Borussia Mönchengladbach Nordtveits Nebelschuss und La Ola im Rotlichtviertel

Zürich · Während die Mannschaft in der Gruppenphase noch nicht in Fahrt kommt, waren Borussias Fans in Zürich titelwürdig. Havard Nordtveits Treffer zum 1:1 kam jedoch nicht nur aus sportlicher Sicht zu einem günstigen Zeitpunkt.

Gladbach-Fans zeigen tolle Choreo in Zürich
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Gladbach-Fans zeigen tolle Choreo in Zürich

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Foto: dpa, pse hak

1.) Die Gladbachstrasse Zürich hatte keine echte Wahl. Auch ohne Vorbereitung und Gastfreundlichkeit seitens der Eidgenossen wäre das Rom-Revival der Borussia-Fans Realität geworden. Wer reisen will, der reist. Und anders als bei vorherigen Europapokal-Fahrten nach Kiew, Sarajewo oder selbst ins kulturhauptstädtische Marseille kochte die Gerüchteküche, was die Reisenden diesmal unter Umständen bösen Überraschungen erwarten würde, auf niedrigster Stufe. Ein Blick auf den Zürcher Stadtplan am Vorabend des Spiels offenbarte sogar eine besonders feine Geste der Gastgeber: Über mehr als einen Kilometer verläuft die Gladbachstrasse durch die größte Stadt der Schweiz. Leider wird sich die Nummer 26 unter Deutschlands Großstädten nicht revanchieren können.

2.) Borussen-Bandwurm Auf einen Nachbau der Spanischen Treppe hat Zürich verzichtet, Rom bleibt in der Hinsicht die Legende unter den Europatouren des VfL. Diesmal war der Hirschenplatz in der Altstadt der zentrale Treffpunkt der Fans, die sich drei Stunden vor dem Anpfiff in Richtung Stadion aufmachten. Auch ohne Bergwertung erinnerten die mehr als 5000 Teilnehmer an eine Tour-de-France-Etappe in den Alpen, so sehr zog sich das Feld in die Länge. Die Polizei überließ den Borussen-Bandwurm weitgehend sich selbst, der dankte es — bis auf ein paar Böller und Bengalos — mit akzeptablem Benehmen.

3.) Limetten im Anflug Der Fanmarsch produzierte ein paar Bilder, die so wohl nur der Europapokal hinbekommt. In einer schmalen Gasse hinter dem Bahnhof regnete es plötzlich Limetten (und nicht, wie zunächst angenommen, unreife Zitronen) aus den Fenstern. Auf der anderen Seite feuerte der Mob die Bewohnerinnen (auch nicht sonderlich reif) eines Wohnhauses an, das nicht gerade wie eine typische Ansammlung von Studenten-WGs wirkte. Die Damen aus dem Rotlichtbezirk — die ja gleichzeitig an der Uni immatrikuliert sein können — ließen sich zumindest zu einer La Ola überreden.

4.) Übers Ziel hinausgeschossen Mit dem diesmal schon exzessiven Abbrennen von Pyrotechnik war spätestens zu rechnen, nachdem eine erhebliche Anzahl von Leuten über Zäune ins Stadioninnere gestiegen war und sich dort eine kleine Auseinandersetzung mit der Polizei geliefert hatte. Ein paar hundert Menschen bringen mehr als 8000 in Misskredit, dem Verein droht die nächste saftige Strafe durch die Uefa. Als immer wieder Böller hochgingen, gegen die sich selbst Initiativen zur Legalisierung von Pyrotechnik aussprechen, quittierten einige Fans das mit Pfiffen. Dass die Kontrollen am Eingang überraschend lasch bis gar nicht existent waren und dass die Gastgeber mindestens gleich viel zündelten, kann keine Ausrede sein.

