Martin Stranzl im Abschiedsinterview "Für ein Buch ist es noch zu früh"

Mönchengladbach · 470 Pflichtspiele hat Martin Stranzl absolviert, für keinen Verein mehr als für die Borussia. Deshalb geht im Sommer für beide Seiten ein besonderes Kapitel zu Ende. Der 35-Jährige hat unserer Redaktion ein Abschiedsinterview gegeben.

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Foto: jdp/Jens Dirk Paeffgen

Herr Stranzl, vor der Pressekonferenz, auf der Sie Ihr Karriereende verkündet haben, haben Sie sich sicherlich vorgenommen, cool zu bleiben. Das hat nicht geklappt.

Stranzl Ich bin eigentlich ganz locker an die Geschichte rangegangen. Meine Frau und mein Berater hatten mich immer wieder gefragt, ob alles okay ist, aber ich habe mir nichts dabei gedacht. Erst als ich dann da oben saß, wurde mir bewusst, was der Moment bedeutet. Es waren so viele Pressevertreter, aber auch Mannschaftskollegen da — das war überwältigend. Wenn man dann alles noch mal Revue passieren lässt, wird es natürlich sehr emotional.

So emotional, dass sogar der harte Hund Martin Stranzl mit den Tränen kämpfte.

Stranzl Wie gesagt: Man kann sich auf so eine Situation nicht vorbereiten. Es war ja eine ganz neue Situation für mich.

Nun gegen Leverkusen wird es Ihr letztes Heimspiel im Borussia-Park sein. Haben Sie ein flaues Gefühl im Magen? Einen Vorgeschmack gab es für Sie ja gegen Bremen, als Sie am Ende eingewechselt wurden.

Stranzl So wie es gegen Bremen war, war es ein absolutes Highlight. Es war alles ganz spontan, schließlich war ja nicht geplant, dass ich eingewechselt werde. Die Reaktion der Fans hat mir viel bedeutet und mir viel gegeben. So etwas kann man nicht toppen. Nun gegen Leverkusen wird es eine Verabschiedung geben, natürlich. Wie emotional es werden wird, werden wir sehen. Ich hoffe einfach auf eine gute Stimmung — und natürlich auf ein gutes Ergebnis. Das wäre schon schön. Danach geht dann ein Lebensabschnitt vorbei.

Das ist sehr kurz formuliert: Sie können sicherlich sehr stolz auf Ihre Karriere sein. Sie haben fast 470 Profispiele absolviert.

Stranzl Ich bin auch stolz darauf. Ich hatte viele tolle Erlebnisse, habe viel interessante Menschen kennengelernt. Es war eine lange Zeit. Ich mache jetzt erstmal ein halbes Jahr Pause, um Energie zu tanken, mich körperlich zu erholen und alles noch mal zu verarbeiten.

Sie waren ein Frühstarter. Mit 14 spielten Sie in der Ersten Mannschaft des SV Güssing, mit 18 sagte Werner Lorant bei 1860 München, Sie seien der beste 18-Jährige, den er je trainiert hätte.

Stranzl In meiner Mannschaft in Güssing waren viele Talente dabei, wir waren mehrfach Landesmeister. Einige waren sicher auch talentierter als ich, aber sie hatten vielleicht nicht den nötigen Ehrgeiz. Ich habe alles hinten dran gestellt, neben Schule und Fußball gab es nichts, keine Partys, keine Disco. Ich hatte ein Ziel und dem habe ich alles untergeordnet. Mein Ehrgeiz hat mich dahin gebracht, wo ich heute bin — und Werner Lorant war ein Trainer, der das belohnt hat. Er war auch ein Trainer, der mir viel mitgegeben hat.

War der junge Martin Stranzl ganz anders, als der reife Stranzl?

Stranzl Ganz anders. Er war aufbrausend, impulsiv, auf gewisse Weise auch egoistisch. Das muss man im Fußballgeschäft auch sein. Eine Zeit lang war dann sicher die Familie hinten dran, das muss ich zugeben. Das hat sich natürlich inzwischen geändert, wie viele andere auch durch die Erfahrungen ich gemacht habe. Aber es sollte ja auch so sein, dass man sich entwickelt.

1860 München hat einen großen Output an starken Spielern, immer wieder. Der nächste, der Borusse wird, ist Tobias Strobl. Trotzdem geht bei 1860 nicht viel. Wie kommt das?

Stranzl Irgendwo muss was falsch laufen. Wenn sich Leute nicht selbst hinterfragen, ist es ein großes Problem.

Ist das generell ein Problem im Fußball? Gibt es zu viele unantastbare Egos?

Stranzl Ja, das denke ich schon, wenn man sich verschiedene Vereine anschaut. Da ist die Fluktuation an Spielern und Trainer groß, nur auf der Führungsebene passiert nichts. Da müssten sich einige Leute hinterfragen, ob es immer an den anderen liegt.

