Borussia Mönchengladbach So lief der Abend, den es nie gegeben hat

Manchester · Anfangs ist es noch idyllisch. Das Gewitter hat die Dämmerung in völlige Dunkelheit verwandelt. Zwischen Manchesters alten Industriebauten und neu in die Höhe gezogenen Wolkenkratzer blitzt es im Fünf-Sekunden-Takt. Am Fenster des Reisebusses, der die Journalisten zum Stadion bringt, sind keine Regentropfen mehr zu erkennen, sondern nur noch ein einziger Wasserschwall wie in der Waschstraße.

Starkregen in Manchester stoppt Borussia Mönchengladbach
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Starkregen in Manchester stoppt die Borussia

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Foto: afp

Wenn man im Nachhinein beschreibt, wie ein überraschendes Ereignis seinen Lauf nahm, ist das Wort "nichtsahnend" gesetzt. Kann ja wirklich niemand ahnen, dass ein 90-minütiges Gewitter, auch wenn es angesagt war, ein Champions-League-Spiel verhindert. Viel ungewöhnlicher für England waren die 27 Grad und der Sonnenschein am Dienstagmittag gewesen.

Als der Bus um 18.30 Uhr vor dem Stadion parkt, ist ans Aussteigen schon nur noch mit Badeklamotten oder einem Paddelboot-Shuttle zu denken. Das WLAN kommt mit einem von fünf Strichen an, Twitter und persönliche Drähte in die Heimat sind zu diesen Zeitpunkt die Informationsquellen für diejenigen, die sonst selbst Informationsquellen sein wollen. "Gibt's hier Sky?", wird im Bus gescherzt. Doch in diesem Moment hat selbst Sky Sendeprobleme.

Manchester City haut zuerst seine Aufstellung raus, Borussia lässt sich noch etwas Zeit. Als dann klar ist, dass Mo Dahoud, Fabian Johnson und André Hahn in die Mannschaft kommen, bietet sich statt des üblichen "So wollen sie spielen" bereits ein "So würden sie spielen wollen, wenn denn hier gespielt wird" an. Via Twitter kommen die Bilder an, wie Schiedsrichter Björn Kuipers im 100 Meter entfernten Stadion den Rasen testet. Das sieht nicht gut aus. Genau wie die Radarbilder, die im Nordwesten Englands einen tiefroten Streifen zeigen, Manchester mittendrin. Wenn Raffaels Heatmap später so aussähe, hätte City keine Chance.

Es kommt die Ansage, dass pünktlich angepfiffen werden soll, es aber im Zehn-Minuten-Takt eine Platzkontrolle gibt. Eine halbe Stunde vor dem Anpfiff, um 19.15 Uhr Ortszeit, wagen wir es, weil selbst eine Spielabsage keinen ruhigen Feierabend bedeuten würde à la "Dann kommen wir eben morgen wieder". Wie würde die Uefa das begründen? Wäre der Nachholtermin wirklich am folgenden Tag? Noch sind die Konjunktive erstmal egal. Leibhaftig hat sich rund um das Etihad Stadium ein regelrechter Burggraben gebildet. So ein Polizeipferd wäre jetzt hilfreich, um trocken ans andere Ufer zu kommen. Stattdessen gilt es, so weit zu springen, dass man nur im knöcheltiefen Wasser landet und nicht völlig untergeht.

Wie nach der ersten Disziplin im Triathlon, dem Schwimmen, geht es an Land, wo aber keine Fahrräder warten, sondern die himmelblau gestrichenen Katakomben des Stadions. Es herrscht scheinbar die normale Pre-Match-Hektik, diesmal ist es aber die Sorge, dass es gar kein Match gibt. Erst einmal auf der Toilette die Klamotten föhnen. Der Laptop steht kaum auf dem Tisch im Presseraum, als Sky-Kommentator Wolff Fuss twittert, dass das Spiel abgesagt ist. Es folgt Manchester City, dann die Uefa — was eine komische Reihenfolge ist, aber drei Quellen sind genug.

Endlich haben diese 108 Seiten Uefa-Regularien zur Champions League einmal einen Sinn. Artikel 26.03 ist angesagt: "Kann das Spiel aus irgendeinem Grund nicht beginnen (z.B. Zustand des Spielfelds), ist es am folgenden Tag, an einem Ausweichdatum oder an einem von der Uefa-Administration festgelegten, anderen Datum neu anzusetzen." Und weiter: "Eine Entscheidung ist nach Rücksprache mit den beiden Vereinen und den betreffenden Verbänden innerhalb von zwei Stunden nach der Entscheidung, das Spiel abzusagen, zu treffen."

Währenddessen geht die Mannschaft in die Kurve und bedankt sich bei den Fans. Die singen "Gladbach ist der geilste Klub der Welt!" und wie schon vergangenes Jahr beobachten die Engländer diesen Support mit offenen Mündern. 1600 Borussen hatten eine Karte, wohl nur 300, maximal 500 werden am Mittwochabend erneut da sein können. Für sie ist die Absage am bittersten.

Das findet auch Oscar Wendt, der kurz beschreibt, wie er und seine Kollegen die Nachricht aufgenommen haben. "Komischerweise hatten wir so eine Situation erst vor ein paar Wochen", sagt Wendt. Tatsächlich sieht die verkorkste Reise nach Italien mit dem ausgefallenen Spiel gegen Inter Mailand plötzlich aus wie ein genialer Schachzug in der Saisonvorbereitung.

Schnell wird klar, dass so schnell nichts klar sein wird. Letztendlich wäre der Platz wohl mit Verspätung bespielbar, aber die Uefa sieht sich nicht in der Lage, die Sicherheit der Zuschauer zu gewährleisten. In der Innenstadt stehen Haltestellen unter Wasser, und dann ist da noch dieser Burggraben rund um das Stadion.

Borussia würde die Partie gerne gegen 18 Uhr am Mittwoch nachholen, damit die Mannschaft noch zu einer humanen Zeit nach Hause kommt. Aber Manchester City bekommt so früh anscheinend nicht genug Ordner zusammen. Erst um 21.30 Uhr will die Uefa sich final zusammensetzen, ihre selbst gesetzte Frist aus Artikel 26.03 läuft dann ab. Unterdessen fertigt der FC Barcelona Celtic Glasgow mit 7:0 ab. Ohne eine Sekunde gespielt zu haben, bekommt Borussia bereits etwas Gewissheit, dass das mit dem dritten Platz in der Gruppe hinhauen sollte.

Aber wann darf der VfL selber eingreifen? Um 22.05 Uhr Ortszeit kommt die Nachricht: Alles um 24 Stunden nach hinten verschoben, Anpfiff am Mittwoch um 19.45 Uhr, so wie es für Dienstag geplant war. Draußen vor dem Stadion sind inzwischen kaum noch Pfützen zu sehen. Die Kollegen in Mönchengladbach haben schnell Borussias historische Wetterkapriolen im Europapokal zusammengetragen. Liverpool, schon einmal Manchester, Warschau, Barcelona — und wenn in ein paar Jahren die Vereinschronik neu aufgelegt wird, ist dieser Abend mit dabei. Der Abend, den es zumindest sportlich nie gegeben hat.

(jaso)
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