Borussia Mönchengladbach Der Mythos der Champions-League-Hymne

Mönchengladbach · Die Hymne der Champions League hat einen holprigen Text und lädt kaum zum Mitsingen ein. Trotzdem rührt sie Fußballfans zu Tränen – besonders in Mönchengladbach.

Borussia Mönchengladbach: Der Mythos der Champions-League-Hymne"
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Die Hymne der Champions League hat einen holprigen Text und lädt kaum zum Mitsingen ein. Trotzdem rührt sie Fußballfans zu Tränen — besonders in Mönchengladbach.

Ein paar hundert Menschen in Mailand erlebten am 21. Oktober 2009 die womöglich langweiligste Viertelstunde ihres Lebens. Während ihr geliebtes Milan in der Champions League bei Real Madrid gefordert war, hatten ihre Freundinnen, Chefs oder Uni-Professoren sie zu einem experimentellen Abend mit klassischer Musik und Lyrik ins Mahler-Auditorium zitiert. Ein Orchester spielte, auf einer Leinwand schrieb eine Hand mit einem Füllfederhalter Gedichtverse auf ein Blatt Papier. Smartphones hatten damals noch nicht den großen Durchbruch erlebt, so dass sich großes Gähnen mit großer Unruhe vermischte, je näher der Anpfiff um 20.45 Uhr rückte.

Doch dann schrieb die Hand auf der Leinwand plötzlich: "Es ist schwer, deinem Chef einen Gefallen abzuschlagen, oder?" Die Musik wechselte, immer noch Klassik, aber das Lied kam den gelangweilten Kunstbanausen bekannt vor. "Oder deiner Freundin? Wie konntet ihr überhaupt denken, ihr würdet das Spiel verpassen? Seid ihr noch dabei?" Dann legte das Orchester los, spielte die Champions-League-Hymne mit aller Inbrunst — und auf der Leinwand wurden die Spieler von Real und Milan beim Händeschütteln vor dem Anpfiff eingeblendet. Tränen der Erleichterung im Publikum.

Es handelte sich um einen Marketing-Gag einer großen Brauerei, das sei noch angemerkt, aber 23 Jahre nach ihrer Einführung ist die gesamte Champions League nicht gerade ein einziger Romantiker-Gipfel. Als der europäische Fußballverband Uefa im Jahr 1992 den studierten Dirigenten und Produzenten Tony Britten beauftragte, eine Hymne für den neuen Wettbewerb zu komponieren, ahnte niemand, dass der Brite sowohl Fußball- als auch Musik-Geschichte schreiben würde.

In Mönchengladbach ist die Champions-League-Hymne zum Symbol der Ankunft im Kreis der Großen geworden, seitdem sie am 21. August 2012 gegen Dynamo Kiew zum ersten Mal im Borussia- Park ertönte. Als dem Verein Platz drei in der Bundesliga nach dem 2:0-Sieg bei Werder Bremen im Mai nicht mehr zu nehmen war, stand auf der Borussia-Homepage: "Mindestens dreimal wird die Hymne in der kommenden Halbserie also vor einem Heimspiel zu hören sein." Bei YouTube gibt es ein Video vom Spiel gegen Kiew, in dem ein Mann vor lauter Ekstase wie auf der Achterbahn zu kreischen beginnt, als die ersten Takte erklingen.

Komponist Britten hat sich bei Georg Friedrich Händel und dessen Stück "Zadok the Priest" bedient, das seit fast 300 Jahren bei der Krönung britischer Monarchen gespielt wird — man hat es nur lange nicht mehr gehört, weil Elisabeth II. so lange regiert. "Von Händel habe ich nur die aufsteigenden Streicher zu Beginn genommen", betonte Britten gegenüber dem Magazin "11 Freunde". Doch gerade der Beginn der Hymne ist es ja, der das verursacht, was heutzutage inflationär häufig als "Gänsehautentzündung" bezeichnet wird. Bei der Hymne ist es gerechtfertigt.

Hymne in Sevilla kaum zu hören

In Sevilla vor zwei Wochen lieferte der musikalische Teil ein Sinnbild für die triste sportliche Lage der Borussia. Die Fans im Estadio Ramon Sanchez Pizjuan machten solch einen Lärm, dass die Hymne kaum zu hören war — 0:3 verloren und nicht einmal eine Gänsehaut mit nach Mönchengladbach genommen.

Umso mehr fiebern 46.279 Menschen dem Moment am Mittwoch entgegen, in dem die Streicher einsetzen. "Der größte Star des europäisches Fußballs dürfte ein Song sein", titelte die "New York Times" vor dem Champions-League-Finale zwischen Bayern München und Borussia Dortmund 2013.

Dabei ist der Text der Hymne, nun ja, zumindest holprig. Dass er auf Englisch, Deutsch und Französisch gesungen wird, ergibt sich aus den offiziellen Sprachen der Uefa. Komponist Britten spricht nur eine davon und ließ zwei Drittel übersetzen, so dass der Chor nun anstimmt: "Eine große sportliche Veranstaltung" — so hat es Beamtendeutsch in ein klassisches Musikstück geschafft.

Doch die Stadionversion der Hymne, die es übrigens nicht offiziell zu kaufen gibt, ist nur 61 Sekunden lang und spart sich die "große sportliche Veranstaltung". Los geht es mit den drei Zeilen, die viele Fußballfans auswendig können: "Ils sonst les meilleurs; Sie sind die Besten; These are the champions." Zum Mitsingen war die Hymne nie geeignet, bis sich Cristiano Ronaldo — wer auch sonst? — der Sache in diesem Jahr annahm. Vor dem Viertelfinal- Spiel gegen Juventus Turin bewegte der dreimalige Weltfußballer von Real Madrid zumindest seine Lippen.

Ursprünglich hatten die Vermarkter der Champions League "We Are the Champions" von Queen im Sinn, als sie nach der passenden Musik für ihr neues Produkt suchten. Aber inspiriert von den damals sehr populären "Drei Tenören" Placido Domingo, Jose Carreras und Luciano Pavarotti, fiel die Wahl auf etwas Klassisches.

Und so hatte Neus, eine Braut aus dem katalanischen Sant Boi de Llobregat, vor ein paar Jahren auch keine Bedenken, ihren künftigen Ehemann Marcos in der Kirche mit einer Chordarbietung der Champions- League-Hymne zu überraschen. Schließlich kann man dem Lied eine sakrale Neigung nicht absprechen. Das Video hat bei YouTube 1,5 Millionen Abrufe. Marcos war so gerührt, dass er stehend applaudierte und seiner Freundin um den Hals fiel. Die Hymne hatte ihm noch einmal versichert, das Richtige zu tun.

(RP)
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