Ibrahima Traoré im Interview "Der Fußball ist eine Parallelwelt"

Mönchengladbach · Borussias Flügelspieler Ibrahima Traoré gilt als Querdenker. Darum sind Interviews mit ihm wie sein Spiel auf dem Platz: Sie schlagen unerwartete Haken.

 Ibrahima Traoré (28) kam 2014 vom VfB Stuttgart zu den Borussen. Er machte bislang 48 Spiele für Gladbach, dabei erzielte er fünf Tore. Derzeit fehlt er wegen eines Sehnenrisses.

Ibrahima Traoré (28) kam 2014 vom VfB Stuttgart zu den Borussen. Er machte bislang 48 Spiele für Gladbach, dabei erzielte er fünf Tore. Derzeit fehlt er wegen eines Sehnenrisses.

Foto: afp, CQ/raf

Früher hieß es: Torhüter und Flügelstürmer sind anders. Borussias Ibrahima "Ibo" Traoré, dessen Rückkehr nach seiner Verletzung noch offen ist, ist von Beruf Flügelspieler, doch davon hat er noch nicht gehört. Was Torhüter angeht, kann er es sich erklären: "Es ist ja schon seltsam, dauernd auf dem Boden zu liegen", sagt er und grinst. Dass er selbst kein 08/15-Profi ist, weiß er. Interviews mit ihm sind wie seine Art zu spielen: Sie schlagen unerwartete Haken. "Man kann ja nicht nur über Fußball sprechen", sagt er nach fast 65 Minuten Gespräch über das Buch, das er vielleicht mal schreiben wird, den Fußball als Parallelwelt, Gewissensbisse wegen Trainerentlassungen, die Mega-WM 2026, seine Rolle als Kapitän von Guinea und eine verpasste Nominierung.

Herr Traoré, während die Kollegen gestern vom Trainingslager in Marbella zurückgereist sind nach Deutschland, hatten Sie einen Termin im Gründerzeitviertel: Sie haben die Mönchengladbacher Autorin Susanne Goga in der Buchhandlung Prolibri getroffen ...

Ibrahima Traoré Ja, stimmt. Das war für eine Geschichte im Fohlenecho. Es war sehr, sehr interessant und sehr spannend. Ich habe viel gelernt, weil ich sehr viele Fragen hatte, wie eine Autorin arbeitet.

Und, was haben Sie herausgefunden?

Traroé Es gibt viele Parallelen zwischen der Arbeit eines Schriftstellers mit der eines Fußballers.

Zum Beispiel?

Traroé Sie hat mir gesagt, dass ihr gerade die Sachen Spaß machen, die nicht so einfach sind. So ist es doch auch beim Fußball. Klar, du gewinnst am liebsten immer 5:0. Aber man ist mitunter doch stolzer auf ein 1:0 in letzter Minute.

Was für ein Buch würden Sie schreiben? Sie wollten früher ja mal Schriftsteller werden.

Traoré Ich würde ein Buch schreiben über einen normalen Menschen in einer verrückten Welt.

Das klingt völlig normal.

Traroé Stimmt. Aber am Ende weiß der Mann nicht mehr, ob er normal ist, weil die Welt um ihn herum so seltsam ist. Es ist nicht mehr klar, was normal ist und was nicht. Soll ich Ihnen was sagen: So ist es doch mit uns Fußballern. Wir sind normale Menschen, leben aber nicht in einer normalen Welt. Für uns ist sie es vielleicht, aber nicht für die anderen Menschen.

Das heißt, die Profi-Fußballwelt ist eine Art Paralleluniversum?

Traoré Ja, das kann man so sagen. Der Fußball ist eine Traumwelt geworden, die total gläsern ist. Jeder will alles wissen, und manchmal sind Sachen, die nichts mit dem Sport zu tun haben, sogar das Wichtigste. Die Leute wollen nicht nur wissen, ob ein Spieler gut ist, sondern auch, wie seine Frau aussieht, welches Auto er fährt oder wie er lebt. Grenzen gibt es fast keine. Dabei muss ich sagen: Ich bin ein ganz normaler Typ. Ich stehe morgens auf, gehe zur Arbeit, spiele am Wochenende. Genau wie alle anderen. Dass es keine zehn Stunden sind jeden Tag, dafür kann ich nichts. Und es ist sicher nicht gerecht. Ich weiß ja, wie es bei meinem Bruder ist. Aber ich habe diese Welt nicht gemacht. In dieser Welt sehen uns die Menschen als anders an. Sagen Sie mir mal warum?

