Lars Stindl im Interview "Man lernt, auch mal Kante zu zeigen"

Mönchengladbach · Es ist eine besondere Saison für Lars Stindl. Elf Ligatore schoss er, so viele wie nie. 18 Treffer kommen wettbewerbsübergreifend zusammen, viele davon waren wichtig.

 Der Sieg in Glasgow war für Lars Stindl ein Highlight der Saison.

Der Sieg in Glasgow war für Lars Stindl ein Highlight der Saison.

Foto: Dirk Päffgen

Im Interview spricht Borussias Kapitän über seine drei schönsten Tore, aber auch über seine Vertragsverlängerung und die erste Nominierung für das DFB-Team.

Ist Borussia der perfekte Verein für Sie? Ihr neuer Vertrag läuft bis 2021.

Stindl Ich fühle mich rundum wohl. Schon bei meinem Wechsel habe ich mir sehr lange Gedanken gemacht. Alles, was ich mir erhofft hatte, hat sich erfüllt, auch wenn wir ein schwieriges und intensives Jahr hatten, an dessen Ende es vielleicht nicht für die Europapokal-Qualifikation reicht. Die Voraussetzungen für die sportliche Zukunft sind aber gut, deshalb habe ich mich entschieden, noch ein Jahr länger zu bleiben.

Ist das ein Zeichen an die Mannschaft, wenn der Kapitän auch ohne Europa verlängert?

Stindl Klar. Wir haben zwar die beiden Abgänge zu verkraften, gleichzeitig haben aber die ganzen Führungsspieler verlängert. Das signalisiert auch, dass das nicht von der Platzierung abhängig ist. Noch haben wir auch die Chance, am Ende Platz sieben zu erreichen. Das wird sehr schwierig, weil wir abhängig von den anderen sind. Selbst wenn es nicht mehr klappt, sind alle von dem Weg überzeugt, den der Verein geht.

Mit welcher Erwartungshaltung haben Sie sich im Frühjahr 2015 für Borussia entschieden?

Stindl Mit derselben, mit der ich jetzt verlängert habe. Ich bin überzeugt von der Art und Weise, wie hier Fußball gespielt wird, und was mir die sportliche Leitung um Max Eberl, Steffen Korell und Lucien Favre damals vermittelt hat. Hinzu kommt die Atmosphäre mit den Fans und dem Stadion, die mich immer schon gereizt hat. Eine so wichtige Rolle in diesem Verein spielen zu dürfen, ist etwas Besonderes. Natürlich wollen wir sportlich erfolgreich sein, internationaler Fußball ist immer ein Anreiz. Aber unabhängig davon, bin ich überzeugt, dass Borussia in den nächsten Jahren der richtige Verein für mich ist.

Wie sehr ärgert es Sie, dass Sie so knapp vor dem Finaleinzug im DFB-Pokal standen und gegen Schalke schon mit einem Bein im Viertelfinale der Europa League?

Stindl Das sind harte Momente in einem Fußballerleben, auch mit etwas Abstand tut das weh. Wenn nächste Woche das Finale in Berlin ansteht, wird dem einen oder anderen das Herz nochmal bluten. Wir haben an dem Tag des Halbfinales kein optimales Spiel abgeliefert, aber unter den Voraussetzungen haben wir alles versucht und sind im Elfmeterschießen unglücklich ausgeschieden. Das Gleiche gilt für die Umstände gegen Schalke. Aber diese Erfahrungen haben uns auch ein Stück weit zusammengeschweißt, wie man an den Reaktionen in den Spielen danach sehen konnte. Das, was wir verpasst haben, in den nächsten Jahren nachzuholen, kann ein Ansporn sein.

Sie sind im vergangenen Sommer Kapitän geworden, haben 18 Pflichtspieltore erzielt. Welche Rolle spielt diese Saison in Ihrer Karriere?