In Gladbach kamen Sie dazu, der Verein große Probleme hatte. Hat Sie das, was seit Januar 2011 passiert ist, überrascht?

Stranzl Das würde ich nicht sagen. Ich war von dem Schritt überzeugt, habe mich gut auf Gladbach vorbereitet, hatte mir Spiele angeschaut. Dann habe ich mich zum Wechsel von Spartak Moskau zurück in die Bundesliga entschieden. Und ich war felsenfest davon überzeugt, auch, wenn es sich jetzt im Rückblick, seltsam anhört, dass wir das schaffen. Es gab natürlich schwierige Momente in der Rückrunde, als es hieß: Das war‘s jetzt. In dem Moment habe ich gedacht, es wäre gut ein Zeichen zu setzen und gesagt: Ich bleibe unter allen Umständen. Dafür wurde ich in Österreich auch kritisiert und belächelt. Aber ich habe immer gewusst, dass es klappt. Daher war es für mich keine Überraschung.

Aber das, was dann kam, der Sturm nach ganz oben, der schon, oder?

Stranzl Klar, das kann man als Überraschung bezeichnen. Aber auch als das Ergebnis kontinuierlicher Arbeit. Der richtige Trainer wurde gefunden, man hat ein gutes Scouting, macht die richtigen Transfers, die Mischung der Charaktere im Team stimmt — deswegen hat es sich so entwickelt.

Welcher Charakter im Team waren Sie?

Stranzl Als ich kam, war es so, dass jeder im Team alles akzeptiert hat, neben und auf dem Platz. So bin ich nicht. Ich habe dann auch mal etwas gesagt, auch unangenehme Dinge. Klar, dann steht man mehr im Fokus und ist auch angreifbar, wenn man Fehler macht. Aber dieser Verantwortung habe ich mich gestellt, dafür wurde ich auch geholt. Natürlich gerät man auch mit dem einen oder anderen aneinander. Aber entscheidend ist der Erfolg, den man zusammen haben will. Dafür muss man gewisse Regeln befolgen und einhalten —und wenn das nicht so ist, muss es angesprochen werden. Nach dem Spiel und nach dem Training muss alles, was auf dem Platz war, vergessen sein. Natürlich muss man im Erfolg weniger Dinge ansprechen, da kann man ja den Platzwart auf den Platz stellen und er trifft. Aber im Misserfolg muss man sich den Problemen stellen. Und das habe ich von Anfang eingebracht. Zuletzt war es natürlich schwieriger, weil ich oft raus war.

Max Eberl hat gerade Ihre Wichtigkeit als Persönlichkeit im Team herausgestellt. Er sagt, es sei ein großer Verlust, wenn Sie aufhören. Wie heftig hat er versucht, Sie zum Weitermachen zu überreden?

Stranzl Eigentlich gar nicht. Wir hatten immer ein sehr offenes und respektvolles Verhältnis Wir haben die immer Situation bewertet und hatten immer dieselbe Meinung. Ich denke, er wusste schon, als ich an dem Tag in sein Büro kam, was kommen würde.

Wie wichtig war die Erfahrung in Moskau für Sie?

Stranzl Sehr wichtig. Ich wollte damals ein neues, großes Land, eine neue Kultur, ein anderer Fußball, meine Gesamtsituation in der Zeit — es gab viele Faktoren, mich für Spartak zu entscheiden. Als ich da war, sind dann immer mehr erfahrene Spieler weggefallen — und ich wollte Verantwortung übernehmen. Ich habe die Sprache gelernt und kam im Team gut an. Ich wurde Kapitän — aber ich musste erst in die Rolle hineinwachsen. Es kostet viel Energie, auf andere mit zu achten, da macht man selbst auch Fehler. Entweder man verkriecht sich dann wieder oder man lernt damit umzugehen und beißt sich durch. Das habe ich getan. Deswegen war es eine wichtige Erfahrung.

Ihre Zeit in Gladbach haben Sie genutzt, um sich den Status "echter Borusse" zu verdienen. Was bedeutet Ihnen das?

Stranzl Sehr viel. Denn so weiß ich, dass ich mich nicht verstellt habe, sondern immer geradeaus war, so oder so. Es ist schön zu hören, wenn so etwas gesagt wird — ich verstehe das als großes Lob.

Hört man das auch bei 1860 München, beim VfB Stuttgart und bei Spartak Moskau über Sie?

Stranzl Ich hoffe es doch. Wenn ich zurückgekehrt bin, hat noch keiner gesagt, er will nicht mehr mit mir zu tun zu haben. Das zeigt mir, dass ich nicht allzu viel falsch gemacht habe.

Von Werner Lorant bis André Schubert hatten Sie in Ihrer Karriere sehr unterschiedliche Trainertypen.

Stanzl Von rustikal und sehr erfahren, sehr taktisch ausgerichtet, offensiv, defensiv — es war alles dabei, würde ich sagen.

