Borussia Mönchengladbach Schubert — für Guardiola eine unbekannte Größe

Mönchengladbach · Der Bayern-Trainer kann den Gladbacher Kollegen und seine Winkelzüge noch nicht bis ins letzte Detail einschätzen. Das war bislang anders, wenn es gegen Borussia ging. Denn Schuberts Vorgänger Lucien Favre war ein fußballerischer Bruder im Geiste des Spaniers.

 André Schubert trifft erstmals auf Pep Guardiola.

André Schubert trifft erstmals auf Pep Guardiola.

Foto: Angelika Schreiber/Rüdiger Quast

1971 ist ein guter Jahrgang für Fußball-Trainer. Das jedenfalls lässt die Tabelle der Bundesliga seit dem sechsten Spieltag vermuten. Der FC Bayern und Borussia führen das Klassement an, beide sind unbesiegt geblieben in den vergangenen neun Spielen (die Bayern auch zuvor). Die Trainer beider Mannschaften wurden 1971, also im Jahr der zweiten Meisterschaft Borussias, geboren: Josep "Pep" Guardiola, Coach der Bayern, am 18. Januar, André Schubert, sein Pendant in Gladbach, am 24. Juli. Der gleiche Jahrgang, zudem die gleiche "Frisur".

Guardiola coacht indes im Designerzwirn, Schubert trägt meist den zum Kultobjekt gewordenen (und bei Borussia längst ausverkauften) grünen Kapuzenpulli. Guardiola hat einen Wandschrank voller Titel eingesammelt als Spieler und als Trainer, es gibt zig Bücher über ihn, für Guardiola ist selbst der Titel Fußball-Professor zu klein: Er ist, schreibt Dietrich Schulze-Marmeling, ein "Fußball-Philosoph". "Ich bin von Pep Guardiola so weit entfernt wie die Sonne vom Mond. Er hat eine ganz andere Erfahrung, eine ganz andere Vita, hat auf ganz anderen Ebenen gespielt", sagt Schubert. Er mag keine Eins-zu- Eins-Vergleiche, "da wird mir alles zu sehr auf eine Person reduziert". Für Schubert ist Fußball ein System, in dem alles und alle zusammen funktionieren müssen, sonst geht es nicht.

Er ist Novize in der Bundesliga. Doch keineswegs ein Anfänger. Schubert war einer der Jahrgangsbesten bei der Trainerausbildung, hat den SC Paderborn zum Aufstieg in die Zweite Liga geführt und zeitweise beim FC St. Pauli für Aufsehen gesorgt. Er hat das Nachwuchsleistungszentrum in Paderborn geführt und die U15 des DFB. Außerdem ist er Protagonist in dem Film "Trainer!" von Aljoscha Pause. In welche Trainer-Schublade er passt, darüber mag er sich keine Gedanken machen: "Laptoptrainer" oder "Konzepttrainer" — "damit kann ich nichts anfangen", sagt er. Schubert will Schubert sein, "ich kopiere niemanden".

Am Samstag treffen sich beide Fußball-Lehrer zum ersten Mal beruflich. Die gesamte Bundesliga schaut gespannt auf den Borussia-Park. Schubert ist aktuell das Hippeste, was die deutsche Trainerlandschaft zu bieten hat. Er hat neun Bundesligaspiele hinter sich und ist noch unbesiegt. Er hat Rekorde ein- und aufgestellt, seine Mannschaft spielt aufregenden Fußball. Nun misst er sich mit dem Mann, dem nachgesagt wird, der beste lebende Trainer der Welt zu sein.

Schubert gegen … NEIN!!! Einspruch!!! Das will Schubert gar nicht erst hören. Nicht er spiele gegen Guardiola, merkt er an. Wenn es so wäre, beim Eins gegen Eins, sagt er mit einem Grinsen, dann würde er wohl verlieren, schließlich sei der Katalane "eine Klasse besser". Er Ballbeselbst hat es immerhin in die hessische Oberliga gebracht, und der Ball "ist nicht vor mir weggelaufen". Doch Guardiola, der Kicker, das war eine andere Hausnummer. Also noch mal neu: Borussia mit Trainer Schubert fordert die Bayern mit Trainer Guardiola heraus. "Es ist die Qualität der Spieler, die ein Spiel entscheidet, der Trainer hat nur seinen Anteil daran mit der Idee, wie gespielt wird", sagt Schubert. "Darauf können wir uns einigen." Und darauf: Trotz der erwähnten Moment-Tabelle ist Borussia mit den Bayern "nicht auf Augenhöhe". Kein deutscher Klub könne den Anspruch haben, und auch nur wenige in der Welt.

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Foto: RPO/Dirk Päffgen

Trotzdem trauen die Experten Gladbach zu, den Bayern die erste Niederlage dieser Bundesliga-Saison zuzufügen. Weil die Mannschaft schön, gut und erfolgreich spielt in diesen Wochen. Aber auch Schubert ist ein Argument derer, die an Gladbachs Sieg glauben. Denn für Guardiola ist Schubert eine unbekannte Größe: Er kann den Kollegen und dessen Winkelzüge noch nicht bis ins letzte Detail einschätzen. Das war bislang ganz anders, wenn er es mit Borussia zu tun bekam. Denn Schuberts Vorgänger Lucien Favre war Guardiolas fußballerischer Bruder im Geiste.