Stindl Ich habe nochmal einen Sprung gemacht, auch menschlich. In Hannover hatte ich dieses Amt schon, da war es ähnlich wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung. Man lernt, mit einer Mannschaft umzugehen, auch mal Kante zu zeigen. Hier in Gladbach ist der Erfolg noch größer, der Druck ebenso. Deshalb war ich froh, gleich im ersten Ligaspiel gegen Leverkusen das entscheidende Tor zu schießen, um die Diskussion im Keim zu ersticken, ob ich das überhaupt kann.

Hatten Sie selbst Zweifel?

Stindl Wenn ich keine Leistung gezeigt hätte, wäre es vielleicht damit in Verbindung gebracht worden. So weit wollte ich es gar nicht kommen lassen. Generell habe ich bis auf die vier Wochen, in denen ich verletzt war, alles reingeworfen und mich in den Dienst der Mannschaft gestellt. Dabei hat mir geholfen, dass ich auf dem Platz sehr effektiv war. Während meiner Zeit in Hannover ist das mitunter bemängelt worden.

Wird Ihnen ein Moment der Saison besonders in Erinnerung bleiben?

Stindl Es sind diesmal wohl mehrere.

Okay, dann gestehen wir Ihnen drei zu.

Stindl Da wäre zuerst das Tor in Glasgow. Freiburgs Trainer Christian Streich hat letztens gesagt, dass er da gerne mal Gast sein würde, das will jeder. Dieses Erlebnis mit dem Drumherum, den Fans im Stadion, zudem wir haben ein super Auswärtsspiel in der Champions League gemacht. Da zu treffen und in Richtung Gästeblock zu laufen, war etwas ganz Besonderes. Klar, dann war das dritte Tor in Florenz ein besonderer Gefühlsausbruch. Nach dem Hinspiel und der ersten Halbzeit des Rückspiel ist einiges zusammengekommen an Glücksgefühlen. Und dann war da natürlich der Derbysieg. Vorher wurde etwas gefrotzelt, was die Vorherrschaft im Rheinland angeht, wie das so ist. Da das entscheidende Tor zu machen, ist schwer zu übertreffen, weil du den Leuten, die uns das ganze Jahr supporten, so viel zurückgeben kannst. Das ist eigentlich das Schöne am Fußball.

Würde es Sie deshalb besonders wurmen, wenn Köln eine der Mannschaften ist, die dafür sorgt, dass Gladbach nicht international spielt?

Stindl Ich wusste, dass die Frage kommt. (lacht) Man müsste fairerweise sagen, dass die Kölner es verdient hätten und eine gute Runde gespielt haben, wenn es so kommen sollte. Natürlich wäre es dann unser Ziel, in Zukunft wieder vor dem FC zu stehen.

Kennen Sie Spieler aus Mainz? Die müssten Ihnen helfen mit einem Sieg in Köln am Samstag.

Stindl Mit Daniel Brosinski habe ich lange beim KSC zusammengespielt, mit Leon Balogun in Hannover. Die werde ich mal instruieren.

Erstmal muss Borussia aber gegen Darmstadt gewinnen.

Stindl Dafür werden wir nochmal alles geben. Nicht nur aus tabellarischen Gründen, sondern für das Gefühl, für die Fans, die Mitarbeiter hier. Wir werden 51 Pflichtspiele gehabt haben. Es ist immer die Rede von der Belastung der Spieler, aber die Fans nehmen noch viel mehr auf sich, machen Abstriche in ihrem Privatleben, 51-mal im Jahr. Das ist auch finanziell ein Wort. Diese Aufopferung nehmen wir Spieler schon wahr und wissen, was das bedeutet.

Für Sie ist es am Samstag aber noch nicht zu Ende: Joachim Löw hat angerufen und Sie erstmals zur Nationalmannschaft eingeladen.

