Borussia Mönchengladbach Psychologe Mickler: "Bei Borussia ist alles stimmig"

Der Sportpsychologe Werner Mickler spricht über die Faszination des Spiels Gladbach gegen Bayern, die Entwicklung am Niederrhein, die Favoritenrolle der Bayern, Angst, Respekt und einen wichtigen Charakterzug, der nicht allen Trainern gegeben ist.

Borussia gegen Bayern - der große Vergleich
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Foto: dpa, fg nic

Herr Mickler, was ist so interessant am Spiel Gladbach gegen Bayern?

MICKLER Spannend ist vor allem, dass da zwei ganz unterschiedliche taktische Konzepte aufeinandertreffen: der Ballbesitz-Fußball der Bayern und das Konterspiel der Gladbacher. Das erinnert sehr an die alten Zeiten in den 1970er-Jahren. Ich muss gestehen: Damals war ich großer Fan des erfrischenden Fußballs der Fohlenelf. Es war der Gegenentwurf zum unterkühlten Spiel der Bayern. Mich interessiert am Sonntag besonders, wie die Trainerfüchse Lucien Favre und Pep Guardiola ihre Konzepte umsetzen und wie sie auf den Gegner reagieren.

Beide Trainer haben einen ähnlichen Ansatz, der auf dem Fußball des FC Barcelona basiert. Welche Rolle spielt das?

MICKLER Beide Trainer sind sehr akribisch in der Vorbereitung eines Spiels. Sie werden sich viele Gedanken machen, wie man den jeweiligen Gegner in Schach halten kann, sie kennen ganz sicher die Stärken und Schwächen des anderen bis ins Detail. Die große Qualität der beiden ist, dass sie in der Lage sind, aus Fehlern zu lernen. Das ist ein wichtiger Charakterzug, der nicht jedem Trainer gegeben ist. Auf diese Weise können Guardiola und Favre ihre Teams immer weiterentwickeln. Beide passen sehr gut zu ihren Teams und sind in der Lage, den Spielern ihre Ideen zu vermitteln. Wenn man auf Gladbach schaut, sieht man, dass alles zusammenpasst: Der Vorstand, das Trainerteam, die Mannschaft — alle sind von dem, was dort gespielt wird, überzeugt. Der Beobachter hat ganz einfach das Gefühl: Bei Borussia ist alles stimmig. Das ist eines der Erfolgsgeheimnisse der vergangenen Jahre.

Was noch?

MICKLER Sportdirektor Max Eberl und Favre passen sehr gut zusammen. Das ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit. Hinzu kommt, dass die Arbeit der beiden positive Effekte hat, das stärkt den Glauben in das, was gemacht wird. Der Abstieg wurde vermieden, dann hat Gladbach sich sogar für das internationale Geschäft qualifiziert — und all das in relativ kurzer Zeit. Dass die Borussen ganz explizit sagen "Wir bauen hier Schritt für Schritt etwas auf", finde ich gut. Da werden keine Traumschlösser gebaut, sondern es wird mit viel Realismus gearbeitet. Da kann man nur sagen: Kompliment.

Sie haben die 70er-Jahre schon angesprochen: Damals waren Gladbach und Bayern gleichauf. Jetzt sind die Münchner eindeutiger Favorit.

MICKLER Das würde ich so nicht sagen. Sportdirektor Max Eberl und Trainer Lucien Favre haben in Mönchengladbach eine starke Mannschaft aufgebaut, die an einem guten Tag die Bayern besiegen kann — vor allem, wenn die Bayern einen nicht so guten Tag erwischen. Aber natürlich gehen die Münchner aufgrund ihres Standings im Weltfußball immer als Favorit in ein Spiel.

Wie schwer ist es für die Spieler, mit der ewigen Favoritenrolle umzugehen?

MICKLER Jeder Spieler, der zum FC Bayern geht, weiß, dass er mit diesem Druck umgehen muss. Das war immer so und wird immer so sein. Damit müssen die Spieler klarkommen. Aber sie werden auch danach ausgewählt. Wer für Bayern spielt, ist komplett auf Erfolg getrimmt. Im Einzelfall ist es natürlich interessant zu sehen, wie sie damit umgehen.

Das Dogma der Bayern ist "Mia san mia" — was sagt das über das Selbstverständnis?

MICKLER Die Bayern wissen, dass sie gut sind — auch in der Breite, sie sind besser aufgestellt als die anderen Bundesligavereine. Daraus ergibt sich der Anspruch, immer vorn sein zu müssen. Aber wir haben ja gesehen, wie es geht, die Bayern zu besiegen. Real Madrid hat das im Halbfinale der Champions League vorgemacht.

Borussias Trainer Lucien Favre spricht oft davon, dass man "Respekt, aber keine Angst" vor einem Gegner habe. Darf man vor allem gegen die Bayern keine Angst haben?

MICKLER Angst darf man grundsätzlich nicht haben im Fußball, denn die lähmt. Respekt hingegen ist sehr wichtig. Wer Respekt vor dem Gegner hat, wird ihn nie unterschätzen und geht daher grundsätzlich mit der richtigen Einstellung ins Spiel.

Die meisten Teams spielen sehr defensiv gegen die Bayern, um eine hohe Niederlage zu vermeiden. Ist das der richtige Ansatz?

MICKLER Das kann man nicht generell sagen. Die Art, wie man gegen die Bayern spielt, hängt vom Team ab, das man hat. Für die Gegner der Bayern geht es meist zunächst darum, Sicherheit zu haben und nicht zu früh ein Gegentor zu bekommen. Dann kann man nach und nach auch etwas nach vorne versuchen. Ich verweise noch einmal auf Real Madrid, das optimal gegen die Bayern gespielt hat.

Einer, der da noch für Madrid spielte, ist Xabi Alonso, der jetzt bei den Bayern ist. Er ist der König der Ballbesitzer. Flößt das einem Gegner Angst ein?

MICKLER Das nicht, aber jeder hat Respekt vor einem solchen Spieler, der ja in seiner Karriere alles erreicht hat. Was aber nicht heißt, dass man ihn gewähren lässt. Favre wird sich ein Konzept überlegen, um Alonsos Qualitäten etwas entgegenzusetzen. Wenn es die Borussen schaffen, die Bayern nicht in die gefährlichen Räume kommen zu lassen, sondern sie zwingt, nur in die Breite zu spielen, nützt auch der ganze Ballbesitz nichts.

Welche Rolle spielt in einem solchen Spiel der historische Hintergrund?

MICKLER Gerade für die älteren Fußball-Fans weckt es natürlich die Erinnerung an die großen Spiele von früher. Aber man darf die Geschichte nicht zu sehr strapazieren, dann besteht die Gefahr, dass man sich darin verstrickt. Allerdings ist der Ansatz der Borussen, sich auf die positiven Aspekte ihrer Vergangenheit zu beziehen, wie die Fohlen-Philosophie, gut. Daraus ergibt sich eine Strategie, die zum Klub passt und daher authentisch ist.

Karsten Kellermann führte das Gespräch

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