Berti Vogts im Interview "RB Leipzig macht nicht den Fußball kaputt"

Mönchengladbach · Der frühere Bundestrainer Berti Vogts (70) hat nach dem Aus von Jürgen Klinsmann als Trainer des US-Teams seinen Berater-Job beim US-Verband auf Eis gelegt. Die Bundesliga und "seine" Borussia Mönchengladbach hat er aber nach wie vor im Blick.

Das ist Berti Vogts
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Im Interview spricht der Weltmeister von 1974 über Vorbehalte gegen RB Leipzig, die Situation der Borussia, deren Manager Max Eberl, den neuen Bayern-Stil und die Meisterfrage.

Herr Vogts, Borussia Mönchengladbach spielt am Sonntag gegen den Aufsteiger RB Leipzig. Die Leipziger Fans wurden zuletzt in Dortmund attackiert, insgesamt wird RB viel Antipathie entgegengebracht. Können Sie das nachvollziehen?

Vogts Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Es gibt einen guten Plan dort. Ralf Rangnick hat eine klare Strategie, er holt fast nur Spieler unter 23 Jahren. Das gefällt mir, es ist besser, als für viel Geld einen 28-Jährigen zu holen. Wenn man junge Spieler holt, kann man sie entwickeln und später auch verkaufen — das ist für mich eine vernünftige Strategie. Und ich freue mich für die Stadt Leipzig, dass es dort nun eine tolle Mannschaft gibt mit einem sehr guten Sponsor. Jeder Klub in der Bundesliga wäre happy, einen solchen Topsponsor zu haben.

Trotzdem sagen viele: Das macht den Fußball kaputt.

Vogts Das sehe ich nicht so. Wir haben doch alle immer davon gesprochen, dass es im Osten mal eine schlagkräftige Mannschaft gibt. Die ist nun da — und jetzt ist sie so stark, dass es einigen offenbar zu viel ist. Jetzt heißt es: Geld beherrscht den Fußball. Aber es ist im heutigen Fußball nun mal so, dass es große Sponsoren gibt. Das ist auch bei Klub wie Bayern München oder Dortmund so. Auch die haben größere finanzielle Möglichkeiten als andere Klubs. Ich kenne das noch aus meiner Profi-Zeit. Wir in Gladbach wussten doch alle, dass es bei den Bayern mehr zu verdienen gab, weil die Rahmenbedingungen andere waren. Aber es gab keinen Neid. Nur den Ehrgeiz, sie trotzdem sportlich zu besiegen. Ich hoffe, das ist auch am Sonntag so.

Sie gehen davon aus, dass sich die Gladbach-Fans anders verhalten als die des BVB? Die haben Leipzig-Fans mit Flaschen beworfen.

Vogts Ich glaube und hoffe nicht, dass sich Borussias Fans so verhalten wie die in Dortmund. Ich finde es beängstigend, wenn man solche Bilder im Zusammenhang mit Fußball sieht. So etwas hat in unseren Stadien nichts verloren. Wir sprechen da nicht über Fans, sondern über Kriminelle. Und die will keiner haben, sie bewerfen unseren schönen Sport mit Schmutz. Ich bin mir aber sicher: Unsere Fans werden Borussia unterstützen, aber sie werden unseren Gast respektieren.

Respektieren ist ein gutes Stichwort. Der FC Bayern will auch respektvoll mit der Personalie Max Eberl umgehen, der als Sportdirektor beim FC Bayern im Gespräch ist. Glauben Sie, dass er Gladbach verlassen wird?

Vogts Ich habe damals auch dem Ruf des Geldes widerstanden, obwohl ich das drei- bis fünffache hätte verdienen können, und bin für immer Borusse gebklieben. Ich hoffe für die Borussia, dass Max Eberl Borussia bleibt. Hier in Gladbach ist er wer, in München wäre er einer von vielen. Max Eberl weiß genau, was er bei Borussia hat. Man sollte ihm von Seiten der Borussia nun auch nicht jede Tür aufmachen und sagen, er kann gehen, wenn er will. Im Fußball sollte man sicherlich niemals nie sagen. Doch ich glaube aber, dass er mit Borussia noch viel vor hat und seine Aufgabe hier für noch nicht beendet ansieht. Darum bin ich guter Dinge, dass er bleibt.

Kann man ,Nein‘ sagen, wenn der FC Bayern ruft?

Vogts Es kommt darauf an, wie man gestrickt ist. Wenn man unbedingt bei den Großen mitmachen will, muss man den Weg gehen. Doch man darf nicht vergessen, dass der Druck dort Tag für Tag riesengroß ist. Druck hat man überall, doch die Medienlandschaft in München ist eine andere als in Gladbach. Aber wenn man den Fußball liebt und tagtäglich Akzente setzen will für einen Klub, dann sollte man sich für Gladbach entscheiden.

Sollte Borussia am Sonntag Leipzig besiegen, wäre das möglicherweise eine Vorentscheidung in Sachen Meisterschaft.

Vogts Die Meisterschaft ist schon entschieden. Ich glaube nicht, dass Leipzig in Gladbach etwas holen wird. Borussia wird RB klar beherrschen. Es ist ein klarer Fortschritt unter dem neuen Trainer Dieter Hecking zu sehen. Es freut mich, dass es so ist und es ist auch ein Argument für die Borussen, alles dafür zu tun, dass Max Eberl bleibt. Er hat wieder die richtige Entscheidung getroffen. Die Bayern sind und bleiben Champion, da geht es nur darum, wer Zweiter wird und wer in die Champions League kommt. Leipzig? Hoffenheim? Dortmund vielleicht noch? Das Rennen um die Plätze hinter den Bayern ist sehr spannend.

