Borussia Mönchengladbach Borussias Nische für die Zukunft

Mönchengladbach · Jeder Bundesligist ist bestrebt, sich sein Image zu schaffen. Dieses ganz bestimmte, einzigartige Eigenbild, das ihn vom Rest unterscheidet, das in der Öffentlichkeit positiv besetzt ist. Eins, das Identifikation schafft. Eins, das sich vermarkten lässt.Borussia macht in diesem Bestreben selbstverständlich keine Ausnahme. Am Niederrhein hegt und pflegt man mit Hingabe das Bild der Fohlenelf aus den glorreichen 70ern.

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Der Blick zurück sei ein stolzer, heißt es nicht nur im Fanlied. Doch während ein charmantes Image wie das der Fohlenelf dazu taugt, Jahrzehnte zu überdauern, ist die Halbwertszeit einer zum Verein passenden Nische begrenzt — wenn man nicht gerade Bayern München heißt und weiß, dass man auch noch in zehn und 20 Jahren der Rekordmeister sein wird und in jede Spielzeit aufs Neue als Topfavorit geht. Ansonsten verändert sich eine Nische.

Borussia Dortmund war nicht immer der große Gegenspieler der Münchner. Das war lange Werder Bremen, doch die Hanseaten finden sich nun in der nicht ganz freiwillig gewählten Nische der bescheidenen Konsolidierung wieder, die es gilt, den Anhängern irgendwie schmackhaft zu machen. Nischen müssen nicht immer besonders attraktiv sein. Das spüren Vereine immer dann, wenn sie ihr spezielles Bild in der Fußball-Öffentlichkeit nur begrenzt steuern können. Der 1. FC Nürnberg reißt sich nicht darum, eine Fahrstuhlmannschaft zu sein, und Bayer Leverkusen ist als Vizekusen auch nicht wirklich glücklich.

Image des Provinzklubs

Borussia kann von all dem ein Lied singen. Auf die sympathische Nische der blutjungen Fohlenelf, die mit Talenten aus der Region attraktiven, modernen Fußball spielte und die Großen in den 70ern nur allzu erfolgreich ärgerte, folgte eine Nische, in die sich die Borussen eher zähneknirschend fügen mussten: die Rolle des abgehängten Provinzklubs. Des Vereins, der mit der wachsenden Wirtschaftskraft und angeworfenen Vermarktungsmaschinerie des einst großen Kontrahenten Bayern schlichtweg nicht mithalten konnte.

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Über die Jahre sortierte sich Gladbach analog zu seiner Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft unter den Bundesligisten ein. Eigentlich erst mit dem Umzug in den Borussia-Park 2004 begann auf betriebswirtschaftlichem Sektor die große Aufholjagd. Doch da war man längst in eine noch viel ärgere Nische abgedriftet: die des schaurig Scheiternden.

Den ersten Abstieg 1999 fabrizierte man mit Top-Spielern wie Sebastian Deisler, Patrick Andersson oder Toni Polster. Es folgten Jahre unbefriedigenden Abstiegskampfes und mühsamer Wiederaufstiege. Borussia drohte den Anschluss zu verlieren. Wo dem Selbstverständnis nach Bayern, der HSV oder Dortmund zu Fußballfesten vorbeischauen sollten, kamen nun Chemnitz, Ulm oder Fürth.

Nach der Last-Minute-Rettung geht es in den Europapokal

Doch seit 2011 wächst die Zuversicht wie Efeu rund um Borussia. Seit der Last-Minute-Rettung in der Relegation geht es wieder bergauf mit der zwischenzeitlich sportlich so grauen Maus vom Niederrhein. Die Wahnsinns-Spielzeit 2011/2012 mit Rang vier kommt vielen heute noch wie ein Traum vor. Und ein Jahr später folgte nicht etwa der für eine frühere Borussia so logische Fall aus ungewohnter Höhenluft, sondern solide Konsolidierung auf Rang acht.

Und nach Rang sechs in der Vorsaison kann sich Mönchengladbach nicht mehr wirklich dagegen wehren, als selbstverständlicher Kandidat genannt zu werden, wenn es um die Nennung der Bewerber für die internationalen Plätze geht. Borussia — der Rückkehrer ins Konzert der Größeren. Nun ist aber Stillstand gerade im Profifußball Rückschritt. Für Ausruhen auf dem Erreichten bleibt keine Zeit, sonst ist der mühsam zurückgewonnene Anschluss wieder verloren.

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Insofern arbeiten Lucien Favre, Max Eberl und die anderen Verantwortlichen quasi täglich an der Frage: Wie kann sich Borussia dauerhaft in einem Bereich positionieren, der eine Europapokalteilnahme im Bereich des Möglichen sieht? Welchen Weg mit welchen Schritten kann man gehen und welches Image von einer heutigen Borussia — jenseits der Fohlenelf-Historie — schaffen?