Stindl Das ist eine tolle Sache. Ich war auch etwas überrascht und habe mich natürlich gefreut, zu den beiden Länderspielen gegen Dänemark und San Marino zu reisen, und dann zum Confed Cup nach Russland.

Denken Sie sich trotzdem: Es hätte vielleicht früher passieren können und nicht erst mit 28 Jahren?

Stindl Nein, ich habe immer gesagt, dass man berücksichtigen muss, was für gute Spieler wir in Deutschland gerade auf meiner Position haben. Deshalb konnte ich das alles immer nachvollziehen und habe gleichzeitig ein bisschen gehofft, mal dabei zu sein. Davon habe ich aber nie den Erfolg meiner Profikarriere abhängig gemacht. Ich bin sehr zufrieden damit, wie es bislang gelaufen ist. Das kommt jetzt als Bonus dazu.

Sie haben aber nicht das Gefühl, nur die Chance zu erhalten, weil viele der Arrivierten wie Marco Reus, Thomas Müller und Mesut Özil eine Pause bekommen?

Stindl Die Erfahrung ist etwas Besonderes, egal in welcher Form und unter welchen Umständen. So sehe ich das. Dass der eine oder andere eine Pause bekommt, ist völlig nachzuvollziehen. Die Jungs haben über so viele Jahre so viele Spiele gemacht. Ich habe zwar auch viele gemacht, aber in Absprache mit den Verantwortlichen im Verein hier werde ich schon genug Urlaub bekommen.

In der kommenden Saison dürfte der Fokus auch ein anderer sein, nachdem sie einmal dabei waren.

Stindl Das mag sein, spielt aber für mich keine große Rolle. Als ich nach Gladbach gekommen bin, war es schon eine Steigerung. Und dann lief es am Anfang nicht so. Generell glaube ich, dass ich mir über die Jahre ein privates Umfeld geschaffen habe, das mich gut abschalten lässt vom Fußball.

Sie haben sich, Rückschläge inbegriffen, immer gesteigert: 2. Bundesliga, Bundesliga, Europa League, Champions League, jetzt noch Nationalmannschaft. Wie groß ist die Gefahr, mit fast 29 Jahren satt zu werden?

Stindl Die Gefahr sehe ich überhaupt nicht, eben weil es immer Stück für Stück ging. Es gibt so viele Spieler, die schon ganz früh mit dieser medialen Aufmerksamkeit, diesen großen Verträgen und wichtigen Partien konfrontiert werden. Sich da noch zu steigern oder sein Level über zehn Jahre zu halten, ist schwierig. Bei mir war es so, dass ich mich immer auf neue Erfahrungen freuen konnte. Auch so etwas wie der zum Glück erfolgreiche Abstiegskampf mit Hannover war enorm wichtig für mich. Solche Gefühle, wenn das klappt, sind schwer zu beschreiben. In Gladbach kennt man das von der Relegation gegen Bochum. Das sind für sich alles Reize in einer Karriere.

Was reizt Sie denn noch in der Zukunft?

Stindl Zunächst einmal der Sommer, ein neues Kapitel. Aber nach diesem schwierigen Jahr reizt es mich und uns als Mannschaft vor allem, wieder voll durchzustarten. Der eine oder andere kommt neu. Da gilt es, sich zu finden, und eine harmonische Gruppe zu bilden, um die anderen anzugreifen. Die werden auch ihre Probleme bekommen. Wir wollen zeigen, dass wir mindestens genauso gut sind.

Warum war das Jahr so schwierig? Eigentlich war alles dabei.

Stindl In der Hinrunde war es aufgrund der Auswärtsmisere schwer. Wir standen unter Druck, zu Hause zu punkten, haben das irgendwann nicht mehr so geschafft. Dann wurde es schwer, wir hatten zur Winterpause nur 16 Punkte...

... und waren mit zehn Punkten aus fünf Spielen gestartet.

