Borussia Mönchengladbach Favre spielt "Fünf gewinnt" und Korb feiert Premiere

Mönchengladbach · Borussia hat die Rückkehr vom Rausch in den Alltag schadlos überstanden. Nach dem 2:0 gegen Paderborn blühen die Champions-League-Ambitionen weiter auf. Dabei konnten selbst der Wochentag und die Rotation den VfL nicht stoppen.

Borussia Mönchengladbach - SC Paderborn 07: die Bilder zum Spiel
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Borussia - Paderborn

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1. Zwölf plus eins plus mehr

Nicht wenige Stimmen meinten, dass die Saison nach 34 Pflichtspielen in drei Wettbewerben gegen Paderborn noch einmal von vorne beginnen werde. Da der Borussia noch mehr als ein Saisondrittel in der Bundesliga plus der DFB-Pokal blieb, lautete die Formel: zwölf plus eins plus hoffentlich noch mehr. Nach so einem Spektakel wie dem 2:3 gegen Sevilla gibt es leichtere Aufgaben, als sich für den Alltag in der Liga zu motivieren, selbst wenn der Alltag nicht einmal mit dem Attribut "trist" versehen ist. "Von der Party ins Büro", titelte die "Süddeutsche Zeitung" am Freitag. Angesichts einer gewissen Verkaterung war es zunächst einmal ein gutes Zeichen, dass am Sonntag 53.152 Menschen im Borussia-Park aufschlugen und die zigtausend Zuschauer auf den Rängen, die der Europa-League-Party nicht beiwohnen konnten, viel Geduld mitgebracht hatten.

2. 80-Prozent-Borussia

Zum zweiten Mal in Folge bekam es die Borussia mit einem Bayern-Gedemütigten zu tun. Erst ging es gegen die 0:8-Hamburger, nun gegen die 0:6-Paderborner, deren Trainer André Breitenreiter sich nach der Klatsche gegen den Rekordmeister aufrichtig — und vor allem: ehrlich — "für das tolle Erlebnis" bedankt hatte. Eine Woche später konnte er sich mit seiner Mannschaft glücklich schätzen, dass ein "tolles Erlebnis" in Mönchengladbach durchaus mit einem kontrollierten 2:0-Sieg gleichzusetzen ist. Mit demselben Sturm und Drang wie gegen Sevilla hätte die Reise an den Niederrhein für die stets bemühten, aber letztlich nur zehn Minuten gefährlichen Ostwestfalen böse enden können. Auf der anderen Seite konnte eine 80-Prozent-Borussia froh darüber sein, dass der erste Arbeitstag nach dem Vollrausch nur Papierkram und lockere Meetings auf der Agenda hatte.

3. Fast kein Grund zur Sorge

Und so wird es angesichts des nunmehr gefestigten dritten Tabellenplatzes immer schwieriger, eine Zielsetzung zu formulieren wie: Wir wollen in einer Saison, in der so viele Punkte wie selten für die Champions League reichen, unbedingt unseren Vorsprung verspielen, um erneut in der Europa League anzutreten. Vor allem die Spieler sind in ihren Aussagen mittlerweile weit entfernt von derartigem Understatement. Seit der Winterpause hat die Borussia sich um je fünf Punkte von Leverkusen, Schalke und Augsburg abgesetzt. Mehr Zähler in der Rückrunde hat ohnehin nur Wolfsburg gesammelt. Und der Vorsprung auf den Viertplatzierten Leverkusen ist das drittgrößte, was diese enge Liga zu bieten hat. Nur die Bayern liegen komfortabler vor Wolfsburg, nur Wolfsburg liegt komfortabler vor Gladbach. Einzig das Restprogramm ruft zur Vorsicht auf.

4. "Defense wins…"

Dass die Borussia in der oberen Tabellenhälfte die wenigsten Tore vorzuweisen hat (31), ist nicht zu widerlegen. Allerdings sind 18 Gegentore die beste Bilanz nach den Bayern mit ihren zehn Gegentoren, denen das Team von Lucien Favre in dieser Wertung näher ist als den Verfolgern Wolfsburg und Schalke (je 27). Somit lässt sich eine englischsprachige Fußball-Weisheit auf Gladbach umdichten: "Offense wins games, but defense wins a Champions League spot." Es könnte sein, dass Borussias starke Abwehr am Ende einen Platz in der Königsklasse beschert. Eine Mannschaft wie Wolfsburg kann sich bei vier Gegentoren in Leverkusen und drei in Bremen darauf verlassen, dass sie genügend Pulver hat, um mit fünf Toren zu antworten. Die Borussia kann das nicht und weiß es wohl selbst am besten.

5. Seltene Co-Produktion

In Hamburg fiel ein sensationelles Tor, als Max Kruse mit seiner weitaus mehr als 200. Ecke im Borussia-Trikot den Kopf von Joker Branimir Hrgota fand. Gegen Paderborn haben sich Julian Korb und Fabian Johnson an solch einer "Blauen Mauritius" des Toreschießens versucht. Im 52. Pflichtspiel für den VfL lieferte Korb seinen allerersten Assist. Johnson wiederum erzielte im 21. Pflichtspiel sein erstes Tor, das obendrein sein erstes in der Bundesliga seit dem 25. November 2012 war. Es war in der 18. Minute eine Co-Produktion zweier Spieler, die mitunter ein Rätsel sind: Mit Korb hinten rechts kassiert die Borussia deutlich weniger Gegentore, zudem hat der 22-Jährige in der Rückrunde bei vier Siegen und einem Unentschieden auf dem Platz gestanden, 6:1 Tore. Johnson kam mit den Lorbeeren einiger "Weltklasse-Spiele" (O-Ton Berti Vogts) bei der WM nach Gladbach. Dann stritt er sich mit Trainer Favre über den medialen Umweg darüber, ob Max Eberl einen rechten Außenverteidiger oder einen linken Mittelfeldspieler verpflichtet hat. Nur weil Johnson jetzt vermehrt letzterer sein darf, konnte Korb ihm überhaupt den Ball auflegen.

