Borussia Mönchengladbach Favre gegen Tuchel — Duell der Perfektionisten

Mönchengladbach · Gladbach gegen Dortmund: Da treffen zwei technisch und taktisch versierte Spitzenteams aufeinander. Geformt von zwei Trainern, die große Strategen sind. Was macht den Unterschied zwischen den beiden aus – und welche Gemeinsamkeiten haben sie?

Bundesliga-Trainer: Die Typen in der Saison 2015/16
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Die Trainer-Typen

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Gladbach gegen Dortmund: Da treffen zwei technisch und taktisch versierte Spitzenteams aufeinander. Geformt von zwei Trainern, die große Strategen sind. Was macht den Unterschied zwischen den beiden aus — und welche Gemeinsamkeiten haben sie?

Die Trainer zweier Fußballmannschaften können sich durchaus ähneln. Sie können aber genauso gut grundverschieden sein. Aber gibt es eine Konstellation vor einer Begegnung in der Fußball-Bundesliga, in der sich die beiden Verantwortlichen in manchen Punkten derart gleichen, in anderen aber so völlig verschieden sind, dass es geradezu nach einer Gegenüberstellung dieser beiden verlangt? Ja, es gibt sie. Das zugehörige Spiel heißt Borussia Dortmund gegen Borussia Mönchengladbach, die zwei Trainer heißen Thomas Tuchel und Lucien Favre. Und sie und ihre Teams treffen zum Start in die neue Spielzeit aufeinander.

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Welcher Trainer fliegt zuerst?

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BVB vs. BMG — das ist der Vergleich zweier technisch und taktisch versierter Spitzenteams, zweier direkter Konkurrenten um die Plätze, die jedes Jahr die Teilnahme an der Champions League garantieren. Es wird aber eben auch das Kräftemessen zweier Strategen auf der Bank. Und das sind sie — womit wir bei den Gemeinsamkeiten wären. Tuchel und Favre sind wahre Strategen, wenn es darum geht, zum einen der eigenen Mannschaft ein passendes, auf das vorhandene Spielermaterial abgestimmtes System zu vermitteln, und zum anderen in der Spielanlage des Gegners die Schwachstellen zu entdecken, die es auszunutzen gilt.

Die Frage lautet also: Wie wird man ein solcher Stratege auf der Trainerbank? Die Antwort darauf lautet: Indem man gewisse Charaktereigenschaften und Qualitäten mitbringt — just, wie es Tuchel und Favre tun. Beide sind detailversessen oder perfektionistisch, je nach Gusto. Sie sind der Überzeugung, dass das große Ganze, also die Mannschaft auf dem Platz, nur dann funktioniert, wenn man sich die Mühe macht, jedes kleine Rädchen in diesem großen Ganzen auf seine Funktionstüchtigkeit zu überprüfen. Das ist zuweilen nervig, nicht zuletzt für die Spieler, die eine solche Detailversessenheit in der täglichen Trainingsarbeit erleben. Aber Tuchel in seiner Zeit in Mainz und Favre seit seinem Dienstantritt in Gladbach haben ihre jeweiligen Profis eben auch schnell und anhaltend von ihrer kleinteiligen und zuweilen pedantischen Arbeitsweise überzeugt, ganz einfach, weil sie erfolgreich war bzw. ist.

Und so haben sich die Profis bei Borussia längst daran gewöhnt, dass es in Favres Augen eben nicht egal, sondern am Ende gar entscheidend ist, ob sie auf dem Rasen einen halben Meter weiter links oder rechts stehen und ob ein Spieler den Ball mit rechts oder links annimmt. Bei Tuchel kommt hinzu, dass das "Arbeitsethos, das er vermittelt, auf der Maxime gründet, wonach besonderes Talent zu besonderem Fleiß verpflichtet", wie "Der Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe schreibt.