Fußball ist für viele Menschen eine Art Traumwelt. Das ist wie im Kino. Wie in Hollywood. Sie sind ein Star für die Fans.

Traoré Weil ich Fußballer bin, nicht, weil ich Ibo Traoré bin. Klar, das weiß ich. Trotzdem sage ich: Ich bin der Ibo, der ich bin, als Fußballer und als Mensch. Ich bin in der Kabine auch nicht anders, als im normalen Leben.

Sie sagten mal: "Ich spiele, wie ich bin." Das heißt?

Traroé Ich spiele intuitiv und ich lebe auch so. Aber ich lerne immer wieder dazu, habe mehr Erfahrung und bin gereift. Aber es ist mir wichtig, dass es locker ist und ich ich sein kann.

Aber in der Fußball-Welt gibt es viele Regularien: Trainingspläne, Spielpläne - kann man da noch intuitiv sein?

Traoré Ja, natürlich. Was mich von anderen unterscheidet, ist, dass ich trotzdem mein Spiel mache - und trotzdem passt es in die Vorgaben. Dass ich mal einen Scherz mache, heißt ja nicht, dass ich die Sachen nicht ernst nehme. Ich nehme meinen Job sehr ernst.

Ist das der Grund, warum Dieter Hecking und zuvor auch sein Vorgänger André Schubert sagen: "Es ist gut, wenn Ibo Traoré wieder da ist"?

Traoré Da müssen sie die Trainer fragen, warum sie das sagen. Ich freue mich natürlich, wenn ich das höre, und bin stolz darauf. Es ist immer wichtig, zu wissen, dass man gebraucht wird. Das gibt ein gutes Gefühl. Das gibt dir keine Garantie, dass du spielst, aber es zeigt dir: Du gehörst zum Plan deines Trainers. Das ist es auch, was Dieter Hecking mir gesagt hat.

Er hat also vor der Reise nach Marbella mit Ihnen gesprochen?

Traroé Er hat mir klar gesagt, was er von mir erwartet und dass er sich freut, wenn ich wieder da bin. Alles andere bleibt zwischen uns.

Was erwarten Sie von sich selbst?

Traroé Das ist immer schwer zu sagen. Ich war jetzt ein paar Mal verletzt und dann fängt man ja immer wieder von vorn an. Aber man muss gleich da sein, möglichst im ersten Spiel. Zeit hat man nicht. Aber wann ich zurückkomme, kann ich noch nicht sagen. Aber ich will bei 100 Prozent sein, wenn ich wieder da bin.

Bei Ihrem letzten Comeback gegen Köln haben Sie groß aufgespielt - aber es fehlte das nötige Glück, zum Beispiel bei Ihrem Lattentreffer. Passte das zur Hinrunde insgesamt?

Traoré Vielleicht. Es fehlte uns ja der Lucky Punch. Ich denke, man kann einige Spiele aufzählen, in denen mehr drin war. Wenn wir da 2:0 führen, ist alles ganz anders.

Direkt nach dem Trainerwechsel haben Sie gesagt, auch die Mannschaft müsse sich hinterfragen. Hat man als Spieler ein schlechtes Gewissen, wenn ein Trainer gehen muss?

Traroé Es ist doch logisch, dass es nicht nur der Trainer ist, der etwas falsch macht. Wir sind eine gute Mannschaft und können nicht so spielen, wie wir es gemacht haben. Das kann nicht unser Anspruch sein. Wir dürfen nicht mit Mittelmaß zufrieden sein. Aber ob man ein schlechtes Gewissen hat? Das ist schwer zu sagen. Einer hat den Job verloren, wir Spieler sind noch da, obwohl wir alle zusammen eine so schlechte Phase hatten. Aber das ist nun mal so im Fußball.

Sie haben vor dem Wechsel zu Borussia in Stuttgart gespielt. Dort hat der VfB auch lange gedacht, er wäre besser als sein Tabellenstand, würde nur seine Möglichkeiten nicht ausschöpfen. Inzwischen ist er Zweitligist. Sehen Sie diese Gefahr in Gladbach auch?

