Borussia Mönchengladbach Hertl: "Bei Borussia spritzen wir niemanden fit"

Mönchengladbach · Gladbachs Mannschaftsarzt Stefan Hertl spricht über das Verhältnis zu Lucien Favre, den Austausch mit dem DFB und immer pflichtbewusstere Profis.

Borussias Mannschaftsarzt Stefan Hertl.

Borussias Mannschaftsarzt Stefan Hertl.

Foto: Dirk Päffgen

Jürgen Klopp und Pep Guardiola kritisieren, die Belastung der Profis in Englischen Wochen gehe inzwischen über den Bereich hinaus, der noch vertretbar sei. Haben sie recht?

Stefan Hertl Natürlich haben sie irgendwo recht. Drei Spiele in einer Woche, plus die dazugehörigen Reisen, das ist für Spieler auf Dauer schon grenzwertig. Das große Problem dabei ist ja, dass zwischen den Spielen kaum noch Zeit bleibt, um wenigstens regenerativ trainieren zu können. Kleinere Verletzungen, die sonst binnen einer Woche auskuriert werden, können dann nicht behoben werden. Schlimmer noch: Diese Blessuren werden immer weiter verschleppt, summieren sich und münden eventuell in einer schweren Verletzung.

Aber ist es nicht auch schlichtweg Pech, wenn ein Profi im Rasen hängenbleibt und sich das Kreuzband reißt?

Hertl Klar, solche Unfälle gibt es eben. Natürlich ist auch Glück dabei, wenn eine Mannschaft von schweren Verletzungen verschont bleibt. Gelingt genau das aber über einen längeren Zeitpunkt, würde ich es nicht mehr nur Glück nennen. Da muss dann auch ein System einer funktionierenden Vorbeugung vor Verletzungen vorhanden sein.

Sie sprechen es an: Borussia ist in den vergangenen Jahren von schwerwiegenden Verletzungen verschont geblieben. Was macht man hier also besser als bei anderen Vereinen?

Hertl Zu anderen Klubs etwas zu sagen, steht mir nicht zu, aber ich kann sagen, dass wir bei Borussia ein wirklich hervorragendes Verhältnis zwischen medizinischer Abteilung und Trainer haben. Lucien Favre und ich tauschen uns fast täglich aus. Gleiches gilt für die Zusammenarbeit mit den anderen beiden Medizinern und den drei Physiotherapeuten. Was hervorragend ist: Der Trainer ist unheimlich verständig, wenn wir ihm empfehlen, diesen oder jenen Spieler mal reduziert zu belasten. Ich habe auch noch nie erlebt, dass Lucien Favre Druck ausübt und sagt: "Ich will diesen Spieler unbedingt fit haben!".

Also greift die medizinische Abteilung - im positiven Sinne - in die Trainingssteuerung ein?

Hertl Ganz genau. Nehmen Sie die vergangene Woche. Da haben wir empfohlen, Christoph Kramer und Raffael für das Zürich-Spiel herauszunehmen. Beide hatten muskuläre Probleme, waren also nicht schwer verletzt, aber das Risiko, dass bei erneuter Belastung daraus eine Verletzung entsteht, mit der sie vier bis sechs Wochen ausfallen, war eben gegeben. Am Sonntag gegen Mainz sind dann ja beide wieder über 90 Minuten gegangen.

Das Abwägen zwischen kurzfristiger Spielfähigkeit und Fitness über den Saisonverlauf hinweg tendiert also fast immer zu letzterem?

Hertl Absolut. Deswegen kriegt in unserem breiten Kader ja auch jeder Spieler seine Pausen, um dann wieder beschwerdefrei ins Training zurückzukehren.

Während das Gros der Bundesligaprofis nun in der Länderspielpause mal wieder eine Erholungsphase vorfindet, bleibt die Belastung für die Nationalspieler hoch.

Hertl Ja. Und natürlich reisen Nationalspieler auch mal mit kleineren Verletzungen zu einem Länderspiel an, denn der Bundestrainer wäre ja nicht begeistert, wenn ihr Klub sie rausnimmt - was von den Vereinen im eigenen Interesse bestimmt mal gewünscht wäre.