Beide sind beseelt vom Stil des FC Barcelona, dessen Ur-Vater Johan Cruyff ist. Guardiola hat als einer von Cruyffs Erben Barca weiterentwickelt, Favre hat einige Zeit beim großen Niederländer hospitiert. Guardiola schätzt Favres Arbeit sehr. "Er ist einer der besten Trainer, die ich je getroffen habe", sagt er. Beide predigen das Dogma des Ballbesitzes, bestenfalls sollen ihre Teams den Gegner mit unfassbarer Dominanz erdrücken. Guardiolas "Barca", das war Tiki Taka in Reinkultur, und nicht ohne Grund wurde Favres Entwurf von Borussia zwischenzeitlich "Borussia Barcelona" genannt. Hin und her, her und hin, hin und her lief der Ball auf der Suche nach der wahren Lücke. Favre ist ein Kontrollfreak. Seine Teams sollen das Spiel total beherrschen, er gönnt dem Gegner nicht den Ball und das Spiel, das Ziel ist, sich der Perfektion möglichst anzunähern. Perfektion heißt: Fehlerfreiheit. Weswegen Favres Ansatz war, Fehler, die seine Spieler machten, aufzuzeigen, aufzuarbeiten und so zu beheben. Schubert hingegen erlaubt Fehler und gibt den Spielern Freiheiten.

"Hochspannend " fand Schubert früher das Spiel von Guardiolas Barcelona. "Wenn man sich im letzten Jahrzehnt mit Fußball beschäftigt hat, ist natürlich Barcelonas Spiel mit einem unfassbar hohen Ballbeselbst sitz und einer unglaublich interessanten Art Fußball zu spielen, sehr interessant", sagt Schubert. Damit meint er vor allem das Defensivspiel: "Wie kriegst du diesen hohen Ballbesitz hin? Wie reagierst du bei Ballverlust? Dem Gegenpressing hat Barca ein richtiges Gesicht gegeben", weiß Schubert. Ballbesitz, Balleroberung, Gegenpressing, Umschaltspiel, das sind auch wesentliche Elemente seines Ansatzes. Während Favre den Borussen Geduld als oberstes Gebot vorgab und das Spiel geflissentlich aus der Tiefe entwickelt wurde, erlaubt Schubert mehr Risiko: Der Ball ist nicht nur Besitz, sondern auch Beute, offensive Wucht ist ihm wichtiger als totale defensive Kontrolle. Sein Ansatz entspricht daher dem Ur-Typ des Borussen-Spiels: Auch Hennes Weisweiler ließ die frühen Fohlen auf Teufel komm raus stürmen. Entscheidend ist, nicht ins eigene Verderben zu rennen. Schuberts Antwort darauf ist Empathie: ein Sich-Einfühlen ins Spiel des Gegners, um es zu antizipieren und dann mit dem eigenen Ansatz darauf zu reagieren. "Wir spielen unseren eigenen Fußball. Das heißt: aktiv sein, den Ball haben, ohne uns das schnelle Umschaltspiel nehmen zu lassen. Und Risiko zu gehen, aber nicht um jeden Preis und in jeder Situation. Da gebe ich meinen Offensivspielern viel eigenen Entscheidungsspielraum", sagt Schubert.

Er versteht das Spiel als Prozess, er spricht nicht von System, sondern von einer Idee, er sucht nach Räumen, die der Gegner bietet, und die ergeben sich aus dem Ansatz des Spiels. Er hat genau hingeschaut, wie Borussia Dortmund bei den Bayern gespielt hat, beim 1:5, und er hat gesehen, wie brutal die Bayern auf Dortmunds Art reagiert haben: Dortmund presste hoch, um das Aufbauspiel der Bayern zu stören, die Bayern stellten ihr Spiel um: "Sie haben die Bälle hoch über die Abwehr gechipt statt von hinten rauszuspielen mit drei Doppelpässen", sagt Schubert.

In der vergangenen Saison hat Lucien Favre den Prototyp der Taktik gegen die Bayern entworfen — beim 2:0 in München. Borussia stand tief, aber hochkonzentriert, sie mauerte nicht, sondern verteidigte kunstvoll. Die vorderste Spitze André Hahn lief dabei immer wieder Aufbauspieler Xabi Alonso an und ließ ihm keine Muße bei der Spielentwicklung. Folge: Die Bayern hatten nahezu keine Torchance. Unter anderem dieses Spiel entlarvte: Die Bayern waren in der vergangenen Saison auf höchstem Niveau zu eindimensional. Heute sind sie unfassbar variabel in ihren Mitteln und Möglichkeiten. So haben sie auf jede Idee des Gegners eine Antwort — zuweilen, bevor er sie hat.

Das Spiel gegen die Bayern ist für André Schubert die bislang größte Herausforderung. Sein Team muss die Räume finden, in denen die Bayern anfällig sind — ohne sein Spiel zu verändern. Zudem darf es selbst eigentlich keine Räume bieten. Es ist ein Balance-Akt. Die Bayern sind stets eine Herkules-Aufgabe. Das Ziel ist aber klar: "Wir werden einen Plan für das Spiel entwickeln, wie wir die Bayern knacken können. Und egal wie es läuft: Wir werden ganz viel Erfahrung sammeln." Borussias Spieler. Und ihr Trainer.

(kk)
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