Borussia-Torwart Yann Sommer "Wir wollen den Funken wieder überspringen lassen"

Mönchengladbach · Nach dem Heimspiel gegen Hertha BSC ist Yann Sommer von den eigenen Anhängern beschimpft worden. Im Interview spricht Borussias Torhüter über seine Probleme mit den Fans, die schwierige Saison und seine Vorfreude auf seine erste Weltmeisterschaft.

Borussias Keeper Yann Sommer

Borussias Keeper Yann Sommer

Foto: dpa, lof

Herr Sommer, freuen Sie sich aufs Heimspiel gegen Wolfsburg?

Yann Sommer Natürlich! Warum nicht?

Bei der Mitgliederversammlung kam das Thema auf, dass Sie in der Nordkurve einen nicht ganz so angenehmen "Fanklub" haben, der Sie schon beim Warmmachen beschimpft.

Sommer Das ist ein bisschen falsch rübergekommen. Vor dem Spiel gegen Augsburg im Januar ist das einmal passiert. Da ging es eben gegen mich persönlich, was ich nicht akzeptiere. Das gehört nicht in ein Fußballstadion. Aber für mich hat sich das Thema erledigt.

Können alle, die nicht selbst Torwart sind, das Torwartspiel überhaupt verstehen?

Sommer Es gibt viele, die es verstehen, aber auch viele, die es nicht verstehen (lacht). Das ist aber als Torwart und selbst als Feldspieler ganz normal, dass Leute es nicht kennen, selbst auf dem Platz zu stehen. Trotzdem dürfen sie das, was sie sehen, beurteilen. Wenn sie meinen: 'Hey Sommer, das war Mist!‘, dann ist das schon okay.

Wenn Sie nicht gerade selbst Torhüter waren, kennen die Cheftrainer im Profifußball Ihre Rolle eigentlich auch nicht.

Sommer Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Cheftrainer explizit beim Torwartspiel nicht so sehr einmischen. Klar, es wird über den Spielaufbau gesprochen oder bei eindeutigen Fehlern wird gesagt: "Yann, den kannst du aber halten." Ansonsten wird es dem Torwarttrainer überlassen.

Wie würden Sie Ihre Saison zusammenfassen?

Sommer In den letzten Monaten — München und das zweite Tor mal weggelassen — hat es mir selbst wieder besser gefallen, auch von der Ausstrahlung her und wie ich mich fühle. Ich achte nicht immer nur auf die Paraden. Letztes Jahr hatte ich eine Phase, in der es ein Auf und Ab war. Jetzt gelingt es mir wieder, alles dafür zu tun, dass wir Spiele gewinnen. Es ist nicht einfach, das über einen langen Zeitraum konstant hinzubekommen. Aber das ist mein Anspruch.

Wie sehr regt Sie ein Spiel in München auf, in dem Sie insgesamt auch ziemlich allein gelassen werden von Ihren Kollegen?

Sommer Wir stehen als Team auf dem Platz und gewinnen und verlieren auch als Team. Darüber hinaus bin ich kein Fan davon, im Spiel oder direkt danach meine Unzufriedenheit so preiszugeben. Natürlich habe ich von hinten gesehen, dass wir keinen Zugriff mehr bekommen und nicht mehr für Entlastung sorgen können. Aber im Spiel ist es schwierig für mich, den Jungs den Mut wiederzugeben. Darum fühle ich mich nicht anders als alle anderen vor mir. Die ersten 25 Minuten waren sehr gut — weil München noch nicht so viel Druck gemacht hat, aber auch, weil wir uns etwas zugetraut und Fußball gespielt haben. Das hat uns in den letzten Jahren immer ausgezeichnet. Gegen München ist viel Risiko dabei, aber das war endlich mal wieder gut. Leider haben wir dann komplett aufgehört damit.

Josip Drmic hat gesagt: "Wie auf Knopfdruck."

Sommer Das ist so ein bisschen das Phänomen dieser Saison: Wir schießen ein Tor und lassen uns zurückdrängen. Dabei ist es egal, gegen wen du spielst, Probleme bekommst du dadurch immer.