Traroé Man kann das nicht vergleichen. Der VfB hat drei Jahre lang unten gestanden, da ging die Kurve eindeutig nach unten. Die Gefahr war da. Das ist bei Borussia nicht so. Wir sind auf dem Weg nach oben. Natürlich gibt es Rückschläge. Und wir sind auch nicht das beste Team in der Bundesliga. Wir sind gut, ja, aber wir müssen es auch zeigen.

Ist Dieter Hecking der Richtige für Borussia, um ihr in dieser Situation helfen?

Traroé Er hat viel Erfahrung, er weiß wie es geht, er hatte Erfolg - und er kennt uns alle, das finde ich imponierend. Er kennt jeden Spieler, weiß, was er geleistet hat. Das ist gut. Vor allem ist gut: Er hat eine klare Linie.

Was kann Borussia mit Hecking noch erreichen?

Traroé Ich glaube, wir sollten uns erst mal keine Ziele setzen. Wir wollen einfach punkten und dann schauen, was passiert. Das einzige Ziel darf sein, nicht weiter abzurutschen.

Haben Sie Abstiegsangst?

Traoré Nein.

Was spricht dafür?

Traroé Einmal, dass wir wirklich gut sind - aber wie gesagt: Das müssen wir jetzt auch zeigen. Außerdem will keiner von uns da unten rein. Tony Jantschke und Lars Stindl haben uns gesagt, dass es großer Mist ist, da unten zu stehen. Wir werden alles tun, da nicht hinzukommen.

Was werden Sie persönlich im Sommer 2018 tun, wenn Ihr Vertrag endet? Gab es schon Gespräche wegen einer vorzeitigen Verlängerung?

Traoré Nein, noch nicht. Ich weiß, was ich vorhabe, aber im Fußball kann man ja nie fix planen. Wenn ich so wichtig bin, wie Borussia sagt, wird der Verein mir ein Signal geben. Es ist ja auch noch Zeit. Für mich ist mein oberstes Ziel, erst mal wieder fit zu werden.

Trotzdem: Für welchen Klub würden Sie gern mal spielen?

Traoré Jeder Fußballer will doch mal für einen großen Klub spielen. Aber als ich das mal gesagt habe, hieß es gleich: Traoré will weg. Das ist nicht so. Aber man darf ja seine Träume haben, auch Fußballer sind Menschen. Und dass ich gern mal für Paris Saint Germain spielen würde, ist ja normal. Ich komme aus Paris, das ist mein Klub. Aber man kann sich ja nicht einfach etwas aussuchen.

Für welches Team von früher hätten Sie gern gespielt?

Traoré Ich fand den FC Barcelona mit Eto'o, Ronaldinho, Xavi, Iniesta, Deco und den anderen toll. Das war vielleicht die beste Mannschaft aller Zeiten.

Welcher Spieler wollten Sie früher sein?

Traroé Rivaldo und Del Piero fand ich toll. Das war, als ich noch mehr aus der Mitte kam, eine Zehn war. Als ich auf die Seite gewechselt bin, habe ich dann mehr auf Außenspieler wie Figo, Ribery und jetzt Messi geschaut.

Würden Sie gern in die Mitte zurückkehren?

Traroré Ich fühle mich wohl auf der Seite, muss ich sagen. Über die Seite komme ich oft in die Mitte - das zum Beispiel hat mir André Schubert beigebracht.

Sie haben das aber auch schon zur Zeit von Lucien Favre gemacht.

Traroé Ja, aber das war nicht die Vorgabe des Trainers. Bei Schubert wurde das von mir gefordert. Aber ich habe eigentlich von jedem Trainer etwas mitgenommen. Und da geht es nicht nur um Sachen auf dem Platz. Ich erinnere mich an eine Geschichte mit Bruno Labbadia in Stuttgart. Ich kam rein, habe echt gut gespielt - und dann kam er zu mir und sagte: Du kannst mehr. Im nächsten Spiel saß ich auf der Bank. Danach habe ich immer gespielt. Irgendwann habe ich gefragt: Warum bekomme ich kein Kompliment? Er hat gesagt: Ich muss dir nicht sagen, dass du toll bist. Du hast mein Vertrauen, wenn du immer spielst. Das habe ich mir gemerkt und daraus gelernt.

