Borussia Mönchengladbach Stranzl und Rolfes — die guten alten Männer

Mönchengladbach · Wenn sich Simon Rolfes und Martin Stranzl mal verabreden wollten, würden sie sich anrufen, eine SMS oder E-Mail schicken. Wenn die Verabredung weit genug in der Zukunft liegen würde, täte es vermutlich auch eine Einladung per Post. Was die Kapitäne von Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach aber in keinem Fall tun würden, ist, sich eine Nachricht via Facebook zu schreiben. Denn in einer medial omnipräsenten Branche, in der Mesut Özils Profil bei Facebook 27 Millionen "Gefällt mir!"-Angaben vorweisen kann, in der ein Lukas Podolski 2,5 Millionen Follower bei Twitter hat und 2,8 Millionen Menschen verfolgen, was ein Mario Götze bei Instagram postet, da verweigern sich Rolfes und Stranzl in trauter Verbundenheit dem Treiben in den sozialen Netzwerken.

 Martin Stranzl und Simon Rolfes (re.)

Martin Stranzl und Simon Rolfes (re.)

Foto: dpa / Kombo rpo

Warum? "Weil ich das für eine gnadenlose Zeitverschwendungsmaschine halte. Ich rufe meine Freunde an, und ich muss auch nicht nachlesen können, ob sie abends Pizza essen. Das ist ein Trend in der Gesellschaft, der sehr starke Auswirkungen haben kann, der die Leute nervös macht. Es ist also stressfrei für mich, das Ganze gar nicht erst mitzumachen", sagte Rolfes bereits vor drei Jahren im Trainingslager an der Algarve.

An seiner Überzeugung hat sich seitdem nichts geändert. Und selbige Überzeugung ist auch bei Martin Stranzl inzwischen gereift. "Es kostet alles so viel Zeit, und ich sehe keinen Sinn darin. Wenn du im Mannschaftsbus sitzt, guckst du die ganze Zeit nur aufs Handy, anstatt dich zu unterhalten oder mal was zu lesen", sagt er.

Die Abstinenz von dem, was mancher Berater heute für seinen Schützling in Sachen Markenbildung und Werbeattraktivität dringend notwendig erachtet, ist dabei nur ein Punkt, in dem sich Rolfes und Stranzl von vielen ihrer Berufskollegen unterscheiden. Der 33-jährige Leverkusener und der 34-jährige Borusse wollen so gar nicht ins Schema F der Vorurteile über Fußballprofis passen. Die Hektik des Geschäfts, die Hektik der Öffentlichkeit — beides lassen beide nur bedingt an sich ran. Trotzdem gelten beide als Musterprofis, sind im Verein bei Verantwortlichen wie Mitspielern als Führungskräfte anerkannt. Über diese Führungsrolle Stranzls beispielsweise spricht sein Innenverteidiger-Kollege Tony Jantschke fast schon in demütigem Respekt: "So etwas könnte ich auf diese Art nie werden."

Was Rolfes' innere Gelassenheit in vielen Momenten seiner Karriere befeuert haben dürfte, ist die Tatsache, dass für den Sohn eines Lehrerehepaares aus Ibbenbüren im Münsterland der Weg des Fußballprofis nur eine von vielen denkbaren Optionen war. Er hatte Talent, also versuchte er es mal. Aber er hatte auch das Abitur, und wenn es mit dem Fußball nicht geklappt hätte, hätte er sicherlich auch mit Freunden Wirtschaftswissenschaften studiert. Doch seine Qualitäten waren eben da, und so spielt der Blondschopf nun schon seit 2005 in Leverkusen, ist seit Jahren quasi der naturgegebene Kapitän der Werkself und lief auch 26 Mal für die Nationalmannschaft auf.

Wenn im Mannschaftshotel beim Frühstück Zeitungen ausliegen, greift Rolfes zunächst nach den Wirtschaftsteilen. Die macht ihm im Regelfall auch kein Mitspieler streitig. Rolfes interessiert sich für die Finanzwelt. Er ist selbst seit Jahren an der Börse aktiv, hat unzählige Bücher über Anlagestrategien und Wirtschaftszusammenhänge gelesen und gilt selbst unter Experten als seriöser Fachmann. Rolfes studiert Sportmanagement an der FH Koblenz.