Dieter Hecking wurde nachgesagt, auch auf der Mitgliederversammlung, er könne die Mannschaft nicht richtig motivieren.

Borussia Mönchengladbach: Profis diskutieren nach Hertha-Spiel mit den Fans
5 Bilder

Borussia-Profis diskutieren mit den Fans

5 Bilder

Sommer Ich sehe das nicht so! Wenn du im Fußball in einer schwierigen Situation bist, wird überall nach Gründen gesucht, und dann kommt man schnell auf solche Sachen. Wie der Trainer mit der Mannschaft arbeitet und spricht, kann niemand von außen beurteilen. Er kann sehr motivierend sein. Ich sehe das aber nicht so und ich finde auch nicht, dass er uns vor jedem Spiel besonders motivieren müsste. Was soll er sagen: 'Ihr dürft gegen Bayern spielen, seid mal motiviert?‘ Das muss von der Mannschaft selbst kommen. Auch für so ein Heimspiel gegen Wolfsburg vor fast vollem Haus sollte uns niemand motivieren müssen.

Wie wichtig sind diese letzten vier Spiele?

Sommer Die Tabellensituation ist vielleicht nicht mehr so entscheidend. Wir haben selbst ganz andere Ansprüche als das, was wir gezeigt haben. Ich fände es wichtig, dass wir für den ganzen Verein inklusive Fans und uns vier Spiele machen, damit wir mit einem guten Gefühl in die Sommerpause gehen können.

Warum ist das so schwierig? Auch unter Dieter Hecking ist es schon gelungen und so groß waren die personellen Veränderungen nicht.

Sommer Ich frage mich natürlich auch, warum wir es zu selten hinbekommen in diesem Jahr, dem Gegner das Gefühl zu geben: Heute nicht! Wir reden viel auf dem Platz, aber es fehlt manchmal die Power. Das bekommt man nicht auf Knopfdruck hin, sondern bedarf einer Entwicklung.

Borussia Mönchengladbach: Vertragslaufzeiten - Nicolas jetzt bis 2029
34 Bilder

Die Vertragslaufzeiten der Borussia-Spieler

34 Bilder
Foto: jdp/Jens Dirk Paeffgen

Wie sieht Ihre Rolle in diesem System aus?

Sommer Meine wichtigste Aufgabe ist es, viel mit der Mannschaft zu sprechen, um ihr im Spiel ein Sicherheitsgefühl zu geben. So geht es Stufe für Stufe weiter: Die Innenverteidiger sind dafür verantwortlich, dass die Sechser gut stehen und so weiter. Man braucht viel Kommunikation, aber auch Selbstvertrauen und Automatismen, das hat uns aus verschiedenen Gründen zuletzt etwas gefehlt. Auch die Unzufriedenheit rundherum im Stadion nimmt definitiv Einfluss auf ein Team.

Finden Sie die Kritik ungerechtfertigt?

Sommer Sachliche Kritik ist immer angebracht. Als Fan, der in den Borussia-Park kommt, würde ich auch nicht nur Siege sehen wollen, sondern eine Mannschaft, die dabei den Funken aufs Publikum überspringen lässt. Man muss so ehrlich sein, dass uns das bislang nicht oft genug gelungen ist. Darum kann ich die Unzufriedenheit verstehen. Damit umzugehen, ist unser Job.

Ist das diese Saison denn noch zu schaffen? Oder muss in der Sommerpause einmal der Reset-Knopf gedrückt werden?

Sommer Diese vier Spiele jetzt finde ich sehr wichtig — für Zeichen der Mannschaft gegenüber den Fans und Zeichen der Fans gegenüber der Mannschaft. Ich bin jetzt vier Jahre hier, in der meisten Zeit war es einfach geil, im Borussia-Park Fußball zu spielen. Egal, ob wir gewonnen haben oder nicht, war es ein geiles Gefühl, und ich wusste, wenn ich ins Stadion eingelaufen bin, dass die Leute hinter uns stehen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das in Zukunft wieder hinbekommen.

