Neuer patzt bei Raffaels 1:0 in München

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Raffael ist ein Prototyp. Lucien Favre hat ihn als solchen erfunden — doch hatte er ein Vorbild, nach dem er den damals 18-jährigen Brasilianer beim FC Zürich geformt hat: Nandór Hidegkuti.

Der Ungar ist der Urvater der Neuneinhalb. Übersetzt bedeutet dieses Zahlen-Gefummel: hängende Spitze. Diese ist Initiator und Vollstrecker zugleich, der Tätigkeitsbereich ist nicht nur der Strafraum, sondern viel mehr: Bälle holen, Bälle verteilen, dem Spiel Tiefe geben, Chancen einleiten, Tore machen. Raffael kann all das in Reinkultur, Favre hat ihn darin geschult, erst in Zürich, dann in Berlin und schließlich bei Borussia.

Manuel Neuer und seine Patzer gegen Borussia Mönchengladbach
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Neuers Patzer gegen Gladbach

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Und der Raffael, den Favre geformt hat, der war in der vergangenen Saison das Schreckgespenst des FC Bayern: Beim 2:0-Sieg der Borussen in der Münchner Allianz-Arena, der ein taktisches Meisterstück Favres und seiner Mannschaft war und ein Meilenstein auf dem Weg in die Champions League, schoss er beide Tore.

Doch schweifen wir ab und tauchen ein in die Geschichte, schauen wir auf den Mann, der einen Spielertypen wie Raffael erst möglich machte: Hidegkuti eben. Er gehörte zu jener großartigen ungarischen Mannschaft, die in den 50er Jahren den Fußball quasi neu erfand und vier Jahre lang unbesiegt blieb. Ferenc Puskas war der Berühmteste des Teams, Hidegkuti indes, das sagte Bundestrainer Sepp Herberger vor dem WM-Finale 1954, war der wichtigste Mann der Magyaren: als zurückhängender Mittelstürmer.

"Er war perfekt in dieser Rolle, wartete im vorderen Mittelfeld ab, spielte tödliche Pässe, riss die Abwehr mit seinen fantastischen Läufen auseinander und traf auch selbst", sagte Puskas. Die Ungarn spielten, als der Fußball noch starr war, beweglich, sie deckten im Raum, ihr Angriffsspiel war variabel. Das verwirrte die Konkurrenz. 6:3 siegte Ungarn 1953 in England, das nie zuvor gegen ein Team vom Kontinent daheim verloren hatte. Englands zentraler Verteidiger Harry Johnston wusste während des gesamten Spiels nicht, was er tun sollte. Die Briten deckten wie damals üblich nach Nummern, und er, die 5 (Johnston) war eigentlich für des Gegners 9 (Hidegkuti) zuständig. Die aber trieb sich sonstwo herum. Und Johnston wollte seine Position nicht aufgeben. "Ich hatte niemanden zu decken", sagte er. Der Niemand schoss drei Tore - Hidegkuti entschied das Spiel. "Die Entwicklung des zurückhängenden Mittelstürmers war unser Meisterstück", sagte Puskas.

Doch das Meisterstück fand seinen Meister: Sepp Herberger. "Ich weiß, wie es geht", sagte der deutsche Nationaltrainer schon 1953. Er setzte ein Jahr später im WM-Finale seinen Außenläufer Horst Eckel auf Hidegkuti an. Der Ungar blieb wirkungslos, Deutschland wurde Weltmeister.

Borussia Mönchengladbach: Raffael vollendet starken Angriff zum 2:0 beim FC Bayern München
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Raffael vollendet starken Angriff zum 2:0 in München

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Das zeigt: Für jede Taktik gibt es eine Gegentaktik. Womit wir wieder bei Raffael sind. Denn genau das ist auch der Weg zum Ziel gegen den FC Bayern. Dafür ist Trainer André Schubert zuständig. Raffael gehört zu denen, die der Theorie auf dem Rasen Leben einhauchen und sie verkörpern.

Raffael tut das mit Spaß am Spiel. Er ist Brasilianer, und hat von daher eine besondere Beziehung zum Ball. Er ist verliebt in das Spielgerät — wie alle seine Landsleute. Und daher ist er auch ein Fan des FC Bayern. Oder besser: ein Fan des Fußballs, den der FC Bayern unter Pep Guardiola spielt. Erklärt ist das schnell: Raffael mag schönen Fußball, und die Bayern spielen schönen Fußball. "Die Bayern sind seit vier, fünf Jahren die beste Mannschaft in Deutschland, ich schaue mit gern ihre Spiele an", gesteht Raffael.

Dass er auch zum deutschen Branchenführer passen würde, war ein Thema, nachdem er die Bayern mit seinen Toren düpiert hat: Er war ein Thema in München. Einer, der spielt wie Raffael, der ist immer interessant für einen Trainer wie Guardiola. Der jedoch suchte im Sommer keinen Erben Hidegkutis, sondern einen, der ist wie Garrincha, Brasiliens Idealtyp des Außenstürmers, der 1958 und 1962 Weltmeister wurde. Die Bayern wurden in Donezk fündig: Von Schachtar holten sie Douglas Costa.

Und eben dieser Costa ist der Bayern-Star, mit dem Gladbachs "Raffa" am liebsten mal gemeinsame Sache machen würde. "Ich kenne ihn schon aus Brasilien, er ist ein toller Spieler, mit ihm würde ich gern mal zusammenspielen", sagt Raffael. Ja, man kann sich das gut vorstellen: der wieselflinke Costa auf dem Flügel, der Ball-Verteiler-Eroberer-Verwerter Raffael in der Mitte — so wie früher mit Garrincha und Pelé bei der großen Mannschaft Brasiliens: Garrincha, der "kleine Vogel", stürmte auf dem rechten Flügel, Pelé zauberte als zurückhängender Stürmer aus der Tiefe. Es ist ein großer Vergleich und einer, der sich für jüngere brasilianische Fußballgenerationen eigentlich verbietet, weil es einer Blasphemie gleichkommt, sich mit Pelé oder auch Garrincha zu vergleichen.

Doch Raffael und Costa könnten diesem Vergleich angesichts ihrer Könnerschaft wohl durchaus standhalten und ein modernes Pendant zu den Granden der Vergangenheit sein, wenn sie in einem Team vereinigt wären. Aber wir wollen nicht aus ästhetischer Eigensucht begehren, was es nicht gibt. Raffael ist Borusse, Costa spielt für die Bayern. Im Spiel in Gladbach fällt Letzterer wegen einer Verletzung aus.

Raffael will wiederholen, was er in der vergangenen Saison getan hat: Er will die Bayern abschießen. Denn Raffael ist nicht irgendwer. Er ist einer von drei Spielern, die in der vergangenen Saison doppelt gegen die Bayern trafen. Kevin de Bruyne und Bas Dost taten das ebenfalls, beide für den VfL Wolfsburg, als dieser die Bayern 4:1 schlug. Mit seinen Toren sorgte der Borusse zudem für eine von zwei Heimniederlagen der Bayern. Je weniger Negativerfahrungen es gibt, desto besser prägen sie sich ein. "Es wird ein schweres Spiel gegen die Bayern. Aber es ist möglich, gegen sie zu punkten, das haben wir schon öfter bewiesen. Ich hoffe natürlich, dass die Bayern noch ein wenig Angst vor mir haben", sagt der Gladbacher. Angst haben die Bayern vielleicht nicht. Aber Respekt ganz sicher.

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