"Klar ist, dass ich nach meiner Karriere im Sport-Management arbeiten möchte", sagte er neulich. Im Sommer beendet der zweifache Familienvater, der täglich fast 70 Kilometer zwischen seinem Wohnort Eschweiler und der Bay-Arena pendelt, seine Karriere. Auf eigenen Wunsch. Weil er zwar als Musterprofi, aber eben durchaus auch als cleverer Anwalt eigener Interessen gilt, eckt er zuweilen auch schon mal an. In seinen Interview-Aussagen lohnt es sich jedenfalls, stets auch zwischen den Zeilen zu lesen.

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Foto: Imago

Stranzl-Interviews werden auf der anderen Seite von Borussias Anhängerschaft ebenfalls mit großem Interesse verfolgt. Weil der Österreicher genauso wenig mit seiner Meinung hinter dem Berg hält und eben auch mal den Blick über den Tellerrand des Fußballs hinaus bietet. Im Trainingslager im Januar hinterfragte Stranzl so dann auch mal die grassierende Glorifizierung der Besten seines Fachs.

"Ich glaube nicht, dass es im Fußball wirkliche Helden gibt. Dafür sind andere Menschen zuständig. Wir konnten unser Hobby zum Beruf machen und unterhalten die Leute in modernen Arenen. Sport ist insofern wichtig, als er Menschen ablenkt. Dafür sind wir zuständig. Aber es gibt Wichtigeres im Leben", sagte er.

Wichtigeres im Leben? Für manch jungen Spieler heutzutage unvorstellbar. Für Stranzl seine Sicht der Dinge. Er liebt seinen Beruf und freut sich, noch ein weiteres Jahr in Mönchengladbach dran zu hängen. Aber er ist vor allem auch Familienmensch. Keiner, der sich ein Leben ohne das runde Leder nicht vorstellen könnte. Auch wenn er wegen eines Ödems am Kniegelenk bis Saisonende nicht mehr spielen wird, Stranzl hat seinen Wert für Borussia in dieser Spielzeit einmal mehr unter Beweis gestellt. Er zählt zu den besten Zweikämpfern der Liga, und er schafft es — das geben die Kollegen unumwunden zu —, die Nebenleute besser zu machen.

"Ja, allein durch seine Präsenz. Das ist unbestritten, das weiß jeder. Martin ist unser Turm. Er hat so viel erlebt, so viel Erfahrung. Er bleibt auch mal ruhig, wenn es im Spiel mal schlecht läuft. Er ist der Stamm, an dem sich jeder aufrichten kann", sagt Jantschke. Stranzls Leistung hat Gewicht auf dem Platz. Stranzls Art hat Gewicht in der Kabine. Das wissen auch die Verantwortlichen.

Neben Fußball, Familie und Freunden gibt es aber auch für den Österreicher, der 2009 aus der Nationalmannschaft zurückgetreten ist, noch eine andere Leidenschaft: Autos. 2013 eröffnete er in Düsseldorf gemeinsam mit einem Partner eine Werkstatt, in der er Oldtimer restauriert oder Autos gemäß der Wünsche der Kunden aufarbeitet. "Genauso wie wir Inspektionen für Ferraris, Porsche und Oldtimer anbieten, bieten wir die gleichen Leistungen für kleinere Fahrzeuge an", erzählt Stranzl.

Borussias Sportdirektor Max Eberl äußerte sich bei der Eröffnung des Showrooms voll des Lobes darüber, dass sein Spieler schon an Zeit nach der Karriere denke. Das ist vielleicht der zentrale Punkt der Gemeinsamkeiten zwischen Rolfes und Stranzl. Keiner von beiden wird in ein Loch fallen, wenn die Laufbahn vorbei ist. Im Gegensatz zu vielen anderen. Aber die zwei sind eben nicht wie viele andere. Sie sind so, wie immer weniger sind in der Fußballer-Szene. Typen, keine Marken. Auch ohne Facebook-Auftritt.

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