Borussia Mönchengladbach Unwürdiger Abgang eines Unantastbaren

Mönchengladbach · Mit seinem Alleingang aus dem Amt beschädigt Lucien Favre seine erfolgreiche Arbeit in Mönchengladbach nachhaltig. Statt einen Ausweg aus der Krise anzubieten, verschärft der Schweizer diese mit seinem Schritt noch einmal.

Twitter-Reaktionen zum Rücktritt von Favre
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Foto: dpa, jgu hak

Borussia und Mönchengladbach stehen unter Schock. Und der Mann, der für diesen Schock verantwortlich zeigt, ist ausgerechnet der, der den Verein in den vergangenen viereinhalb Jahren zu dessen erfolgreichster Zeit seit den glorreichen 70er-Jahren geführt hat. Lucien Favre hat in einem sonderbaren Alleingang seinen Rücktritt als Trainer durchgeboxt und trifft damit das Borussen-Land mitten ins Mark. Weil der Abgang trotz der Krise völlig überraschend kommt. Denn Favre besaß bis zu seinem freiwilligen Ausscheiden aus dem Amt bei Verantwortlichen, Spielern und Anhängerschaft einen Kredit, der noch lange nicht aufgebraucht war. Insofern muss seine Entscheidung mitten in einer Englischen Woche mit Duellen gegen Augsburg und Stuttgart wie eine Flucht wirken. Ein Im-Stich-Lassen. Wo Favre betont, mit seinem Rücktritt quasi selbstlos an Borussias Zukunft gedacht zu haben, verschärft er im Gegenzug die aktuelle Misere.

Aber vielleicht passt genau dieser Abgang letztlich zu einem Trainer, dessen Wesen wohl nur die Wenigsten bis in alle Winkel zu verstehen meinen. Favre gilt als Genie, und die Gedankengänge von Genies sind halt in der Regel keine sechsspurigen Autobahnen. Man hatte sich in Gladbach mit Favres Art trotzdem liebend gerne arrangiert und hätte es auch in der jetzigen Situation am liebsten weiter getan. Zurecht - weil der Schweizer einen nicht mehr für möglich gehaltenen Erfolg an den Niederrhein zurückbrachte. Weil er attraktiven Fußball spielen ließ. Weil er Borussia aus einer belächelten Projektionsfläche für Nostalgiker zu einem Top-Klub der Bundesliga machte. Borussia wurde unter ihm angesagt, wurde hip, bekam wieder einen Namen in Europa. Favre selbst wurde irgendwann Kult. Er wurde so oft als akribisch betitelt, dass der Eindruck entstehen konnte, seine Amtskollegen hätten es nicht so mit Details.

Wer als Spieler nach Gladbach kam, den machte Favre besser - das galt irgendwann als Naturgesetz. Wo andere Trainer ob ihrer pedantischen Art schnell bei einem Team unten durch gewesen wären, lechzten Gladbacher Profis geradezu danach, im Stellungsspiel von Favre einen halben Meter nach links korrigiert zu werden. Weil sie merkten, dass es sie weiterbrachte. Weil, wie ein Tony Jantschke immer wieder betonte, Glaube im Fußball wichtig ist. Und Glaube an seine Arbeit, den wusste Favre zu vermitteln. Da spielte seine zwar immer freundliche und mit Deutsch auf französischer Sprachgarnitur nett kokettierende, aber eben auch immer etwas kauzige, in sich versunkende Art im täglichen Umgang keine Rolle.

Wettanbieter liegen komplett daneben

Favre war in Gladbach unantastbar. Bei den Wettanbietern saß zu Saisonbeginn niemand so sicher im Sattel wie er. Natürlich gibt es auch in Gladbach die, die ihm anlasten, er habe Luuk de Jong zum teuersten Fehleinkauf der Vereinshistorie werden lassen, weil er nicht bereit war, sein Spiel auf die Stärken des Holländers umzustellen. Es gibt die, die seine stete Mahnung zur Ruhe im Spiel als Ängstlichkeit kritisierten. Es gibt die, die ihm fehlende Empathie vorwarfen. Aber im Großen und Ganzen war der 57-Jährige bis Sonntagabend der große Held der Gladbacher Neuzeit.

Doch dieses imaginäre Denkmal hat nun Risse bekommen. Denn es fehlt einfach an Verständnis für seinen Schritt. Favre war in diesen Wochen keiner, den etwa der Boulevard zum Rücktritt gezwungen hätte. Die Vereinsführung war trotz jeder weiteren Niederlage unumstößlich davon überzeugt, dass Favre nach wie vor der richtige Mann am richtigen Ort ist. Stellt sich also die Frage: Was trieb ihn zu seiner Überzeugung, das Handtuch werfen zu müssen? Es bleiben erst einmal Spekulationen. Nagte die Erinnerung an sein unrühmliches Ende bei Hertha BSC so sehr an ihm, dass er unter allen Umständen einen Rauswurf vermeiden wollte? War er den eigenen hohen Ansprüchen im Arbeiten nicht mehr gerecht geworden? War er nach viereinhalb Jahren ständigen Befassens mit der Materie Fußball mental ausgelaugt? Oder - was für Borussia die schlimmste aller Erklärungen wäre - war in ihm die Erkenntnis gereift, dass es mit der aktuellen Kaderzusammenstellung erneut eines mehrjährigen Kraftaktes bedurft hätte, um Borussia in obere Gefilde zurückzuführen?

Borussia Mönchengladbach: Zeit unter Lucien Favre in der Chronologie
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1680 Tage Favre bei Borussia Mönchengladbach

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Foto: dapd

Es bleibt das Gefühl eines unwürdigen Abgangs. Das Gefühl eines unwürdigen Endes einer aus Borussen-Sicht traumhaften und so undenkbaren Zeit. Und es bleibt im Borussen-Land seit Sonntagabend eine mulmige Gefühlslage: Die, dass Gladbachs neuer Trainer ein tonnenschweres Erbe antritt. Dass den fetten Jahre nicht selbstverständlich weitere fette folgen müssen. Dass das Biotop Borussia wieder zum ganz normalen Bundesligisten schrumpfen könnte.

(RP)
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