Borussia Mönchengladbach Eberl und Favre: Vertrauen ist die Erfolgsbasis

Mönchengladbach · Sportdirektor und Trainer denken in eine Richtung. Beide wissen, wie der andere tickt und dass die Ansprüche steigen. Sie mahnen zum Realismus.

Lucien Favre (l.) und Max Eberl: Das Vertrauen zwischen Trainer und Manager ist die Basis für den Erfolg.

Lucien Favre (l.) und Max Eberl: Das Vertrauen zwischen Trainer und Manager ist die Basis für den Erfolg.

Foto: dpa, pse nic

Lucien Favre ist ein stets freundlicher Mensch. Doch es gibt Ausnahmen. Vor allem, wenn Thesen formuliert werden, die für den Geschmack des Schweizers zur großspurig sind. Er weiß, dass einer der großen Fehler im Erfolg ist, ihn als selbstverständlich anzusehen und daraus falsche Schlüsse zu ziehen. Das kann zur Selbstüberschätzung führen und zu große Erwartungen schüren. Favre hat das in Berlin erlebt. Dort hat er Hertha BSC für eine Saison zu einer großen Nummer in der Bundesliga gemacht. Bis zum Schluss rangelte die "alte Dame" um die Meisterschaft mit und wurde am Ende Vierter. Als es dann nicht gut lief zu Beginn der nächsten Spielzeit, musste Favre gehen. Dieses Erlebnis hat ihn geprägt. Darum kocht er die Emotionen gerne herunter, wenn sie zu sehr brodeln, darum versucht er, gerade im Erfolg die Sinne zu schärfen. Und wenn seine Botschaft mit leisen Worten nicht ankommt, dann kann er, für seine Verhältnisse, auch mal lauter werden und fuchsig.

So war es, als Borussia im Pokal- Viertelfinale beim Drittligisten Arminia Bielefeld unterlag. Im Vorfeld wurde das Los als "Glückslos" eingestuft, und Favre hörte zu viele Stimmen, die gar nicht leise vom Traum von Berlin erzählten. Berlin ist im deutschen Fußball das Synonym für das Pokalfinale. Das waren zwei Denkschritte vor dem ersten, und beim ersten stolperte Borussia. Danach wurde Favre noch einmal auf das Spiel in Bielefeld angesprochen und reagierte gar nicht entspannt. So war es auch, als vor dem letzten Spiel gegen den FC Augsburg die Frage aufkam, was den Borussen Platz zwei, also die Vizemeisterschaft, bedeuten würde. "Eine dumme Frage" sei das, wetterte Favre und war regelrecht in Rage. Als ob Platz drei nicht genug wäre, der Platz, der Borussia die erste Teilnahme an der Champions League ermöglicht! Und wäre es so gekommen, wäre Borussia das zweitbeste Team im Lande geworden hinter dem enteilten FC Bayern, ja was wären dann für Traumtänzereien entstanden? Meister im nächsten Jahr? Gedanken wie diese sind Favre ein Graus.

Sein Problem: Der Verweis darauf, woher Borussia kommt, vom Abgrund in die Zweite Liga nämlich, wo er sie im Februar 2011 übernahm, nutzt sich mit jedem weiteren Jahr in den Höhenlagen der Tabelle ab. Borussia spielt in der nächsten Saison zum dritten Mal in vier Jahren international, der Kader ist längst für den Anspruch bereit, konstant im oberen Tabellendrittel dabei zu sein. Das ist Favres große Leistung als Borussen-Trainer: Er hat sein Team reanimiert, stabilisiert und immer wieder ein bisschen neu erfunden und immer weiterentwickelt. Jetzt war Borussia das beste Team der Rückrunde und darf nun mit den ganz Großen in Europa spielen. Damit sind natürlich neue Maßstäbe gesetzt — und auch die sind Realität.

Dennoch: "Das Schwierigste ist, das, was wir geschafft haben, zu bestätigen", sagte Favres Kapitän Martin Stranzl. Auch der Österreicher gibt zuweilen den Grantler. Wenn ihm die Lobeshymnen zu laut werden, grätscht er gerne mal dazwischen und präsentiert lange Mängellisten, um klarzustellen, dass Erfolg nicht zwangsläufig ist, sondern das Resultat ständiger Leistungsüberprüfungen und Nachbesserungen. So sieht es auch Favre: "Man muss sich immer wieder neu beweisen", sagt er. Für ihn ist nach dem Spiel vor dem Spiel, und es hat noch nie geholfen, allein die schönen Dinge zu bejubeln. Es gilt, die Details zu bearbeiten, die nicht gepasst haben, auch wenn es an dem Tag keine Konsequenzen hatte. Denn beim nächsten Mal könnte es so sein, und das gefährdet den Erfolg. Nun ist die Saison vorbei — und nach der Saison ist vor der nächsten Saison.

Planungen laufen auf Hochtouren

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Favre und Sportdirektor Max Eberl sind mitten drin in den Planungen des neuen Kaders. Die Vordenker des Borussen-Teams haben optimal zusammengefunden in den vergangenen Jahren und zuletzt nur Treffer gelandet in der Transferpolitik. Im ersten Jahr, nach der Relegationsrettung, gab es durchaus noch Komplikationen, denn da hatten die beiden Macher die gemeinsame Ebene noch nicht ganz entdeckt. Zudem hatte Favre Berlin im Hinterkopf: Er hatte Großes erreicht, Platz vier, und das ein Jahr nach der knappen Rettung, und nun fürchtete er, die Ansprüche könnten unrealistisch werden. Inzwischen aber weiß Eberl, wie Favre tickt, und Favre weiß, wie Eberl tickt. Vor allem weiß der Trainer, dass sein Sportdirektor ebenso wie der Klub hinter ihm stehen, auch wenn es Rückschläge gibt. Das ist nicht selbstverständlich im hibbeligen Fußballzirkus.