Finanzielle Nachteile im Kampf um internationale Plätze

Am Anfang dieser Frage steht naturgemäß die Analyse des Ist-Zustandes — des eigenen und des Zustandes der Konkurrenten, die sich im oberen Tabellendrittel tummeln. Niemand wird bestreiten, dass der FC Bayern, Dortmund und Wolfsburg wirtschaftlich in anderen Dimensionen agieren als Borussia. Die Gehaltsstruktur des FC Schalke ist ebenfalls eine nachweislich andere, und auch Leverkusen tätigt aktuell wieder Transfers wie den 14,5-Millionen-Euro-Einkauf von Hakan Calhanoglu.

Das heißt, auf nüchtern betriebswirtschaftlicher Basis ist für die Borussen ein Platz unter den ersten Vier eigentlich utopisch, ja selbst ein Platz unter den ersten Sechs könnte auf Dauer das Ergebnis einer nahezu perfekten Saison bedeuten und keine Selbstverständlichkeit — gerade, wenn in naher Zukunft auch noch das Leipziger Red-Bull-Projekt in der Erstliga-Spitze auftauchen sollte. Es geht also für Borussias Macher jetzt und auch künftig immer wieder darum, bei aller Euphorie im Umfeld die Grenzen des wirtschaftlich Machbaren zu verdeutlichen. Nicht als Spaßbremse, nicht als zaudernder Tiefstapler, sondern als Spieler mit offenen Karten.

Wirtschaftliche Solidität als oberstes Gebot

Die Sehnsucht nach Europapokal, nach einem Titel, sie ist groß in der großen Anhängerschar. Doch immer mehr erkennen den aktuellen Weg der finanziellen Solidität als einzig richtigen. Die Historie ist dabei für Borussia stets ein gewaltiges Pfund, mit dem man wuchern kann, weil sie eine bundesweite Fanbasis geschaffen hat, sie wird nur immer dann zur Bürde, wenn sie unrealistische Erwartungen schürt. Da trifft es sich gut, dass ein solides Wirtschaften heute absolut "in" ist.

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Foto: dpa, rwe nic

Wo andere Klubs Auflagen erfüllen, Transferüberschüsse erzielen und auf Zuschüsse externer Geldgeber geradezu angewiesen sind, kann Borussia inzwischen auf positive Jahresabschlüsse, auf Gewinne, auf seriöses Arbeiten von Fachleuten im Hintergrund verweisen. Das "Financial Fair Play" der Uefa kann — wenn es der Verband mit der nötigen Strenge durchzieht — für Klubs wie Borussia nur förderlich sein. Harmonisches Wachsen haben sich die Verantwortlichen auf die Fahnen geschrieben, ein Weg, den Sport und wirtschaftliche Rahmenbedingungen im Optimalfall Hand in Hand gehen.

Ausbildungsverein in doppelter Hinsicht

Borussia war, ist und wird auch künftig ein Ausbildungsverein sein. Doch bei aller Kontinuität in der Begrifflichkeit hat sich die Rolle als eben dieser Entwicklungsstätte für Talente verändert. Früher war es für die Gladbacher oftmals auch ein wirtschaftlicher Faktor, wenn für ein Talent, das sich in den eigenen Reihen in den Vordergrund gespielt hatte, ein lukratives Angebot eines Branchenriesen auf den Tisch flatterte.

Inzwischen ist man auf solche Transfererlöse nicht mehr angewiesen — dass man bei einer 17-Millionen-Offerte für Marco Reus trotzdem nicht nein sagt, bleibt davon unberührt. Nein, mittlerweile ist Borussia ein Ausbildungsverein in doppelter Hinsicht: einer, der Talente voranbringt wie einen Tony Jantschke, einen Julian Korb, einen Patrick Herrmann.

Steigende Attraktivität für gestandene Spieler

Aber man hat sich zudem als Adresse etabliert, zu der Spieler streben, die in der Liga angekommen sind und den nächsten Schritt machen wollen — wie ein Max Kruse, wie ein André Hahn. Plötzlich ist Borussia in der Lage, Spieler für sich zu gewinnen, bei denen man noch vor Jahren gegen Leverkusen, Bremen oder Schalke den Kürzeren gezogen hätte.

Aus dieser Analyse des Ist-Zustandes ergibt sich fast schon logisch die Nische, in der Borussia ihre Zukunft gestalten kann und muss: als Aus- und Weiterbildungsverein für Talente auf der Basis soliden Wirtschaftens und auf Marketingebene eines wachsenenden Ummünzens der bundesweiten Beliebtheit in adäquate Einnahmen. Auch wenn die sportliche Seite den Faktor Zufall nie ganz wird ausklammern können, ist die Chance groß, dass Borussia sich in dieser Nische unter den ersten Sechs bis Acht der Liga wird etablieren können.

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