Wie früh ist zu früh? Die Bundesliga diskutiert über die Rückkehr zum Alltag

Dortmund/Düsseldorf · Borussia Dortmund war nicht glücklich damit, schon so früh wieder gegen Monaco zu spielen. Doch wann ist die passende Zeit, um zum Tagesgeschäft überzugehen? Vor dem anstehenden Spieltag diskutiert die Bundesliga über die richtige Antwort auf den Terror.

 BVB-Trainer Thomas Tuchel.

BVB-Trainer Thomas Tuchel.

Foto: dpa, gki lof

Für einen Tag hält der Fußball inne. Karfreitag steht an, ein stiller Feiertag, der auch das emsige Fußballgeschäft kurzzeitig unterbricht. Doch bereits am Samstag um 15.30 Uhr herrscht wieder Hochbetrieb, Borussia Dortmund spielt zuhause gegen Eintracht Frankfurt - eine von sieben Begegnungen an diesem Tag, alleine in der 1. Bundesliga. Der eng getaktete Terminplan der Profiklubs gewährt nicht viele Pausen. Wie erbarmungslos das mitunter sein kann, erfuhren Borussia Dortmunds Profis am Mittwoch. Keine 24 Stunden nach einem Anschlag auf ihr Leben mussten sie wieder funktionieren. Auch wenn der Angriff unmittelbar dem BVB galt, fühlen die Konkurrenten aus der Bundesliga mit Schwarz-Gelb. Dass man den Attentätern nicht zugestehen dürfe, dass sie über den Alltag bestimmen, darüber sind sich alle einig. Ob es eine richtige Entscheidung war, eine zumindest in Teilen greifbar verunsicherte Mannschaft so früh nach dem traumatischen Ereignis wieder aufs Feld zu schicken, darüber sind sich Trainer und Spieler dagegen uneins.

Julian Nagelsmann, der als Trainer der TSG Hoffenheim mit den Dortmundern um einen Champions-League-Platz wetteifert, erhofft sich vor allem keinen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Borussen. "Ich hoffe natürlich nicht", sagte Nagelsmann, "dass wir durch diesen Scheiß, der vorgefallen ist, einen Vorteil bekommen." Die frühe Neuansetzung des Monaco-Spiels sieht der 29-Jährige kritisch. "Ich würde mir wünschen, dass man künftig die wirtschaftlichen Interessen hinten anstellt und mehr Menschlichkeit zeigt", sagte er am Donnerstag: "Der Termin war nicht ganz glücklich gewählt." Nagelsmann hätte sich einen anderen Zeitpunkt für die Ansetzung gewünscht, "auch wenn dann eben die Zuschauer nicht ins Stadion kommen können und es vielleicht keine TV-Übertragung gibt."

Andere Trainerkollegen können aus der schnellen Rückkehr zum Alltag ein mutiges Signal herauslesen. Martin Schmidt vom abstiegsgefährdeten FSV Mainz 05 bewertet die rasche Neuansetzung positiv. "Ich denke, das war eine Art der Verarbeitung - auch für die Fans. Der erste Schritt zur Normalität ist getan", sagte Schmidt. Ähnlich sieht es auch Werder Bremens Angreifer Max Kruse: "Das ist nicht schön, was da passiert ist. Ich war selbst mit der Nationalmannschaft in Paris von einem Anschlag betroffen. Wir müssen uns dennoch auf den Alltag konzentrieren und dürfen solchen Leuten nicht nachgeben."

Christian Streich vom SC Freiburg ging in seiner Bewertung sogar noch weiter: "Vielleicht gab es für Dortmund eine größere Mission als das Halbfinale. Der sportliche Erfolg kann zweitrangig sein, wenn es um eine Botschaft geht, die man an diejenigen schickt, die die Menschen in die Luft sprengen wollen", sagte der 51 Jahre alte Fußballlehrer, der sich öfter zu gesellschaftspolitischen Themen äußert.

