Borussia Mönchengladbach Glücks-Spray für Xhaka und ein Rekord in Reichweite

Mönchengladbach · Borussia Mönchengladbach muss den FC Bayern nicht einmal besiegen, um weiter eine 44 Jahre alte Bestmarke zu jagen. Beim 3:0 gegen Hannover 96 feierte Granit Xhaka eine Premiere – und auf Roel Brouwers ist tatsächlich immer noch Verlass.

Borussia Mönchengladbach muss den FC Bayern nicht einmal besiegen, um weiter eine 44 Jahre alte Bestmarke zu jagen. Beim 3:0 gegen Hannover 96 feierte Granit Xhaka eine Premiere — und auf Roel Brouwers ist tatsächlich immer noch Verlass.

Eines hatten der Gladbacher Gästeblock und die Mannschaft auf dem Rasen gemeinsam: Sie ließen kaum Lücken zu. Dabei war Claus Weselsky, Chef der Lokführer-Gewerkschaft GDL, für die Borussia-Anhänger am Samstag ein weitaus härterer Gegner als die Offensive von Hannover 96 für Martin Stranzl und seine Mitspieler. Rund 6000 Anhänger schafften es in die HDI-Arena — trotz der Ausfälle im Nah- und Fernverkehr, trotz eines lahmgelegten Entlastungszuges von Mönchengladbach in die niedersächsische Landeshauptstadt. Hat ja nicht jeder Bundesligaverein die Deutsche Bahn als Hauptsponsor.

Und so konnten die 6000 Borussen mit der Mannschaft den höchsten Auswärtssieg in der Bundesliga seit zweieinhalb Jahren feiern. Wo der VfL in dieser Saison antritt, spielt keine Rolle, die Bilanzen sind ausgeglichen. In der Ära unter Lucien Favre war es wettbewerbsübergreifend das fünfte 3:0 auf fremdem Platz, deutlicher ging es nie aus:

Schaut man sich die Bundesliga-Biografie von Max Kruse an, sind Spiele mit deutlichem Ausgang prädestiniert für ein seltenes Ereignis: ein Kopfball-Tor des 26-Jährigen. Vor zwei Jahren traf er auf diese Weise beim 5:3 des SC Freiburg gegen die TSG Hoffenheim und im Frühjahr bei Borussias 3:0 gegen Hertha BSC. Kruses ästhetisch wertvoller Flugkopfball zur 1:0-Führung am Samstag lässt vermuten, dass da einer auf diesem Gebiet mit gar nicht so wenig Talent gesegnet ist. Sein 3:0 in der Nachspielzeit offenbarte vor allem einen Master in Abgezocktheit.

Die Borussia hat sich zum richtigen Zeitpunkt von Juan Arango getrennt, um den nächsten Schritt in der Kaderentwicklung zu machen. Daran bestehen nach 13 Pflichtspielen ohne den Venezolaner keine Zweifel. Und wenn zuletzt doch noch einmal Wehmut aufkam beim VfL, dann meist bei einem ruhenden Ball. Die Freistoß-Abteilungen "Gefühl" und "Gewalt" gehen seit der Sommerpause getrennte Wege. Im Play-off-Rückspiel gegen den FK Sarajevo war Thorgan Hazard auf die sanfte Tour erfolgreich. Am Samstag ließ Granit Xhaka 103 Stundenkilometer auf dem Messgerät aufblitzen. Es blieben keine Zweifel, welchem Genre dieser Freistoß zuzuordnen war. Zum ersten Mal seit dem 15. September 2012 traf der Schweizer in der Bundesliga und bestätigte nach all den gescheiterten Versuchen eine der plattesten Plattitüden des Fußballs: Wer flach schießt, kann nicht drüber schießen.

Schiedsrichter Robert Hartmann hatte beim Zweitligaspiel zwischen dem VfL Bochum und dem SV Darmstadt die Ehre: Er verteilte nach der Einführung des Freistoßsprays im deutschen Profifußball die Premierensahne auf dem Rasen. Zu Borussias Gastspiel in Hannover entsandte der DFB einen besonders akribischen Sprüher. "Ich habe meine Dosen mit dem Freistoßspray in der vergangenen Woche abgeholt und werde das vor dem kommenden Spieltag dann vielleicht mal bei mir im Garten proben", sagte Thorsten Kinhöfer im Interview mit dem ZDF. Kaum war er zum ersten Mal in die Knie gegangen und hatte das obligatorische "Heeey!" von den Rängen geerntet, schlug Granit Xhakas Freistoß im Tor ein.