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Das ist Lucien Favre

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Fast schon logisch einher mit einer solchen Arbeitsweise muss dann auch zuweilen eine gewisse Ungnade gehen. Eine Ungnade gegenüber Kritikern, gegenüber der Öffentlichkeit, weil diese eben — aus der Sicht des Perfektionisten — gar nicht gänzlich verstehen können, was sie mit ihrer Arbeit bezwecken. Favre ist auf eine sanfte Art ungnädig, und wenn er dann doch mal aus der Haut fährt, hat er auch die Größe, sich zu entschuldigen. Tuchel — so schildern es Beobachter — wirkt dagegen manchmal so, als bereite es ihm Freude, anderen einen Fehler oder eine Fehleinschätzung nachzuweisen. Wer davon überzeugt ist, besser zu sein als fast alle in dem, was er tut, muss vielleicht dazu neigen, ungnädig zu sein. Das eine ohne das andere ist kaum vorstellbar.

Doch so sehr sich auch diese beiden ungnädigen, ungeduldigen, teils eitlen Perfektionisten, diese anerkannten Taktik-Gurus ähneln, sie sind in der Ausprägung ihres Seins und der Art und Weise ihrer Arbeit dann doch sehr verschieden. Man nehme zum Beispiel die Ausgangslage: Tuchel tritt in Dortmund als Nachfolger von Jürgen Klopp das wohl schwerste Erbe im europäischen Vereinsfußball an. Diesem immerwährenden Vergleich muss er standhalten und dabei doch auch eigene Ideen umsetzen. Als Favre in Gladbach anfing, lag der Verein am Boden, ein Erbe auf der Trainerbank gab es quasi nicht, der Schweizer konnte sich "seine Borussia" ganz nach seinen Vorstellungen gestalten, und weil das eben seit 2011 formidabel klappt, liegt ihm der Verein zu Füßen. Es ist sein Nachfolger, der es einmal schwer haben wird.

Tuchel fängt zudem in Dortmund gerade an, ist also dienstjüngster Coach bei einem Bundesligisten, während Favre nach Klopps Ausscheiden nun der dienstälteste Trainer der Liga ist. Der Schweizer ist zudem der älteste Trainer unter seinen 17 Kollegen, Tuchel der drittjüngste. Favre wirkt zwar zuweilen etwas weltvergessen in seinem Arbeitseifer, aber er besitzt durchaus Empathie, und er erhöht sein Wirken nur äußerst selten auf den Grad des quasi Nicht-Weltlichen. Tuchel seinerseits ist selbst das, was er verlangt — und noch mehr. Inzwischen ist er Asket, er ist kein Getreide mehr, und er ist so dünn, dass vermutlich viele, die ihm begegnen, den inneren Impetus verspüren, ihm sofort ein Butterbrot zu schmieren. Viele Spieler in Mainz folgten ihm fast wie Jünger ihrem Messias, und in der Tat soll es bisweilen ein bisschen esoterisch sein, was Tuchels Arbeit umgibt.

Als Produkt ihrer beiden Trainer unterscheiden sich die beiden Borussen- Teams indes auch grundlegend von ihrer Spielidee. Favre hat Gladbach seit 2011 bereits mindestens dreimal weiterentwickelt und bevorzugt aktuell die geduldige Ballzirkulation mit dem Gefühl für den richtigen Moment der Tempoverschärfung. Tuchel dagegen lässt seine Spieler Ball und Gegner jagen, möglichst in der gegnerischen Hälfte, möglichst überfallartig, mit viel Risiko, aber eben auch mit großer Aussicht auf Erfolg. So tat es auch Klopp. So tut es Roger Schmidt in Leverkusen. So will Alexander Zorniger in Stuttgart spielen lassen. Wer anderen gerne ihre Fehler aufzeigt, lässt den Gegner natürlich auch auf dem Rasen gerne Fehler machen, könnte man meinen.

Letztlich, und so schließt sich der Kreis dann doch wieder über eine Gemeinsamkeit, gieren beide Trainer — Tuchel und Favre — danach, ihre Spieler von ihrem Weg zu überzeugen, sie wollen sich und den Ihren beweisen, dass ihre Arbeitsweise die ist, die den maximalen Erfolg verspricht. Die Spieler sollen glauben. "Und Glaube ist im Sport nicht zu unterschätzen", sagt Gladbachs Tony Jantschke.

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