"Es ist nicht schlimmer, wenn es Fußballer betrifft. Es ist immer schlimm", sagte Streich. Unter der zunehmenden Radikalisierung hätten die Menschen überall zu leiden. Er verstehe die Kritik von seinem Trainer-Kollegen Thomas Tuchel und von den Spielern an der Ansetzung des Spiels keine 24 Stunden nach dem Anschlag, sagte Streich bei der Pressekonferenz des SC Freiburg. "Aber es ist natürlich auch eine Frage, wie man politisch und gesellschaftlich auf so etwas antwortet. Man darf nicht klein beigeben. Von daher ist es nachvollziehbar, zum Alltag überzugehen."

Tuchel: "Heute ist mein schlimmster Tag"

Die Betroffenen selbst wird der Vorfall allerdings noch länger beschäftigen, glaubt BVB-Coach Tuchel. "Wir müssen einen Weg finden, damit klarzukommen. Wir wissen aber noch nicht, wie das passieren wird. Es ist unglaublich schwer, darüber zu sprechen. Wir können das nur untereinander teilen und verstehen", sagte er am Donnerstag. Tuchel erklärte zudem, dass "heute mein schlimmster Tag ist. Es kommt in Wellen." Der BVB bietet seinen Spielern professionelle Hilfe an. Die Profis müssen aber selber entscheiden, ob sie das Angebot nutzen. "Damit muss jeder anders umgehen. Jeder hat es komplett unterschiedlich wahrgenommen. Es gibt Spieler, die die Explosion gesehen haben. Daher gibt es sehr viele unterschiedliche Eindrücke und sehr viele unterschiedliche Wege der Verarbeitung", sagte Tuchel.

Am Donnerstagmorgen trainierte der BVB, danach arbeitete Tuchel mit seiner Mannschaft das Spiel anhand statistischer Daten auf. "Ich habe der Mannschaft ein dickes Kompliment ausgesprochen. Die Mannschaft hat einen tollen Charakter und viel Mut gezeigt", sagte Tuchel, der das Ziel für die kommenden Tage und Wochen formulierte: "Wir müssen versuchen, mit der Zeit einen Umgang damit zu finden, der es uns erlaubt, wieder mit Spaß an die Sache heranzugehen. Wir werden am Samstag versuchen, es auf dem bestmöglichen sportlichen Level zu spielen. Du bist aber der beste Sportler, wenn du dir keine Sorgen machst."

Der künftige Fifa-Sicherheitschef Helmut Spahn hat die direkte Neuansetzung verteidigt und sieht Sportler nicht stärker im Fokus von Terroristen als früher. "Anschläge, von wem auch immer, richten sich gegen uns, unsere Freiheit, gegen unsere Gesellschaft. Wenn wir einknicken, machen wir genau das, was diese Kriminellen wollen", sagte der ehemalige Sicherheitsbeauftrage des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Aber man muss immer abwägen. Wenn es Tote gegeben hätte, hätte natürlich kein Spiel stattgefunden."

Es sei zwar nachvollziehbar, dass der normale Fan und Bürger denke, der Terror sei nähergerückt: "Aber wenn man sich die Statistik anschaut, leben wir fast in den sichersten Zeiten, was terroristische Bedrohung und die Zahl der Opfer betrifft, insbesondere in Europa", sagte Spahn: "Was anders ist, ist die mediale Aufmerksamkeit. Da zahlt der Fußball auch den Preis seiner exorbitanten Popularität."

Erkenntnisse darüber, dass Sportler stärker ins Ziel von Terroristen gerückt sind, habe er nicht. "Das Gefühl hat man jetzt vielleicht, weil der Sport mehrfach betroffen war. Aber das war auch in der Vergangenheit schon der Fall. Nicht unbedingt in Europa, aber anderswo", sagte Spahn. Gleichzeitig warnte er vor vorschnellen Schlussfolgerungen. "Wir sollten jetzt erst mal alle Fakten analysieren und nicht über das Ziel hinausschießen. Es ist ja oft so, dass in dem Moment, wenn so etwas passiert, alle möglichen Forderungen gestellt werden."

In einem Wunsch dürften sich alle Beteiligten einig sein: Dass die Bundesliga am kommenden Wochenende einen ganz normalen 29. Spieltag erlebt.

(dpa/sid/ako)
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