Im Testspiel gegen den FSV Frankfurt hatte Roel Brouwers noch mit Offensivdrang und einem Hackentrick überrascht. Acht Tage später durfte er sich über seinen ersten Pflichtspieleinsatz seit dem 3. Mai dieses Jahres freuen. Unverhoffte Einsätze aufgrund der Verletzung eines Kollegen sind Brouwers' Spezialgebiet. Nach einer Halbzeit und nur einem verlorenen Zweikampf hatte er seine beeindruckende Bilanz ausgebaut: 435 Minuten hat der Niederländer unter Lucien Favre als Joker gespielt, nur einen Gegentreffer hat die Borussia in dieser Zeit kassiert — ein technisch anspruchsvolles Eigentor gegen den VfB Stuttgart durch eben jenen Brouwers.

Nach holprigem Saisonstart kann man wohl behaupten, dass bei Patrick Herrmann wieder alles beim Alten ist: In der Bundesliga durfte er zuletzt dreimal von Beginn an ran, durchgespielt hat er jedoch nie. Mit der 90. Auswechslung im 136. Erstliga-Einsatz hat sich Herrmann auf Platz 19 der ewigen Rangliste vorgeschoben. Der Allzeit-Rekord von Gerald Asamoah ist nur noch umgerechnet zwei typische Herrmann-Spielzeiten entfernt. Und der ist ja erst 23 Jahre alt.

Nach dem 13. Pflichtspiel ohne Niederlage darf sich der gesamte Verein so langsam mit Bestmarken beschäftigen. Beim Pokalspiel in Frankfurt am 29. Oktober könnte Gladbach den Startrekord aus dem Jahr 1970 einstellen, als die Mannschaft unter Hennes Weisweiler 16 Partien ungeschlagen blieb. Zum vierten Mal in ihrer Geschichte ist die Borussia an den ersten acht Bundesliga-Spieltagen ohne Niederlage geblieben. Folgt die Fortsetzung gegen den FC Bayern, wäre das eine Premiere. Beinahe überflüssig ist der Hinweis, dass Gladbach nach solch einem Start immer Meister geworden ist — wir reden schließlich von den 70er-Jahren.

Beim Jubeln verlässt sich der Mensch auf seine Instinkte. Bei einem Treffer der eigenen Mannschaft ist es deshalb kein Wunder, dass die Arme eines Fans reflexartig nach oben gehen. Wird auf der Anzeigetafel ein Tor in einem anderen Stadion vermeldet, nimmt sich der Fan mitunter eine Sekunde, um das Für und Wider abzuwägen. Eine ausführliche Liste mit Pro- und Contra-Argumenten wird er dennoch nicht anfertigen, womit die Erklärung gefunden wäre, warum der Gladbacher Gästeblock nicht geschlossen begeistert war vom Sieg des 1. FC Köln gegen Borussia Dortmund. Schließlich ist der BVB zu diesem Zeitpunkt der Saison deutlich distanziert. Aber Rivalität wird eben nicht automatisch von sportlicher Perspektive ausgestochen. Immerhin dürfte sich der VfL am Ende der Saison eher mit den Dortmundern als mit den Kölnern um die lukrativen Plätze rangeln. Oberste Priorität hat dieses Thema im Moment ohnehin nicht: Zusammen haben beide Teams in acht Spielen so viele Punkte gesammelt wie Gladbach alleine.

Die nostalgischen Bilder vom Bökelberg in der WDR-Doku über die Stadt Mönchengladbach haben Borussias Fans schon einmal nostalgischer gestimmt. Der Film aus der Reihe "Heimatabend" bemühte sich redlich, von der Baumwollindustrie über das JHQ bis zum Museum Abteiberg nicht nur diesen berühmten Fußballverein ausreichend zu würdigen. Aber wenn Monika Bartsch, Mönchengladbachs Oberbürgermeisterin a. D., erzählt, dass man die Borussia selbst in Mikronesien kenne, sind die Kräfteverhältnisse unter den städtischen Sehenswürdigkeiten geklärt. "Rheinisches Manchester" nannte man die Textil-Hochburg einst. Derzeit spielt Manchester eher in Träumen von der Champions League eine Rolle.

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