Borussia Mönchengladbach Rebecca Gablé: "Mein ganzer Stolz ist meine VfL-Gummi-Ente"

Mönchengladbach · Rebecca Gablé, Autorin historischer Romane, spricht über Borussias Erfolgsgeschichte als Literatur-Sujet, Günter Netzer und ihr Fan-Sein.

Welchem literarischen Genre würden Sie die abgelaufene Saison der Borussen zuordnen und warum?

Gablé Dem Entwicklungsroman. Zu Saisonbeginn musste die Mannschaft nach dem Weggang von ter Stegen und anderen Veränderungen erst wieder zu sich selbst finden, genau wie der Held im Entwicklungsroman. Nur die Einbrüche und Tiefpunkte, die diese Romanform kennzeichnen, sind uns Borussia-Fans zum Glück weitgehend erspart geblieben, wenn man mal vom Aus in der Europa-League und dem DFB-Pokal absieht.

Wie hat sich Borussias Aufschwung seit 2011 für Sie angefühlt? Wie ein Märchen, das so beginnen könnte: Es war einmal ein Fast-Absteiger …?

Gablé Absolut. Angefangen hat dieser Aufschwung allerdings eher wie ein Thriller. Die beiden Relegationsspiele werde ich niemals vergessen, ich glaub‘, die haben mich Jahre meines Lebens gekostet!

Wechseln wir die Perspektive: Sie sind jetzt nicht mehr die Autorin Rebecca Gablé, sondern der Gladbach-Fan Rebecca Gablé. Erzählen Sie mal, wie Sie ein Spiel im Stadion schauen. Werden Sie auch laut?

Gablé Ich bin jedes Mal überwältigt von der Atmosphäre im Borussia-Park. Ich bin gern früh da, um einfach die Schönheit des Stadions auf mich wirken zu lassen, und je voller es wird, desto mehr positive Energie spürt man bzw. hört man — vor allem natürlich aus der Nordkurve. Laut werde ich eher nicht, das ist nicht so mein Ding, aber ich lasse mich gerne von Stadionsprecher Torsten Knippertz zu Sprechchören animieren.

Haben Sie ein Trikot daheim? Und wer ist aktuell Ihr Lieblingsspieler und warum?

Gablé Kein Trikot, aber verschiedene Schals, natürlich eine Raute auf dem Auto, und mein ganzer Stolz ist meine VfL-Gummi-Ente. Für einen Lieblingsspieler kann ich mich nicht entscheiden.

Sie verbringen viel Zeit in Ihrem Haus auf Mallorca. Würden Sie nach Barcelona oder Madrid reisen, wenn es Borussia in der Champions League dorthin verschlägt?

Gablé Könnte ich mir durchaus vorstellen.

Als Mönchengladbacherin: Würden Sie Lucien Favre ein Denkmal setzen, so wie es viele Fans vorgeschlagen haben?

Gablé Verdient hätte er's, aber ich glaube, ihm wäre das unangenehm, also lassen wir's doch vielleicht lieber.

Sie waren zuletzt in Israel. Borussia hat seit langer Zeit sehr gute Beziehungen dorthin. Wurden Sie als Mönchengladbacherin auf Ihren Reisen oft auf Borussia angesprochen? Generell: Wie wichtig ist Borussia für Ihre Heimatstadt?

Gablé Mönchengladbach ist eine sympathische Stadt, die viel zu bieten hat, aber nur Borussia verleiht ihr ein bisschen Flair der großen, weiten Welt. Wenn man im Ausland sagt, man kommt aus Mönchengladbach, passiert eins von zwei Dingen: Das Gegenüber sagt "Ja, in München war ich auch schon mal" oder aber "Was macht Borussia?" Der internationale Bekanntheitsgrad des Vereins ist enorm, und in Israel ist es uns sogar mehrfach passiert, dass wir von Taxifahrern, Ladeninhabern oder Reisenden aus anderen Ländern darauf angesprochen wurden. Immer wieder erstaunlich dabei: Borussia Mönchengladbach ist nicht nur bekannt, sondern genießt im Ausland generell sehr große Sympathien. Ich freue mich immer, wenn ich das erlebe.

Wieder eine Frage für die Kulturschaffende: Günter Netzer, die Ikone der Fohlenelf, galt als einer der ersten Fußballer, die es auch in die Feuilletons geschafft haben. Was war aus intellektueller Sicht so interessant an dieser Figur?

Gablé Ich glaube, es liegt daran, dass Günter Netzer "der Rebell am Ball" war. Alle lieben einen Rebellen, sogar das Feuilleton. Er war ein Rockstar, ist nach New York zu einer Party bei Frank Sinatra gejettet, während der Rest der Fohlenelf brav trainierte, und das hat wohl alle fasziniert, weil Fußballer sich damals einfach nicht so verhielten. Darüber hinaus ist Günter Netzer ein kluger Kopf und hat immer gesagt, was er dachte, ganz gleich, wem er damit auf die Zehen trat. Authentisch, unaufgeregt und schonungslos aufrichtig, so wie man ihn auch als Gerhard Dellings Co-Kommentator kannte (und heute schmerzlich vermisst), hat er intelligente Dinge zu sagen, die anzuhören nicht immer angenehm, aber meistens lohnend sind.

Sie entwerfen einen detaillierten Plan für Ihre Romane. Auch Lucien Favre entwickelt einen Plan für eine Saison, für jedes Spiel. Nur: Er kann das Drehbuch nicht selbst verfassen, er ist vielen Variablen unterworfen — dem Gegner, Schiedsrichterentscheidungen, Glück und Pech. Sind Sie im Vorteil, weil Sie wissen, wie Ihre Geschichten ausgehen?

Gablé Auch die Entstehung eines Romans ist Glück und Pech unterworfen, und Pläne werden beim Schreiben genauso schnell Makulatur wie im Fußball. Aber der Unterschied ist, dass Lucien Favre viele Individuen zu einer optimalen Teamleistung zusammenbringen muss, während wir Schriftsteller Einzelkämpfer sind und meist allein im stillen Kämmerlein sitzen. Beides hat Vor- und Nachteile, denke ich.

Ist es gerade seine Offenheit und Unberechenbarkeit, die den Fußball so faszinierend macht?

Gablé Ich glaube, was den Fußball so unwiderstehlich macht — genau wie einen guten Roman —, sind die Emotionen, die er hervorruft. Innerhalb von 90 Minuten kann man Tragik und Komik, Heldentaten und Schicksalsschläge erleben, und vor allem auch immer das Unerwartete. Das ist wie eine Parabel auf das richtige Leben, und darum packt es uns auf der Gefühlsebene.

Wie würde Ihre Geschichte für die neue Saison aussehen? Ein kurzes Exposé bitte. Würden Sie in einer Fiktion Borussia sogar Meister oder Champions-League-Sieger werden lassen?

Gablé Ich schreibe ja über die Vergangenheit, keine Zukunftsromane, darum muss ich bei dem Exposé leider passen. Aber gute Fiktion muss immer so plausibel sein, dass die Realität sich darin spiegelt. Darum, fürchte ich, würde Borussia bei mir weder Deutscher Meister noch Sieger in der Champions League. Aber Vizemeister? Oder Pokalsieger? Warum nicht …

Karsten Kellermann führte das Gespräch.

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