Eberl hat ein feines Gespür dafür entwickelt, wie der Trainer denkt und was er will. Dabei geht es nicht um große Summen, die ein Spieler kostet, sondern nur darum, dass er passt, dass er fußballerisch klug ist, klug genug, um den Favre-Style zu antizipieren. Favre braucht gute Individualisten-Teamplayer, die lernbereit sind, die sich entwickeln wollen, egal wie alt sie sind und wie viel Erfahrung sie haben. Favre will sein Team weiterbringen, neue Akzente setzen. Das hat er im vergangenen Sommer getan, als Eberl vor allem Flügelspieler holte. Borussia wurde in der Breite variabler — und Favre erfand für sich die Rotation. Sein Team lernte, verschiedene Stilmittel zu nutzen: Das Ballbesitzspiel sowieso, aber auch das schnelle Umschalten, ohne die Geduld zu verlieren. Und Favre gab dem Fernschuss eine Chance, der zuvor eher verpönt war.

Wenn am 29. Juni die Vorbereitung auf die neue Saison beginnt, in der die spezielle Herausforderung Champions League auf die Borussen zukommt, wird Favre einen Strauß voller Ideen mitbringen, die er dann auf dem Trainingsplatz umsetzen will. Dazu wird wohl gehören, künftig auch einen Stürmer im Strafraum zu haben, der die vielen Flanken, die in dieser Saison noch ungenutzt hereinflogen, zu verwerten. Max Eberl arbeitet daran, wie gewohnt flott den Kader zu bestücken mit dem vom Trainer gewünschten Personal.

Eberl und Favre verbindet, dass sie planvoll arbeiten. Das haben beide am jeweils anderen zu schätzen gelernt. Und sie denken in dieselbe Richtung, Favres Ideen passen zum Roten Faden, den Eberl für Borussia gefunden hat: Die traditionelle Fohlenphilosophie Borussias hat er in die Moderne übersetzt. Beide wissen, dass auf den anderen Verlass ist. 2012, als Marco Reus, Dante und Neustädter wegfielen, hatte Favre dieses Ur- Vertrauen noch nicht, vor allem um Reus trauerte er lange. Nun, als Max Kruse seinen Angang nach Wolfsburg verkündete, blieb Favre gelassen. Er vertraut auf Eberl und dessen Einkaufsgeschick. Umgekehrt weiß Eberl, dass Favre das Personal optimal zu nutzen weiß und mit seiner akribischen Trainingsarbeit aus dem einen oder anderen noch mehr rausholen kann, als zu vermuten ist.

Borussias Macher verstehen ein Team als einen steten Entwicklungsprozess. Darum ist jedes erreichte Ziel immer nur der Anlass für eine neue Herausforderung. Eberl spricht davon, "Momente zu genießen". Das impliziert, dass im nächsten Moment nach vorne gedacht werden muss. Wer allzu zufrieden ist, stagniert, und Stagnation ist Rückschritt. Favre arbeitet ebenso. Er beobachtet die kleinsten Entwicklungen im Weltfußball, wenn auch nur per Video, und zieht seine Schlüsse daraus. Darum ist Borussia ein nie endendes Puzzle. Allerdings eines, das im aktuellen Stadium ein wunderschönes Bild abgibt.

Mitglieder erkennen Eberls Leistung an

Dafür hat Max Eberl viel Applaus bekommen bei der Mitgliederversammlung Ende April. Er hat den Moment genossen, dann aber dafür geworben, realistisch zu bleiben. In dieser Saison ist alles perfekt gelaufen, doch schon ein bisschen weniger perfekt kann bedeuten, nicht mehr ganz weit oben dabei zu sein. "Dieser Automatismus, von Saison zu Saison immer einen Platz nach oben denken zu müssen, ist nirgends so falsch und so trügerisch wie in der Bundesliga. Ich habe immer gesagt, wenn die Top Fünf, also Bayern, Dortmund, Wolfsburg, Leverkusen und Schalke, es gut machen, dann wird Gladbach automatisch um Platz sechs spielen. Unsere Zielsetzung des einstelligen Tabellenplatzes ist also kein Blabla, sondern aus der Realität geboren", sagte Eberl zuletzt.

Auch was das angeht, sind sich Borussias Sportdirektor und sein Trainer einig. Aber beide sind auch ehrgeizig. Sie wollen den größtmöglichen Erfolg. Das war in dieser Saison Platz drei und die Qualifikation für die Champions League. Eberl und Favre stehen für diesen Erfolg. Das verpflichtet, das wissen beide. Doch sie nehmen alle anderen in die Pflicht, den Erfolg richtig einzuordnen. "Unsere Fans kennen sich sehr gut mit Fußball aus", sagte Favre während der Feierlichkeiten nach dem Augsburg-Spiel. Das Lob des Trainers ist zugleich sein Anspruch, den er an die Borussen hat: Zieht die richtigen Schlüsse aus dieser traumhaften Saison und baut keine Luftschlösser, die schnell platzen können.

(RP)
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