2008 waren Sie bei der EM in Österreich und der Schweiz für Österreich dabei. Jetzt hat sich das österreichische Team wieder für die EM qualifiziert. Wie wichtig ist das für den Fußball in Ihrer Heimat?

Stranzl Ich würde eher sagen, für die österreichischen Fußballer ist es wichtig. Denn es spielen ja nur ein paar Nationalspieler in der österreichischen Liga, die anderen sind Legionäre. Das sagt ja auch viel aus. Darum freut es mich für die Spieler und auch die Fans, die ja lange warten mussten. Das Team hatte eine tolle Punktausbeute in der Qualifikation und ich bin mir auch sicher, dass es die Gruppenphase überstehen kann, wenn alle fit sind.

Können Sie sich vorstellen, später im Verband etwas zu machen? Oder doch eher bei Borussia?

Stranzl Nein, einen Job im Verband kann ich mir nicht vorstellen. Ich weiß noch nicht, was kommt. Ich werde vielleicht die Trainerausbildung anfangen, auch mal in den administrativen Bereich anschauen. Es ist nach so langer Zeit gar nicht so leicht, zu sagen, was besser passt.

Gibt es auch die Option, ganz in die Automobilbranche zu wechseln? Sie sind Teilhaber einer Werkstatt in Düsseldorf.

Stranzl Das denke ich nicht. Es funktioniert im operativen Geschäft sehr gut. Ich werde aber weiter meine PR-Sachen machen. Für mich ist es eher ein Ausgleich.

Und ein Traum, den Sie sich verwirklicht haben.

Stanzl Ja.

Sie haben einen Traumberuf als Fußballer, haben sich privat Ihren Traum verwirklicht — das klingt, als müsste Martin Stranzl ein sehr zufriedener Mensch sein müsste.

Stranzl Das sagen mir viele. Es ist aber schwer, alles richtig einzuordnen. Das Wichtigste ist, dass es mir und meiner Familie gut geht. Sicher ist es nicht zufriedenstellend, wie das letzte Jahr bei Borussia für mich gelaufen ist. Das zeigt mir jedoch, dass es die richtige Entscheidung ist, aufzuhören.

Wir der Sommer für Sie ein seltsamer Sommer?

Stranzl Nein, es wird ein wunderbarer Sommer. Weil ich zum ersten Mal mit meiner Familie ganz in Ruhe Urlaub machen kann. Natürlich wird mir auch das Trainingslager fehlen — die Atmosphäre. Aber ich freue mich auf das Neue und das steht im Vordergrund.

Die Atmosphäre in der Kabine werden Sie aber vermissen, haben Sie gesagt. Aber mal ehrlich: Ist es mit 35 nicht manchmal nervig, mit 17- oder 18-Jährigen da zu sitzen?

Stranzl Sicher ist es so. Aber das macht auch das Leben lebenswert. Ich habe ja mit einigen Spielergenerationen zusammengespielt. Es ist interessant, den Wandel zu beobachten. Die Kabinen-Atmosphäre kann man kaum beschreiben, da muss man dabei gewesen sein. Es ist eine witzige Atmosphäre.

Tragen Sie zum Witzigen bei? Oder sind Sie eher der Grantler?

Stranzl Ich kann auch witzig sein. Bei gewissen Sachen schüttelt man sicherlich den Kopf. Man muss auch ernsthaft sein, aber es muss auch Zeit für Lockerheit sein. Ich bin allerdings nicht der Typ, der sich gleich total öffnet, wenn ich neue Leute kennenlerne. Das dauert etwas.

Ist richtige Freundschaft im Fußball-Business möglich?

Stranzl Ja, aber es ist schwierig. Ich würde da eher von Gemeinschaft oder Kameradschaft sprechen. Man sieht, wenn man den Verein wechselt, wie lange es noch hält. Meist verläuft es sich.

Sie haben mal gesagt, Sie werden irgendwann ein Buch über Ihre Karriere schreiben. Stehen die ersten Kapitel schon?

Stranzl Nein, so weit bin ich noch nicht. Aber ich habe viele Ordner zu Hause, in denen Geschichten und Berichte drin sind. Aber es ist noch zu früh dafür. Es soll ja nicht nur ein Lebenslauf werden, sondern etwas Spezielles. Es ist ein Wunschgedanke, dieses Projekt zu machen, mal sehen, ob ich es umsetzen kann. Immerhin habe ich schon den Titel: "Mit uns kann man es ja machen." Der beruht ja darauf, dass es viele falsche Vorstellungen vom Geschäft Fußball gibt, und auch über Fußballprofis. Mir würde es darum gehen, zu zeigen, wie es wirklich ist. Es ist ein schöner, angenehmer Beruf, man wird sehr gut bezahlt. dafür muss man aber auch etwas Kauf nehmen. Darüber aber zu jammern, wäre der falsche Ansatz.

Karsten Kellermann führte das Gespräch.

(kk)
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