6. Rein, nicht immer nur raus

Es ist eine Weile her, dass man Patrick Herrmann getrost einen "Youngster" hätte nennen können. Das jugendliche Aussehen wird er sich wohl bis zu seinem Karriereende bewahren, aber fünf Jahre und 151 Spiele Bundesliga-Erfahrung verleihen dem Saarländer fast schon etwas Haudegenhaftes. Mit 24 kann Herrmann in seinem Lebenslauf bereits den Abstiegskampf, die Relegation, die Champions-League-Play-offs, eine DFB-Nominierung und die Europa League notieren. Wenn es ihn nicht bald ins Ausland zieht, könnte er sich zum Auswechselkönig der Bundesliga-Geschichte aufschwingen, in Kürze macht er die 100 voll. Gelegenheiten wie gegen Paderborn ergeben sich eher selten. Ein Jokertor war ihm in der Liga erst einmal gelungen — sein allererstes erzielte er 2010 bei einem traurigen 1:6 in Hannover als Einwechselspieler. Da hat jemand schon einiges erlebt.

7. Es geht auch sonntags

Julian Korb bereitet ein Tor vor, Patrick Herrmann trifft als Joker — offenbar war der Tag wie gemacht für seltene Ereignisse. Es war ja nicht so, dass die Borussia in dieser Saison noch gar kein Sonntagsspiel gewonnen hatte. Doch das 3:1 gegen Hoffenheim folgte nun einmal auf das Pokalspiel in Frankfurt. Deshalb trug das Favre-Team bis Sonntag diese schreckliche Bilanz von sieben Unentschieden und zwei Niederlagen im Anschluss an Europapokal-Einsätze mit sich herum. Die letzte Chance hat Gladbach genutzt und sich dabei nicht davon verunsichern lassen, dass Paderborn bis dato keines seiner fünf Sonntagsspiele in der Bundesliga verloren hatte.

8. "Fünf gewinnt"

Null gegen Freiburg, sechs gegen Hamburg — das sind die Extreme des Rotationsprinzips von Lucien Favre. Sein Saisonschnitt liegt bei 3,5 Veränderungen in der Startelf. An das eine Extrem reichte Favre weitaus häufiger heran, gegen Paderborn brachte er zum zehnten Mal fünf Neue. Das war im Herbst noch meistens gut gegangen, die Volle-Hand-Rotation bescherte Gladbach zwei Siege und drei Unentschieden. Doch dann folgten vier 0:1-Niederlagen in Folge, weniger schien plötzlich mehr zu sein. Auch dieser Fluch ist vorerst besiegt.

9. "Nie mehr Zweite Liga"

Dass Borussias Fans jetzt abgehoben sind, ist nicht zu vermuten: Ihre Mannschaft knackt die 40-Punkte-Marke und nur vereinzelt singt jemand "Nie mehr Zweite Liga". Jahrelang war der Zeitpunkt, zu dem das Lied angestimmt wurde, ein zuverlässiger Indikator für den Zustand des Vereins. Im Relegationsjahr dauerte es 35 Spiele und 87 Minuten. In den Abstiegsjahren wurde freilich gar nicht gesungen. 2012 standen Marco Reus und Co. etwas irritiert vor dem Gästeblock in Wolfsburg, der am 20. Spieltag das Wesentliche zu feiern wusste. In den 20 Spielzeiten seit Einführung der Drei-Punkte-Regel hat Gladbach es nur damals früher geschafft als dieses Jahr. Oft genug hieß es auch ohne 40 Punkte "Nie mehr Zweite Liga", erst zum achten Mal seit 1995 hat die Borussia diese Marke erreicht, nun schon zum vierten Mal in Folge.

10. Abnabelungs-Experten

Dante könnte der vorerst letzte Borusse gewesen sein, dem diese Ehre zuteil wurde. Der letzte Borusse, bei dem noch einigermaßen gebangt wurde, ob an den Abwanderungsgerüchten etwas dran ist, obwohl die Hoffnung nach dem Marco-Reus-Schock gering war. Selbst bei Marc-André ter Stegen machte es den Eindruck, als hätten sich alle schnell damit abgefunden, dass das mit Barcelona mehr als nur heiße Luft ist. Christoph Kramer war kurzzeitig der "Fußballgott", verspielte mögliche Wehmut der Fans aber im Laufe seines Interview-Marathons vergangenen Herbst. Max Kruse könnte der nächste Fall sein. "Da ist nix dran", sagt der Angreifer über Gerüchte, dass Borussia Dortmund und der FC Schalke eine Ausstiegsklausel über zwölf Millionen Euro nutzen wollen. Für Aufruhr unter den Anhängern hat das so gar nicht gesorgt. "Was andere erzählen, darüber schmunzle ich", sagte Max Eberl nach dem Paderborn-Spiel. Noch sind diese Worte genau das wert, was sie aussagen, weil es keine anderen Fakten gibt. Aber in der Bundesliga können Dementis schon einmal zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden.

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