Gibt es denn einen Austausch zwischen Ihnen und der medizinischen Abteilung des DFB? Sagen Sie den Kollegen: "Passt auf, der Christoph Kramer hatte letzte Woche Wadenprobleme"?

Hertl Auf alle Fälle. Die Wege sind da sehr kurz. Wir geben den Spielern im Zweifelsfall auch die Ergebnisse unserer Untersuchungen mit.

Tritt dann doch mal eine schwerere Verletzung ein, heißt es immer, der Spieler brauche genauso lange, um wieder fit zu werden, wie seine Ausfallzeit war. Mit solchen Faustformeln werden Sie als Mediziner nicht agieren.

Hertl Wir machen - wie viele andere Bundesligisten auch - im Sommer und Winter Fitnesstests, damit wir wissen, welche Werte A, B, C ein Spieler besitzt, wenn er topfit ist. Dann weiß ich genau, an welche Werte ich ihn nach seiner Verletzung wieder heranbringen muss.

Sind die Spieler über die Jahre verantwortungsbewusster geworden, was den Körper als Kapital ihres Jobs angeht?

Hertl Ich bin jetzt in der zwölften Saison bei Borussia und habe auch schon 15 Jahre beim DFB Auswahlteams betreut. Da hat sich im Laufe der Zeit einiges verändert. Heute werden die Spieler viel besser aufgeklärt. Über die Bedeutung richtiger Ernährung. Über die Wichtigkeit von ausreichendem Schlaf. Die Spieler sind da außerdem merklich pflichtbewusster geworden.

Regeneration wird zunehmend zum Schlüsselbegriff. Immer öfter wird mit Bädern in Eiswasser oder Kältekammern nachgeholfen.

Hertl Das mit dem Eiswasser machen wir auch. Das stimuliert den Kreislauf und regt die Regeneration an. So eine Kältekammer ist auch etwas Tolles, das ist edler als ein Eiswasser-Bad, der Effekt ist aber letztlich derselbe.

Was gibt es noch?

Hertl Wir leiten nach Belastungen frühzeitig physiotherapeutische Maßnahmen wie Entspannungsmassagen oder Entspannungsbäder ein. Die Spieler werden zum Teil auch mehrfach am Tag behandelt, selbst wenn kein Training ist.

Ist die Zeit des Fit-Spritzens im heutigen Fußball vorbei?

Hertl Natürlich kann man einen Spieler fit spritzen, aber es schadet auf Dauer mehr, als es kurzfristig hilft. Deswegen machen wir das bei Borussia auch nicht. Ich würde einem Spieler auch immer davon abraten, denn ich bin ja in erster Linie für seine Gesundheit verantwortlich und erst danach für den Erfolg der Mannschaft. Ich habe in meiner Zeit bei Borussia aber auch noch nie erlebt, dass ein Trainer von mir verlangt hat, einen bestimmten Spieler fit zu spritzen. Das würde ich auch nicht mitmachen. Viele von den Substanzen, mit denen man vor 20 Jahren noch fit gespritzt hat, stehen heute ja außerdem längst auf der Doping-Liste.

Besteht das Risiko, dass Spieler sich heimlich selbst mit Medikamenten zu behandeln?

Hertl Wir sind da ganz strikt: Jedes Medikament, das ein Spieler nehmen will, muss vorher mit uns abgesprochen werden, und die Einnahme wird von uns dokumentiert. Das sehen die Spieler auch nicht als Kontrolle, sie sind im Gegenteil dankbar dafür, weil sie so ausschließen können, etwas zu nehmen, was auf der Dopingliste steht.

Welche Rolle spielt die mentale Belastung, alle drei Tage bei voller physischer Anstrengung 90 Minuten lang hochkonzentriert zu sein?

Hertl Eine große Rolle. In den Englischen Wochen ist die Fähigkeit, über einen längeren Zeitraum mental fit zu sein, entscheidend. Ich glaube, dass das unsere Mannschaft bisher ganz gut gemacht hat.

Wie regeneriert ein Profi mental?

Hertl Genauso wie im Hinblick auf die Physis: Indem er viel schläft, sich gut ernährt, viel trinkt. Natürlich ist es auch förderlich, wenn man zwölf Spiele in Folge nicht verloren hat. Wenn man in Englischen Wochen nur verliert, ist das natürlich zusätzlich mental belastend.

STEFAN KLÜTTERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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