Borussia Mönchengladbach Favres Vorahnung und der effektivste Stürmer der Welt

Mönchengladbach · Lucien Favre hatte es offenbar kommen sehen. Schon Minuten vor dem 1:1 durch Villarreals Uche tanzte Borussias Trainer wütend in der Coaching Zone. Der Schütze des Ausgleichs erlebte indes einen Abend mit einer maximalen Achterbahnfahrt. Die Zehn vom Niederrhein.

Villarreals Uche kam, traf und wurde ausgewechselt
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Villarreals Uche kam, traf und wurde ausgewechselt

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Herbert von Karajan in der Wiener Philharmonie war nichts dagegen. In der 59. Minute bekam Lucien Favre einen Wutanfall in der Coaching Zone, der ihn wild mit den Händen fuchteln ließ, als dirigiere er gerade am Neujahrstag den Radetzky-Marsch. Der Schweizer sah es kommen in der zweiten Hälfte, nicht er alleine zwar, aber ganz besonders Favre war unzufrieden mit der Art und Weise, wie seine Mannschaft das Spiel nicht einmal verwaltete, sondern in dieser Phase aus der Hand gab.

Neun Minuten nach dem emotionalen Ausbruch des Borussia-Trainers passierte es dann. Doch bei der Zeiteinheit, die bei Villarreals Ausgleichstreffer relevant ist, handelt es sich um Sekunden. 26 Sekunden war Ikechukwu Uche auf dem Feld, als er das 1:1 erzielte. Dort sollten ihm noch ganze zweieinhalb Minuten bleiben. Die jedoch verbrachte der Nigerianer liegend, nachdem er mit Torwart Yann Sommer zusammengerasselt war — erst auf dem Rasen, dann auf einer Trage. Nach Angaben Villarreals erlitt er eine Prellung am rechten Schienbein. Gute Besserung!

Diese Szene sorgte also für das Endresultat. Zum zweiten Mal ist die Borussia in eine Europa-League-Gruppenphase gestartet. Vor zwei Jahren gab es zum Auftakt ein 0:0 auf Zypern bei AEL Limassol. Fünf Spieler schonte Favre damals. Juan Arango, Filip Daems und Luuk de Jong waren am Niederrhein geblieben, Granit Xhaka und Martin Stranzl fanden sich auf der Bank wieder. Diesmal verlief die Rotation moderater, auch wenn Raffael und André Hahn nach ihren Gala-Auftritten gegen Schalke ein ordentliches Kaliber darstellten. Doch Favre schickte sie ja nicht zur Erholung für ein paar Tage an den Strand, sondern brachte beide in der zweiten Halbzeit.

Wenn man so eine Gruppenphase als Mini-Saison betrachtet, entspricht jedes Spiel in etwa sechs Bundesliga-Partien. Lange lässt sich also nicht damit warten, die Kräfteverhältnisse einzuordnen. Gladbach und Villarreal teilten gerecht die Punkte, auch wenn der VfL angesichts einer schwachen zweiten Halbzeit mehr Gerechtigkeit zuließ als notwendig. 75 Millionen Euro war Borussias Startelf laut transfermarkt.de wert, der Gegner kam auf gut 50 Millionen Euro. Das Geld macht den VfL auf dem Papier zum Favoriten in Gruppe A. Apollon Limassols 3:2-Sieg gegen den FC Zürich überrascht auf den ersten Blick, schon 2012/13 präsentierte sich AEL jedoch heimstark und verlor nach dem Remis gegen Gladbach nur knapp gegen Fenerbahce, um abschließend sogar Olympique Marseille zu schlagen.

Borussias erster Scout hieß diesmal Alvaro Dominguez. Vor dem Spiel durfte ein etwas größeres Publikum die Deutschkenntnisse des Spaniers auf den Videowänden bewundern. Damit muss er sich nach zwei Jahren keineswegs verstecken. Wie schon gegen Schalke ging er die Sache auch auf dem Platz so resolut an wie ein strebsamer Schüler das Vokabellernen. Favre kann sich in der Innenverteidigung momentan auf Dominguez verlassen, er hat Martin Stranzl, der in der Bundesliga 87 Prozent seiner Zweikämpfe gewonnen hat, und Tony Jantschke, der zuletzt Fragen zu seinen Chancen bei Joachim Löw beantworten musste.

Das ist eine Erkenntnis des Donnerstagabends. Eine geradezu bahnbrechende brachte die 90. Minute. Moises Gomez springt im Strafraum der Ball an die Hand, der Linienrichter wedelt wild mit der Fahne, Schiedsrichter Ivan Kruzliak hat die Pfeife schon im Mund, beginnt dann aber ein ausführliches Gespräch mit dem Torrichter, während die Partie weiterläuft und ihn beide Mannschaften umgarnen. Bitter für Borussia, aber immerhin ist damit bewiesen, dass die Männer neben den Torpfosten eine Aufgabe erfüllen — und nicht die glücklichen Sieger eines Uefa-Premium-Gewinnspiels sind.

Ein Elfmeterpfiff ganz am Ende hätte eine erstaunliche Parallele zum Spiel auf Zypern vor zwei Jahren gebracht. Damals gab es den Handelfmeter sogar erst in 97. Minute. Oscar Wendts Schuss an die Latte würde wohl immer noch nachhallen, wenn die Borussia nicht trotzdem souverän weitergekommen wäre. Die Frage, wie weit es der Fußballs mit der vielzitierten "Duplizität der Ereignisse" getrieben hätte, wird unbeantwortet bleiben.

Ob eine Choreo in Anlehnung an ein Computerspiel, mit dem nur wenige Gladbach-Fans etwas verbinden, ebenso beeindruckt hätte? Was Borussias Ultras drei Wochen nach dem Verbot gegen Sarajevo in die Nordkurve zauberten, war wieder einmal höchste Choreo-Kunst. Sogar Werbebanden und Mundlöcher wurden einbezogen, um die Raute lückenlos erstrahlen zu lassen. Das wird diesmal auch der Uefa gefallen haben.

39.128 Zuschauer bedeuteten Minusrekord für Europacup-Spiele im Borussia-Park (es war immerhin das siebte). Aber die Uefa hat den Pokal nicht umsonst in dieser Woche nach Mönchengladbach gebracht, um nicht nur die Stadt mit dem Wettbewerb zu schmücken, sondern die Europa League auch ein wenig mit der Stadt. Keines der zwölf Stadien am ersten Spieltag war besser gefüllt. Auf Platz zwei mit 33.000 Zuschauern: das 4:1 des FC Everton gegen den VfL Wolfsburg im Goodison Park.

Im "Wir denken von Spiel zu Spiel"-Kosmos ist das Derby beim 1. FC Köln endgültig an die erste Stelle gerückt. Dass die Nordkurve nach einem Heimspiel so laut "Auswärtssieg!" ruft und die entsprechenden Zeilen aus der "Elf vom Niederrhein" singt, kommt selten vor. Sogar im Nahverkehr wirft das Derby seine Schatten voraus. Ein Online-Lieferservice für Fast Food wirbt in einigen Bussen mit dem Slogan: "Kochen ist für Kölner." Am Sonntag wird sich zeigen, ob die Borussia liefert.

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