Das wieder hinzukriegen, klingt nach einer Mammutaufgabe.

Sommer Ich glaube nicht. Mit jeder neuen Saison beginnt ein neues Kapitel. Es wird ein paar Veränderungen geben, wie immer, und dann geht es von vorne los. Die Fans müssen etwas tun, wir aber auch.

Wie können Sie persönlich dazu beitragen, dass der Funke wieder überspringt?

Sommer Meine Hauptaufgabe ist die auf dem Platz, die versuche ich in jedem Training und jedem Spiel mit Leben zu erfüllen. Und daneben versuche ich, das Klima zu fühlen, und mit dem Mannschaftsrat diese Dinge anzusprechen.

Ihr zweites großes Turnier als Nummer eins der Schweiz steht an. Wie wichtig wird die WM für Ihre Entwicklung?

Sommer Es ist ein absolutes Highlight, eine Weltmeisterschaft zu spielen — mit das Schönste im Fußball. In Frankreich bei der Europameisterschaft haben wir gesehen, was ein Turnier für eine Euphorie entfachen kann in einem Land. Darauf freue ich mich.

Zweimal in Folge war die Schweiz im Achtelfinale. Soll es jetzt mindestens einen Schritt weiter gehen?

Sommer Wir setzen uns keine großen Ziele, weil wir wissen, dass wir eine spannende und schwere Gruppe haben. Die ist nicht zu unterschätzen, weil Brasilien zwar der klare Favorit ist, du gegen Costa Rica und Serbien aber erst einmal durchkommen musst.

Die Erwartungshaltung in der Schweiz ist auch gestiegen.

Sommer Wir können uns als Mannschaft gut einschätzen. Die Play-off-Spiele gegen Nordirland waren eine heftige Probe. Vom Druck her war das mit das Krasseste, was ich bislang erlebt habe. Keiner hält den Gegner für besonders stark, doch dann spielt er im übertragenen Sinne mit dem Messer zwischen den Zähne, schlägt lange Bälle, kämpft unermüdlich. Da sind wir in zwei Spielen ohne Gegentor weitergekommen, das muss man der Mannschaft hoch anrechnen. Für uns war das eine große Prüfung.

Wenn alles den erwarteten Verlauf nimmt, wartet im Achtelfinale Deutschland.

Sommer Ich hab's gehört. Wenn es so kommt, nehmen wir auch Deutschland (lacht).

Womöglich spielen Sie dann gegen Lars Stindl und Matthias Ginter. Spricht man darüber?

Sommer Nein, das ist zu weit weg. Erst einmal gilt es, die Gruppe zu überstehen, auch für Deutschland. Wenn es so kommen sollte, hätten wir immerhin unser erstes Ziel erreicht, weil wir im Achtelfinale stünden.

Ist es größer, gegen Deutschland oder gegen Brasilien zu spielen?

Sommer Deutschland ist natürlich der Weltmeister. Brasilien ist dafür das Fußballland schlechthin und hat mittlerweile wieder eine Mannschaft, die Offensivspektakel mit gutem Verteidigen verbindet. Das macht sie noch gefährlicher. Deutschland hat das letztens selbst gemerkt im Testspiel.

Was kann man von der Schweiz denn erwarten?

Sommer Die letzten Jahre haben uns gezeigt, dass wir uns definitiv nicht verstecken müssen. Wir reden uns auf keinen Fall klein und wollen natürlich alle Spiele gewinnen in der Gruppe. Was dann dabei herauskommt, werden wir sehen. Der Auftakt gegen Brasilien ist schwierig. Es kann aber auch sein, dass dich ein gutes Spiel besonders pusht. Man nimmt uns schon richtig ernst, das haben wir uns erarbeitet. Vergessen Sie nicht, dass Deutschland zehnmal so viele Einwohner hat wie die Schweiz. Wir sind immer dabei und haben eine tolle Entwicklung genommen.