Stindl Genau, und dann kam die Phase mit vielen schwierigen Momenten. Der Verein hat die Entscheidung getroffen, sich vom Trainer zu trennen. Es gab in gewisser Weise einen Neustart.

Der Ihnen anscheinend einen richtigen Kick gegeben hat. Den Großteil Ihrer Tore haben Sie in der Rückrunde geschossen.

Stindl Uns allen hat die Pause gut getan, um einfach mal abzuschalten und neuen Mut zu schöpfen. Natürlich kam der Trainerwechsel hinzu. Der Start war sehr gut, bis zur Woche mit den Schalke-Spielen in der Europa League. Da haben wir in Hamburg verloren, sind ausgeschieden, haben gegen Bayern verloren vor der Länderspielpause. Danach haben wir uns mit sieben Punkten aus drei Spielen gut erholt gezeigt, gekrönt vom Derbysieg. Aber zuletzt sind wir natürlich etwas auf der Stelle getreten, gerade gegen Augsburg in der zweiten Halbzeit war es nicht gut. Da haben wir Punkte liegengelassen, die uns nochmal ein Stück nach vorne katapultiert hätten. Jetzt geht es darum, es nächste Saison besser zu machen.

Welche Rolle spielten die Verletzten?

Stindl Natürlich spielte das da rein. Ab einem gewissen Punkt war es der eine oder andere zu viel. Unabhängig von den Ausfällen hatten wir zwar immer eine gute Mannschaft. Aber es ist allein für das Trainingsniveau schon wichtig, mehr Spieler dabei zu haben. Es herrscht eine andere Stimmung, eine andere Grundhierarchie. Wenn Spieler wegbrechen, die die Mannschaft führen, ist das immer schwierig. Dafür haben wir es ordentlich gemacht.

Die Vertragsverlängerungen und mögliche Zugänge haben Sie angesprochen. Wen würde Lars Stindl als Sportdirektor holen?

Stindl Das ist nicht mein Metier. Grundsätzlich war es für den Verein die wichtigste Entscheidung, dass Max Eberl bleibt. Das beruhigt alle. Ansonsten werden sich Spieler finden, die in den Kader reinrutschen, vielleicht auch intern. Der Manager wird sich seine Gedanken machen, wie er personell ein paar Reize setzen kann.

Ihre erste Vertragsunterschrift in Gladbach liegt mehr als zwei Jahre zurück. Inwiefern hat sich der Klub seitdem verändert?

Stindl Wir werden durch die internationalen Auftritte schon anders wahrgenommen. Davor war es auch schon erfolgreich, aber man wusste nicht, wie konstant es ist. In fünf Jahren haben wir viermal europäisch gespielt, das ist etwas Besonderes, darunter zweimal Champions League. Für Borussia ist das eine Auszeichnung. Hinzu kommt der Spielstil, den wir ein Stück weit prägen.

Hat sich die Bundesliga seitdem verändert? 2015 schienen die Verhältnisse mit den ersten Sechs zementiert, in dieser Saison ist alles durcheinandergeraten.

Stindl Sicherlich hätte man nicht damit gerechnet, dass Leipzig und Hoffenheim so weit oben stehen. Aber beide spielen auf ihre Art einen sehr guten Fußball mit Philosophien, die sie konsequent durchziehen. Das muss man honorieren und akzeptieren. Die Vereine, die normal um diese Plätze spielen, haben alle ihre Probleme gehabt mit der Mehrfachbelastung und Verletzten. Es ist schon ein kurioses Jahr, nichtsdestotrotz hat jede Position ihre Berechtigung.

Ist der Fußball so bekloppt, dass es doch noch etwas gibt mit dem siebten Platz?

Stindl Wir müssen erst einmal unsere Hausaufgaben gegen Darmstadt machen. Dann schauen wir auf die anderen Ergebnisse und werden unsere Abschlussposition kennen, mit der wir dann leben müssen.

Das Gespräch führten Karsten Kellermann und Jannik Sorgatz.

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