Wird Bayern mit Carlo Ancelotti die Champions League gewinnen?

Vogts Ich hoffe es für den deutschen Fußball. Und ich würde es Ancelotti gönnen. Ich mag ihn als Trainertyp, auch wenn er oft in der Kritik steht. Er gibt den Spielern viele Freiheiten und sie spielen einen total anderen Fußball. Mit gefällt dieser besser als der, den die Bayern unter Pep Guardiola gespielt haben. Dieser Ballbesitzfußball ist nicht so meine Sache. Das schnelle Umschalten von der Defensive auf Offensive, das die Bayern unter Ancelotti praktizieren, gefällt mir besser.

Sie loben Ancelotti, und auch die Arbeit von Dieter Hecking in Gladbach. Beide gelten als Trainer vom "alten Schlag". Sind solche wieder angesagt im Vergleich zu den so genannten modernen Trainertypen?

Vogts Was sind die modernen Trainer?

Die so genannten Laptop-Trainer?

Vogts (grinst) Sind wir doch mal ganz ehrlich: Das, was heute als neu gefeiert wird, die Dreierkette zum Beispiel, ist doch gar nicht neu. Das hat es alles schon gegeben, und man sollte es nicht überbewerten. Und ganz ehrlich: Ist es der schöne Fußball, bei dem ich ständig den Ball hin und her schiebe und zweimal aufs Tor schieße? Fußball muss Spaß machen — und wenn da ein Spieler ist, der von 20 Pässen 18 quer spielt, dann läuft da was falsch. Jeder zweite, dritte Pass muss in meinen Augen nach vorn gespielt werden.

Ein Team, das sehr nach vorn orientiert ist, ist Borussia Dortmund. Tabellarisch ist der BVB aber weit hinter den Bayern. Ist es eine verlorene Saison für den BVB?

Vogts Nein, auf keinen Fall. Wegen des großen Stadions und des hohen finanziellen Aufwands verstehen sich die Dortmunder natürlich als Bayern-Jäger — aber im Moment sind sie es nicht. Dafür waren die Abgänge zu schwerwiegend. Aber sie haben viele hoch talentierte Spieler, und diesen Spielern sollte man die nötige Zeit geben. Wenn der BVB diese aktuell etwas schwierige Phase, und damit meine ich auch die Situation um Trainer Thomas Tuchel, übersteht, wird da etwas heranwachsen. Tuchel hat gute Idee, doch er sollte einsehen, dass er auch mal verlieren muss, um daraus auch zu lernen. Wenn die Dortmunder aus der aktuellen Phase die richtigen Schlüsse ziehen, können die Dortmunder in den nächsten Jahren viel näher an die Bayern heranrücken, als es jetzt Leipzig tut.

Der BVB hat in Aubameyang einen recht klassischen Mittelstürmer, noch klassischer ist Hoffenheims Sandro Wagner, über den viele sprechen. Kommen Klassiker wie diese, aber auch Verteidiger der alten Schule wieder in Mode?

Vogts Wenn man sich in den anderen Ligen umschaut, wenn man sieht, wie Benfica Lissabon jetzt gegen Borussia Dortmund gewonnen hat, wenn man schaut, wie ein Team wie Chile spielt, dann sieht man, wie in dort Eins-gegen-Eins-Situationen angenommen und gesucht werden, dann wird deutlich: Ja, es braucht wieder robustere Spieler, vorne wie hinten. Es geht heute um Kleinigkeiten — vor allem aber um die entscheidenden Zweikämpfe. Wenn man 70 Prozent der Zweikämpfe gewinnt, den einen in der 20-Meter-Zone vor dem Tor aber nicht, dann verliert man eben Spiele Dortmund in Lissabon oder Gladbach gegen Florenz.

Also gilt es, das Richtige im richtigen Moment tun.

Vogts Es gibt im Fußball nun mal keine Jury, die eine B-Note vergibt, die dann ins Endergebnis einfließt. Das gibt es im Eiskunstlauf, aber nicht im Fußball. Es geht um Tore. Und wer die macht, macht alles richtig. Trotzdem: Dortmund hat nach wie vor gute Chancen, die nächste Runde zu erreichen. Und auch Gladbach. Das 0:1 war schon sehr ärgerlich, weil so viele Chancen verpasst wurden. Wenn man solche chancen in Gladbach hatte, wird es die auch in florenz geben — man muss sie da nur nutzen.

Kann es erneut ein Champions-League-Finale zwischen Bayern und dem BVB geben?

Vogts Es wäre wünschenswert. Aber es wird schwer. Denn die anderen europäischen Top-Klubs sind sehr stark geworden. Real Madrid, aber auch Paris Saint-Germain.

Was kann Borussia Mönchengladbach in dieser Saison noch erreichen?

Vogts Ich sage es ganz ehrlich: Ich träume immer noch davon, dass ich im Mai in Berlin sitze und die Borussen im Finale des DFB-Pokals den Cup gewinnen sehe. Es wäre für mich sehr wichtig, dass die Borussia mal wieder einen Titel holt, und der Weg über den Pokal ist nun mal der kürzeste dahin. Ob das Team in der Bundesliga noch Anschluss an die Europa-Plätze findet, muss man abwarten. Es ist dem Team aber zuzutrauen. Mit Dieter Hecking ist wieder Ruhe eingekehrt und jeder Spieler weiß wieder genau, was er auf dem Platz zu tun hat. Das fehlte vorher. Wenn Dieter Hecking weiter so arbeitet wie in den ersten Wochen seiner Amtszeit, darf man gespannt sein, was noch passiert.

Karsten Kellermann führte das Gespräch.

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