Apropos Entwicklung: Wie würden Sie Borussias Stil unter Dieter Hecking beschreiben?

Sommer In den ersten 20, 25 Minuten in München hat man das mal wieder gesehen. Wir wissen, dass die Qualität riesig ist, wenn das Vertrauen da ist — in der Ballbehauptung, beim ersten Kontakt, im Passspiel. Nur brauchst du eben Mut, Ruhe und einen klaren Kopf, um diese Qualitäten auf den Platz zu bringen. Dieter Hecking ist auch ein Coach, der hinten raus spielen möchte. Aber wir sind momentan in einer schwierigen Situation. Ich merke selbst, wie ich es mir zweimal überlege, bevor ich den Ball 20 Meter ins Zentrum spiele, was früher selbstverständlich gewesen wäre. Deshalb verändert sich der Stil ein wenig, weil du mehr auf Sicherheit gehst.

Das Selbstvertrauen schenkt einem keiner.

Sommer Das stimmt. Deshalb sage ich ja, dass wir uns in den letzten Spielen selbst beweisen müssen, dass es besser geht.

Die Probleme waren beileibe nicht immer die gleichen in dieser Saison. Erst gab es zu viele Gegentore, dann schoss Borussia selbst zu wenig Tore.

Sommer Ein großes Problem war, dass unsere schlechten Phasen innerhalb eines Spiels oft zu schlecht ausgefallen sind. Dann machen wir es dem Gegner viel zu einfach, lassen zu viele Chancen zu. Den Bayern zum Beispiel hat man angesehen, dass sie nach so ein Gegentor ruhig bleiben. Sie sind so überzeugt von sich, was wir bei einem solchen Lauf wie ihn die Bayern haben, sicherlich auch wären. Aber auch so sind wir gegen Hoffenheim dreimal zurückgekommen und haben enorm viel Moral gezeigt.

Wie sehr wurmt Sie diese Saison?

Sommer Zunächst einmal muss man aufpassen, dass man die Saison nicht zu schlecht redet. Die Hinrunde zum Beispiel war bis auf einige Ausnahmen noch richtig gut. Die Rückrunde dagegen verlief aus unterschiedlichen Gründen so gar nicht nach unserem Geschmack. Sie dürfen nie vergessen, wie sehr wir als Sportler nach Siegen lechzen. Das beeinflusst das Privatleben, die Stimmung im Allgemeinen. Es ist so wichtig für uns, erfolgreich zu sein und Zufriedenheit im Umfeld zu spüren. Wenn du aufstehst am Sonntagmorgen, fühlst du dich gut. Nach einer Niederlage stehst du eher auf und hast dicke Augen, weil du schlecht geschlafen hast.

Schauen Sie nach Niederlagen auf Ihren Social Media Kanälen, was so geschrieben wird?

Sommer Ja hin und wieder, aber nicht nur nach Niederlagen. Social Media ist ein zweischneidiges Schwert. Ich war immer ein großer Fan davon, weil man den Leuten auch mal etwas geben kann, was sie bei Ihnen in der Zeitung nicht finden (lacht). Aber es werden dort auch viele negative Dinge geschrieben, die teilweise weit über konstruktive Kritik hinausgehen. Ich lasse mich davon aber nicht beeinflussen.

Nach dem Spiel gegen Berlin hat das sozusagen von Angesicht zu Angesicht stattgefunden. Ist es manchmal hilfreich, wenn solche Dispute offen ausgetragen werden?

Sommer Wir haben nicht gut gespielt gegen Berlin, aber wir haben gewonnen. Damit war das Ziel für mich erreicht. Es ärgert mich, wenn dann die Mannschaft trotzdem angepöbelt wird. Deshalb habe ich das Gespräch gesucht und danach hatte es sich für mich auch erledigt. Jetzt beschäftige ich mich nur noch mit der Aufgabe gegen Wolfsburg. Ich freue mich auf solche Abende, wo wir gemeinsam mit unseren treuen Fans das wahre Gesicht von Borussia zeigen können.

(kk, jaso)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort