Trainer-Vergleich Lucien Favres Credo lautet Ballbesitz

Mönchengladbach · Das rheinische Duell zwischen Borussia und Bayer ist auch ein Kräftemessen der beiden Trainer. Beide haben einen klaren Plan, beide mögen es offensiv, beide sind außergewöhnliche Typen. Das zeichnet den Gladbacher Trainer Lucien Favre aus:

Lucien Favre kehrt zu OGC Nizza statt nach Gladbach zurück
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Das ist Lucien Favre

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Foto: dpa/Guido Kirchner

SPIELIDEE Lucien Favres Credo ist der Ballbesitz. Sein Motto: Wenn mein Team den Ball hat, kann der Gegner nicht gefährlich werden. Favres Ansatz ist defensiv-offensiv, eine kontrollierte Offensive. Favre hat ein engmaschiges Abwehrgeflecht entworfen, das kompakt und beweglich dem Gegner kaum Raum lässt. Doch die Abwehrarbeit ist für Favre ein gesamtmannschaftliches Werk. Bei eigenem Ballbesitz ist Torwart Yann Sommer der erste Aufbauspieler, zudem lässt sich einer der beiden Sechser zwischen die Innenverteidiger zurückfallen, um in der Tiefe des Raumes kreativ tätig zu werden. Die Doppelsechs ist der Dreh- und Angelpunkt des Spiels. Normalerweise wird geduldig von hinten heraus kombiniert, doch seit dieser Saison hat Favre auch die Außen beflflfl ügelt, die vor allem für das schnelle Umschalten bei Ballgewinn zuständig sind. Die hängende Spitze im obligatorischen 4-4-2-System ist zugleich Initiator, Vorbereiter und Torjäger.

TYP Favre ist kein Lautsprecher, wegen seines französischen Akzents und seines Auftretens kommt er weltmännisch rüber. Favre kommt aus einem winzigen Dorf in der West-Schweiz, dort heißen die meisten Leute wie er: Favre. Borussias Trainer mag die Natur und ein gutes Glas Rotwein. Vor allem aber lebt er den Fußball. Als Spieler war er ein Regisseur und Stratege. Strategischer und schöner Fußball, das ist auch als Trainer sein Ansatz. Favre arbeitet sehr akribisch, er spricht viel mit seinen Spielern, schiebt sie auf dem Trainingsplatz auch mal hin und her. Seine Detailbesessenheit hat zuweilen skurrile Züge. Im Trainingslager hat er schon mal den Rasen nachmähen lassen, damit das Geläuf passend war für sein Taktiktraining. Favre hat einen strengen Tagesablauf und ist irgendwie immer bei der Arbeit, auch daheim, wo er bergeweise Fußball-DVDs sichtet, um sich auf den nächsten Gegner vorzubereiten.

DRESSCODE Lucien Favre gehört zu den Gentleman-Trainern der Bundesliga. Er trägt beim Spiel Anzug — dunkelblau ist der Zwirn, dazu wählt der Schweizer ein hellblaues Hemd. Ist es kühler, greift Favre oft zur grünen Klubjacke oder trägt eine dunkelblaue Steppjacke. Ist es sehr warm, fehlt das Jackett, dann werden die Hemdsärmel aufgekrempelt. Das Outfififi t passt zum Auftritt beim Spiel: Favre coacht ruhig, aber bestimmt, er gestikuliert seriös ohne großen Popanz, er ist ein Fußballprofessor im feinen Gewand.

KULTFAKTOR Schon beim FC Zürich hatte Favre Kultstatus. Dort wurde eigens ein T-Shirt gedruckt mit einer Comicversion seines Konterfeis darauf. Borussias Fans haben ihn schon "Hennes" gerufen, in Anlehnung an den Meistertrainer der großen 70er, Hennes Weisweiler. Größer kann die Ehrerweisung nicht sein im Borussen-Universum. Favres Art zu applaudieren ist legendär, auch viele seiner Sprachwendungen: "Vergessen Sie Hrgota nicht", "Jedes Spiel ist ein Kampf", "Wir haben Respekt, aber keine Angst".

BEDEUTUNG Lucien Favre hat Borussia übernommen, als der Klub am Boden war. Er hat ihn zum Leben erweckt und aus einem Abstiegskandidaten ein Spitzenteam der Bundesliga geformt. Er hat Borussia neues Selbstvertrauen gegeben — und somit auch Mönchengladbach. Die Stadt lebt ihren Verein, und Favre hat mit Borussia auch Gladbach zurück ins europäische Licht geführt.

CL-FAKTOR Lucien Favre will unbedingt auf die große Bühne Champions League zurückkehren, die er mit dem FC Zürich, den er zweimal zum Schweizer Meister machte, schon erlebt hat. 2012 führte Favre Borussia in die Play-offs, doch das Team, das gerade seine Achse (Reus, Dante, Neustädter) verloren hatte, war gegen Kiew zu grün. Schafft Favre jetzt mit seinem Team die direkte Qualifififi kation, wäre das der bisherige Höhepunkt seines Schaffens in Gladbach: Favre ist ein Tüftler und Entwickler, einer, der Spieler und Teams besser macht, mit Ehrgeiz und Bedacht. Aus dem Abstiegskampf ging es in die Höhenlage der Bundesliga und in die "kleine" Europa League. Es wäre die logische Konsequenz seiner Arbeit in Mönchengladbach, wenn jetzt der nächste Schritt folgt: Er hat Borussia bereit gemacht für die Meisterliga.

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