Erstes Länderspiel nach dem Krieg 1950: Die Schlammschlacht von Stuttgart

Köln (RPO). Ein aufgeweichter Platz, ein denkwürdiger Handelfmeter und verletzte Zuschauer: Vor 60 Jahren, am 22. November 1950, bestritt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft das erste Länderspiel nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Elf von Sepp Herberger gewann in Stuttgart gegen die Schweiz 1:0.

Die jüngsten deutschen Fußball-Nationalspieler
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Foto: dapd

Der Andrang war enorm vor dem Duell gegen die Eidgenossen. Der kurz zuvor wiedergegründete Deutsche Fußball-Bund (DFB) gab die Zuschauerzahl mit 96.400 an, doch Beobachter waren sich einig, dass sogar wesentlich mehr Besucher in das Stuttgarter Neckarstadion strömten. Interessenten ohne Karte verschafften sich "durch Zerschneiden der Stadion-Umzäunung" Zugang, wie der Sport-Informations-Dienst (SID) damals berichtete. Weil weder die baulichen Gegebenheiten noch die Ordner den Menschenmassen gewachsen waren, wurden mehrere Zuschauer verletzt. Ein Spielabbruch drohte.

Die offensichtlichen Fußball-Entzugserscheinungen waren allerdings verständlich: Genau acht Jahre lag das letzte deutsche Länderspiel zurück. Am 22. November 1942 hatte Deutschland gegen die Slowakei mit 5:2 gewonnen, bevor der Spielbetrieb wegen des Zweiten Weltkriegs eingestellt wurde.

Nach Kriegsende 1945 wurde zwar in den zerbombten Städten schnell wieder Fußball gespielt, doch waren die Deutschen als Folge der Nazi-Diktatur international geächtet. Wie schon nach dem Ersten Weltkrieg war es die neutrale Schweiz, die sich für ein Ende der sportlichen Isolation des Nachbarn einsetzte.

Nachdem der DFB im September 1950 in den Weltverband FIFA aufgenommen worden war, wurden am 22. November 1950 gleich zwei Länderspiele ausgetragen: Die B-Elf der Eidgenossen gewann 5:3 im Saarland, das bis 1956 eine eigene Nationalmannschaft stellte. Mit wesentlich mehr Spannung aber wurde die Stuttgarter Begegnung erwartet.

Der neue Bundes- war der alte Reichstrainer: Sepp Herberger. Sein Aufgebot hatte kaum noch Ähnlichkeiten mit der Mannschaft der frühen 1940er Jahre. Viele Nationalspieler waren im Krieg gefallen, neun der zwölf im Neckarstadion eingesetzten Akteure waren Debütanten.

Die Favoritenrolle lag eindeutig bei den Schweizern, die zuvor Schweden und die Niederlande bezwungen hatten. Zudem fehlte Herbergers Musterschüler Fritz Walter. Doch zur Überraschung aller Experten entfachte die deutsche Elf einen wahren Angriffswirbel, obwohl der Platz nach anhaltendem Regen völlig aufgeweicht war. "Der deutsche Sturm wuchs, getragen von der Atmosphäre und dem Fluidum der Stunde, zu einer Leistung, die man gerade von ihm am allerwenigsten erwartet hatte", schrieb der SID.

Allein an der Chancenverwertung haperte es - bis die Herberger-Elf in der 42. Minute einen Handelfmeter zugesprochen bekam und Herbert Burdenski von Werder Bremen zum Punkt schritt. "Keiner war erpicht darauf, den Ball zu nehmen. Mein Vater aber war mutig genug", sagt Dieter Burdenski. Der langjährige Torwart von Schalke 04, von Arminia Bielefeld und des SV Werder wurde vier Tage später geboren, kennt die Szene aber aus Erzählungen: "Mein Vater verwandelte sicher, es war wohl der wichtigste Treffer für ihn persönlich. Noch heute begleitet das Tor unsere Familie."

Der Sieg der deutschen Mannschaft war hochverdient, wie auch das Schweizer Magazin Sport einräumte: "Diese Deutschland-Elf wird nicht nur den Tag, sondern sicherlich eine längere Periode ihres Wiedereintritts in die internationale Wettkampf-Arena erfolgreich bestreiten." Diese längere Periode fand ihren Höhepunkt bei der Weltmeisterschaft 1954 - ausgerechnet in der Schweiz. Drei der Helden von Bern, die im Finale Ungarn mit 3:2 besiegten, standen schon bei der Stuttgarter Schlammschlacht auf dem Platz: Toni Turek, Max Morlock und Ottmar Walter.

(SID/spo)
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