5.) Nicht ganz so eng gesehen Inkonsequent und zwiegespalten geht es aber auch bei der Uefa zu. Dass sie Ende August die Choreo der Gladbacher Ultras gegen Sarajewo nicht zuließ, ist groß und breit thematisiert worden. "Gewaltverherrlichend" soll es gewesen sein, einen Charakter aus dem Computerspiel "Grand Theft Auto" zu präsentieren. In Zürich durfte auf den Banden dagegen für das neue "Call of Duty" geworben werden. Zum groben Verständnis: Auch das ist nicht gerade als Kinderspiel mit pädagogischem Auftrag bekannt.

So sah die Kurve der #Borussia-Fans in #Zürich aus. pic.twitter.com/NcOnIdh3IU

6.) Remis auf den Rängen In der Bundesliga ist immer ein "Steht auf, wenn Ihr Borussen seid" vonnöten, um die Zahl der Mitgereisten akkurat schätzen zu können. Im Zürcher Letzigrund, einem Mekka der Leichtathletik, ging das leichter: 400 Meter Laufbahn, 150 davon von Gladbachern besetzt, 26.000 Plätze im Stadion, leicht geschwungener Tribünenverlauf — macht etwa 9000 Borussen on Tour. In Sachen Zuschauerzahl brachte das ein Unentschieden, das einem gefühlten Sieg glich.

7.) Finanzen Nicht dass die Schweiz es nötig hätte, aber solch ein Europacup-Schwarm gleicht auch immer einem schwarz-weiß-grünen Konjunkturprogramm. Die Preise (happig) waren ein beliebteres Smalltalk-Thema als das Wetter (sonnig bis heiter). Bleibt zu hoffen, dass die Reisekasse nach all den Bieren für neun Franken (0,4 Liter, aus dem Plastikbecher, lauwarm) noch etwas für Limassol und Villarreal hergibt.

8.) 70er-Jahre-Style Geht es nach den Borussia-Fans, soll es im Jahr 2015 weitergehen in der Europa League, und zwar schon im Februar. Zwei Punkte aus zwei Spielen bedeuten einen mehr als vor zwei Jahren. Damals sicherte sich der VfL vorzeitig das Ticket für die Zwischenrunde. Jetzt ist er seit elf Partien in allen Wettbewerben ungeschlagen. Wir erhöhen auf den "besten Saisonstart seit 44 Jahren". Im Europapokal hat die Borussia zudem nur eines der letzten zehn Spiele verloren, auswärts nur eines in fast 20 Jahren.

9.) Nebel-Schuss-Leuchte Trotzdem konnten die 150 Meter Tartanbahn die Mannschaft nach dem Spiel nur aus Prinzip feiern, nicht für einen Sieg oder eine starke Leistung. Vor dem 0:1 war es bereits etwas ruhig geworden in der Kurve, der lange Tag hatte an den Kräften gezehrt, immerhin war ein Großteil seit 15 und mehr Stunden auf den Beinen. Havard Nordtveits Nebel-Schuss-Leuchte in den Winkel — die Zürich-Fans hatten nach dem ersten Tor für mächtig Rauch gesorgt — kam nicht nur zum richtigen Zeitpunkt, weil sie schnell den Ausgleich brachte.

10.) Immer weiter Bis auf das Endergebnis hat also fast alles gepasst in Zürich. Sogar die Einheits-Verhandlungen nach dem Fall der Berliner Mauer erwiesen sich als wohlgesinnt, bescherten sie den Reisenden doch einen freien Tag nach dem Spiel. 1400 Sonderzugfahrer mussten vom Stadion direkt zum Zürcher Bahnhof, einige Fans verbrachten noch den Freitag in der Stadt, andere besuchten Sehenswertes in der Umgebung. Darunter fallen für Groundhopper auch Oberligaspiele im Raum Karlsruhe — dauert ja noch bis zum Sonntag, bis die Borussia wieder auf dem Rasen steht. Dann endet ein Zeitraum von 22 Tagen mit acht Pflichtspielen.

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