Geheimsache Fußballtraining Die Bundesliga zieht die Vorhänge zu

Düsseldorf · Für Fans mit ausreichend Tagesfreizeit waren die Trainingseinheiten ihrer Klubs stets ein beliebtes Ausflugsziel, doch das dürfte die längste Zeit so gewesen sein. Wenn es beim Spiel um Millionen auf Kleinigkeiten ankommt, wollen sich die Bundesligisten so viel Volksnähe nicht mehr leisten und schotten sich zunehmend ab.

Der Hamburger SV wollte im Trainingslager keine neugierigen Blicke.

Der Hamburger SV wollte im Trainingslager keine neugierigen Blicke.

Foto: dpa, mks buc

Der Kiebitz ist ein etwa taubengroßer Zugvogel, der sich gern in Küstennähe aufhält. Über welche verschlungenen Pfade der Vogel ins Lexikon der Fußballsprache geflattert ist, ist nicht überliefert. Der Trainingskiebitz ist aber seit jeher ein Begriff für jene Zuschauer, die unter der Woche Zeit und Muße auf den Trainingsplatz des Lieblingsvereins verschlagen, um freilaufende Fußballprofis bei ihrer Vorbereitung auf die Spiele am Wochenende zu beobachten. Im besten Fall winkt sogar ein Autogramm oder ein kurzer Plausch mit den Lieblingen. Einer der wenigen Momente, in denen die Bundesliga-Vereine noch echte, nicht inszenierte Fannähe zulassen. Diese Tradition ist in Gefahr, selbst bei den vermeintlich Kleinen.

Am Donnerstag musste sich Gertjan Verbeek Luft machen. Der Trainer des Zweitligisten VfL Bochum schien nur darauf gewartet zu haben. Der Fragesteller aus der kleinen Journalistenrunde wollte allerlei zum anstehenden Auswärtsspiel wissen, diente Verbeek aber bloß als Stichwortgeber. "Ich muss erstmal wissen, ob Du auch für Sandhausen arbeitest", blaffte der Trainer und die Raumtemperatur schien augenblicklich um zehn Grad zu fallen. Nun, in sauertöpfisch Gucken machen dem Niederländer selbst Branchenkollegen so schnell nichts vor, aber diesmal war es ihm wirklich ernst. Der kommende Gegner SV Sandhausen wisse aus der Presse ohnehin schon alles über Personal und Formation, schimpfte Verbeek. Vorsichtige Einwände des Reporters, dass die Bochumer öffentlich trainiert hätten, konterte der VfL-Coach unwirsch: "Dann bist du bald nicht mehr willkommen."

Nun könnte man anführen, dass helle Köpfe nicht nur in Sandhausen längst entdeckt haben werden, dass es mit überschaubarem logistischem Aufwand möglich ist, Spione zum gegnerischen Training zu schicken. Sie können in der Regel die Vordertür nehmen. Wenn der VfL die angedrohte Linie also wirklich umsetzen wollte, müsste er nicht nur Journalisten ausladen. Die Öffentlichkeit generell vom Trainingsgelände zu verbannen, klingt radikal. Nachdem es jahrelang Gepflogenheit war, bei den ohnehin eher gering frequentierten Einheiten Volksnähe zu praktizieren, sind viele Bundesligaklubs dabei längst dazu übergegangen, nur noch ausgewählte Trainings unter den Augen der Öffentlichkeit abzuhalten. Die Zahl der tatsächlich öffentlichen Einheiten geht dabei nicht selten gegen Null.

Noch gibt es dabei durchaus Unterschiede. Als sich die beiden großen Ruhrgebiets-Rivalen FC Schalke 04 und Borussia Dortmund auf das Revierderby am Samstag vorbereitet haben, war es bei Königsblau kein Problem, Markus Weinzierl und seinen Spielern zuzusehen. Die Einheiten am Dienstag und Mittwoch waren für jedermann zugänglich, erst Donnerstag und Freitag gingen die Knappen in Klausur. Der BVB gibt sich dagegen schmallippig: "Wenn eine öffentliche Trainingseinheit stattfindet, wird dies kurzfristig bekanntgegeben", heißt es auf der Website des BVB. Das liest sich wie das Kleingedruckte auf einem Lottoschein, alles kann nichts muss. Angepeilt sollen zwei Einheiten pro Monate sein, aber wie immer gilt — alles ohne Gewähr.

Der Abschottung hat Thomas Tuchel zusätzlich Vorschub geleistet. Den 43-Jährigen zeichnen viele Eigenschaften aus — ausgeprägte Volksnähe zählt eher nicht dazu. Nimmt man hinzu, dass man dem Dortmunder Trainer nachsagt, dass er seiner Arbeit mit beinahe pedantischer Akribie nachgeht, sind Sichtzäune das Ergebnis. Inzwischen ist dem Verein die ungestörte Privatsphäre sogar buchstäblich ein Vermögen wert. Noch nach Ablauf der letzten Transferfrist hat der BVB für schlanke 326.900 Euro einen "Spionagehühel" gekauft. Eine kleine Anhöhe, die ans Trainingsgelände in Dortmund-Brackel grenzt und von Fans und mutmaßlich auch gegnerischen Scouts gerne genutzt wurde, um zu "spannen". Das Gelände gehörte dummerweise jedoch nicht dem BVB. Als sich die Chance ergab, den Hügel zu kaufen, schlugen die Borussen zu.

Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke verteidigt die Abschottung und ätzte noch unlängst in Richtung Gelsenkirchen: "Jeder dürfte mir zustimmen, wenn ich sage, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Klubs darin besteht, dass in Dortmund während der vergangenen Jahre jene Ruhe herrschte, die man benötigt. Und das hat vielleicht auch ein ganz kleines Stück weit mit den öffentlichen Trainings zu tun." Schalke rühmt sich derweil mit der eigenen Fannähe, auch innerhalb der Bundesliga herrschen unterschiedliche Philosophien: Während Branchenprimus Bayern München unter Pep Guardiola in blickdichte Planen investiert hat und nur grundsätzlich verspricht, ab und zu öffentlich zu üben, kommuniziert etwa Borussia Mönchengladbach umgekehrt. Solange nichts anderes angekündigt wird, sind die Einheiten frei zugänglich. Dass die permanente Öffentlichkeit allerdings auch ganz unmittelbare Probleme mit sich bringen kann, musste zuletzt der 1. FC Köln erfahren. Nachdem in kurzer Zeit zwei Zuschauer das Training gestört hatten, hat der FC zuletzt sogar einen Sicherheitsdienst engagiert, um konzentriert arbeiten zu können.

Ob die Traditionsklubs diesen Spagat dauerhaft durchhalten, darf jedoch bezweifelt werden. Die englische Premier League gibt bei einigen unseligen Entwicklungen einen Vorgeschmack auf das, was der Bundesliga bevorsteht. In England gibt es bereits seit Jahren überhaupt keine öffentlichen Trainings mehr.

Die Trainingskiebitze müssen auch hierzulande wohl nach und nach den geordneten Rückzug antreten. Sie teilen sich ein trauriges Schicksal mit ihren Namenspaten: Seit 2015 steht der Kiebitz auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohter Arten.

(ak)
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