Borussia Mönchengladbach Borussias Heilsbringer hört auf

Mönchengladbach · Diese weiche, zartfühlende Seite, die Martin Stranzl nun bei der Bekanntgabe seines Karriereendes im Sommer offenbarte, hätte sich über die Jahre wohl auch manch gegnerischer Stürmer gewünscht.

Denn so verletzlich die selbstgewählte Gewissheit des nahenden Abschieds vom Profidasein Borussias Kapitän gestern dasitzen ließ, so kompromisslos ging er auf dem Fußballplatz zu Werke. 36 Jahre alt wird der Österreicher im Juni, fünfeinhalb Jahre war er dann in Gladbach. Und dort haben sie ihn längst zum Überprofi stilisiert. Zum Heilsbringer. Zum Sankt Martin.

"Ich bin stolz, ein Stück von Borussias Geschichte geworden zu sein", sagte Stranzl und kämpfte bei der eigens einberufenen Pressekonferenz mit den Tränen. Neben ihm saß Sportdirektor Max Eberl und baute mit Worten weiter an Stranzls Denkmal. "Ich schätze Martin sehr als Fußballer, und ich schätze ihn über alle Maßen als Mensch", sagte Eberl. "Wir reden hier immer über Reus, über ter Stegen, über Dante, aber über den Jungs wird Martin Stranzl stehen, weil er sie dahin gebracht hat, wo sie heute sind."

Borussia Mönchengladbach: Martin Stranzl verkündet Karriereende
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Stranzl verkündet unter Tränen sein Karriereende

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Foto: Dirk Päffgen

Stranzl, der Besser-Macher. Der knorrige Wortführer in der Kabine. Der "Vollblutprofi, von dem sich viele Jungs eine große Scheibe abschneiden sollten" (Eberl). Aber auch Stranzl, der streitbare Zwischen-den-Zeilen-Erzähler. In allen Facetten wird der Burgenländer Borussia fehlen.

Als Faktor auf dem Platz fehlt er indes schon seit fast einem Jahr. Am 22. März 2015, es war ein 2:0-Sieg bei den Bayern, bestritt Stranzl sein bis heute letztes Pflichtspiel über 90 Minuten. Seitdem kam er auf zwei Einsätze. Eine Kette verschiedener Verletzungen warf ihn immer wieder zurück und brachte ihn schließlich zu der Entscheidung aufzuhören. "Das sind Signale vom Körper, die man nur richtig zu interpretieren braucht", sagte Stranzl. Wie gerne er auf diese Signale verzichtet hätte, konnte jeder in seinem Gesicht ablesen.

Der Körper zwingt also Sankt Martin in die Knie. Was indes überdauert, ist sein maßgeblicher Anteil an der Erfolgsgeschichte, die Borussia mit Stranzl geschrieben hat. In der Rückrunde 2010/11 stabilisierte der Zugang, den Eberl von Spartak Moskau an den Niederrhein gelotst hatte, die Abwehr dermaßen, dass es doch noch zum Klassenerhalt reichte. Als es in den Jahren danach für Borussia kontinuierlich aufwärts und sogar bis in die Champions League ging und Gegentore für das defensivstarke Lucien-Favre-Team zur Seltenheit wurden, war Stranzl ein Grund hierfür. Stranzl machte aus der Mannschaft mehr als die Summe ihrer Einzelteile, wenn man Kollegen wie Tony Jantschke Glauben schenkt. "Ja, allein durch seine Präsenz. Das ist unbestritten, das weiß jeder. Martin ist unser Turm. Er ist der Stamm, an dem sich jeder aufrichten kann", sagte Jantschke mal. Stranzl selbst war so viel Wertschätzung fast schon unangenehm. "Das bedeutet mir viel. Aber man darf sich auch nicht zu viel drauf einbilden, dann leidet die Konzentration", sagte er. Es entspricht seinem Naturell, den Fußball als Lebensinhalt zu sehen, aber nicht als den einzigen. Und so begegnet er dem Heldenkult im heutigen Profisport auch skeptisch. "Ich glaube nicht, dass es im Fußball wirkliche Helden gibt. Dafür sind andere Menschen zuständig. Wir konnten unser Hobby zum Beruf machen und unterhalten die Leute in modernen Arenen. Aber es gibt Wichtigeres im Leben", sagte er.

Im September wurde die vertraute Heilsbringer-Rolle dann aber selbst für Stranzl zu viel. Borussia hatte die ersten drei Saisonspiele verloren, beim Heimspiel gegen den HSV sollte der Österreicher nach halbjährigen Knieproblemen gefühlt im Alleingang alles zum Guten wenden. Aber es wurde an diesem Freitagabend alles böse: Borussia verlor 0:3 und Stranzl fiel mit einem Augenbogenbruch für ein weiteres halbes Jahr aus.

Der nächste Rückschlag also. Die nächste, auch mentale, Prüfung für ihn. Eine, die an ihm nagte - und an den Menschen in seinem Umfeld. "Dann werde ich, wie man in Österreich so schön sagt, zum Ungustl", beschrieb Stranzl seine Unzufriedenheit in diesen Wochen. Erst Anfang Februar kehrte er in der Schlussphase des Spiels gegen Bremen auf den Platz zurück. In den Sekunden vor seiner Einwechslung bekundete ihm der Borussia-Park stehende Ovationen. Das rührte ihn ungemein.

Aktuell laboriert Stranzl an einem Muskelfaserriss. Aber er will unbedingt noch mal spielen in dieser Saison. Das Testspiel gegen Bielefeld am Gründonnerstag ist sein nächstes Ziel. Danach hofft er noch auf die ein oder andere Minute, bevor im Sommer bei Borussia für ihn alles endet. Wobei, alles endet ja gar nicht. Er bleibt mit seiner Familie in Meerbusch wohnen. Sohnemann Elias (8) spielt bei der U 9 des dortigen FC Büderich und will auch Fußballprofi werden. Und bei Borussia würde man Elias' Papa nur allzu gerne in anderer Position an den Verein binden. "Unser großer Wunsch ist, dass er mit seinem ganzen Wesen bleibt", sagte Eberl.

Einen Sankt Martin weiß man halt gerne im Haus.

(klü)
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