Was haben Sie aus Ihren Verletzungen gelernt?

Traroé Dass man nicht weinen sollte, wenn es einen erwischt. Das bringt einen nicht weiter. Als ich mich wieder verletzt hatte, habe ich meinen Leuten gesagt: Wer deswegen weint, soll gehen. Das brauche ich nicht, vom ersten Tag an nicht. Man muss positiv sein. Ich denke da an Josip Drmic. Er war so lange verletzt und hat, als er zurück war, wie ein Verrückter trainiert. Und er hatte immer das Ziel, zurückzukommen. Jetzt hat er in Marbella sein Tor gemacht. Klasse.

Zurück zu Ihnen: Sind Sie ein Teamplayer? Sie gehören zu den besten Torschussvorbereitern der Liga.

Traroé Ich habe mit meinem Bruder mal die Parallele gezogen, dass jeder so spielt, wie er aufgewachsen ist. Torschüsse vorzubereiten heißt ja auch teilen. Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen, da habe ich von Anfang an gelernt zu teilen. Natürlich lernt man auch, sich durchzusetzen.

Deswegen der Dribbler. Warum gibt es nur noch so wenige Dribbler?

Traoré Es kommt ja wieder. Dembélé ist das beste Beispiel. Und Messi oder Neymar. Zwischenzeitlich gab es nicht mehr so viele, weil der Fußball zu sehr aufs Geld fixiert war. Dribbler gehen immer ein Risiko ein. Und das ist schwer kalkulierbar. Heute gibt es aber wieder mehr solcher Spieler, weil heute mehrere Systeme gespielt werden müssen. Da braucht man verschiedene Typen von Spielern.

Sind Sie eigentlich froh, dass es ab 2016 eine Mega-Weltmeisterschaft mit 48 Mannschaften geben wird? Damit steigen sicher die Chancen Ihres Landes Guinea, sich zu qualifizieren.

Traroré Sicherlich gibt das dem einen oder anderen Land mehr Chancen. Aber ich hätte es besser gefunden, wenn es weiter 32 Teams gäbe bei einer WM, aber Afrika mit mehr Mannschaften vertreten wäre. Dann hätten wir eine bessere Chance. Aber mal ehrlich: 2026 werde ich wohl nicht mehr spielen.

Vielleicht sind sie dann Trainer von Guinea?

Traoré Eher nicht. Ich will mich als Mensch nicht ändern, und als Trainer könnte ich nicht immer fair sein zu 30 Spielern. Das wäre für mich ein Problem. Ich muss sagen: Der Trainerjob ist sehr, sehr schwer.

Sie sind Kapitän von Guinea. Unterstützen Sie den Trainer?

Traroé Na klar. Als Kapitän von Guinea hast du sehr viel zu tun. Man muss sich um das Team kümmern, um die Prämien, manchmal sogar um die Reisen ...

... und Kontakt mit dem Präsidenten halten.

Traoré Auch das, ja. Grundsätzlich muss ein Kapitän viel mit dem Trainer sprechen. Über alles. Und du bist der Erste, der kritisiert wird.

Können Fußballer gut mit Kritik umgehen?

Traroé Wann sie fair ist, ja. Aber nur dann. Wenn sie nur polemisch ist, setze ich mich damit nicht auseinander. Fairness ist mir sehr wichtig.

Sie und Ihre Gladbacher Mannschaftskollegen sind offenbar sehr fair. Es heißt, Borussia habe eine nette Mannschaft.

Traroé Es nervt mich, dass man das sagt. Man sagt es, weil wir auswärts nicht gewinnen. Man sagt: Ein bisschen Druck, und es kommt nichts von denen. Das müssen wir ändern, so schnell wie möglich.

Sie sind ein meinungsstarker Spieler. Warum sind Sie nicht in Borussias Mannschaftsrat?

Traoré Das weiß ich nicht.

Hätten Sie sich für das Gremium nominiert?

Traroé Ja. Ich spreche Dinge offen an und übernehme gern Verantwortung.

Karsten Kellermann sprach mit Ibrahima Traoré.

(RP)
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