"Noch keiner hat irgendeinen Titel geholt" Berti Vogts kritisiert Jugendwahn auf der Trainerbank

Hoffenheim/Düsseldorf · Julian Nagelsmann (30) hat für junge Kollegen die Tür zur Bundesliga geöffnet. Berti Vogts (70) verteidigt die alte Garde. Der frühere Bundestrainer kann mit dem Wirbel um die junge Trainergarde in der Bundesliga nur wenig anfangen.

Das ist Berti Vogts
13 Bilder

Das ist Berti Vogts

13 Bilder
Foto: dpa

Im deutschen Sprachgebrauch gibt es so genannte Deonyme. Das sind generalisierte Markennamen. So wird landläufig um ein Tempo gebeten statt um ein Taschentuch. Oder um Uhu statt um Klebstoff. Im Fußball gibt es das neuerdings auch. Das Deonym lautet: Nagelsmann. Es steht für einen sehr jungen, sehr modernen Trainer mit neumodischem Konzept, der sich als Spieler keinen großen Namen gemacht hat.

Julian Nagelsmann, 30, Chefcoach von Bundesligist Hoffenheim, hat sich nicht nur in der Bundesliga etabliert. Nein, er ist zur Marke geworden und hat damit ganz nebenbei für junge Kollegen den Türöffner zur Beletage des deutschen Fußballs betätigt. Heute erreicht Nagelsmanns Trainerkarriere ihren vorläufigen Höhepunkt: An der Anfield Road kämpft Hoffenheim gegen den FC Liverpool im Play-off-Rückspiel um den Einzug in die Gruppenphase der Champions League (20.45 Uhr/Live-Ticker).

Nicht wenige Experten und Fans schütteln den Kopf, als die TSG Hoffenheim ankündigt, Julian Nagelsmann zur Saison 2016/17 den Job als Bundesliga-Cheftrainer anzuvertrauen. Der kann sich doch keinen Respekt bei seinen — teils älteren — Spielern erarbeiten, oder? Doch, er kann. Nagelsmann übernimmt die TSG — ein paar Monate früher als geplant — im Februar 2016 auf Platz 17 und sichert als jüngster Trainer der Bundesliga-Historie den Klassenerhalt. Ein Jahr später bejubelt das Kraichgau Platz vier und reist an die Anfield Road — mit Nagelsmann, der von Journalisten zum Trainer des Jahres 2017 gewählt wird.

Es ist eine Erfolgsgeschichte, die Auswirkungen weit über Hoffenheim hinaus hat. Während renommierte Vereine den Namen Nagelsmann weit oben in ihren Notizbüchern vermerken - allen voran der FC Bayern —, haben sich andere Vereine auf die Suche nach einem Klon begeben. Das passt nicht allen. "So leicht wie heute, Bundesliga-Trainer zu werden, war es noch nie", sagt Armin Veh, 56 Jahre, Meister mit dem VfB Stuttgart 2007, derzeit arbeitslos. Er habe zwar auch im Alter von 29 Jahren als Trainer angefangen. "Aber ich musste schon dreimal Meister werden und aufsteigen, bis ich dann eine Chance bekommen habe in der Bundesliga."

Die jungen Wilden drücken das Durchschnittsalter

Als Veh Meistertrainer war, lag das Durchschnittsalter eines Erstligatrainers bei 48,5 Jahren. Heute sind es 44,5. Die Übungsleiter vor zehn Jahren kamen auf zusammen 1674 Bundesliga-Partien als Spieler. Aktuell sind es 989. Dafür sorgen neben Nagelsmann vor allem Domenico Tedesco (Schalke/31), Hannes Wolf (Stuttgart/36), Manuel Baum (Augsburg/37), Alexander Nouri (Bremen/38) und Sandro Schwarz (Mainz/38). Eine junge Garde weitgehend Unbekannter.

Berti Vogts (70) gab im Gespräch mit unserer Redaktion zu bedenken: "Man sollte in der Debatte nicht vergessen, dass die gestandenen Trainer, ob früher Weisweiler oder Lattek oder heute Veh, etwas aufgebaut haben, das dem deutschen Fußball gutgetan hat. Bei den jungen Trainern muss man erst mal abwarten, wohin die Reise geht. Noch keiner aus der jungen Trainergeneration hat irgendeinen Titel geholt oder einen Spieler zum Weltklassespieler ausgebildet", betont der Europameister-Coach von 1996.

Gladbachs Trainer Dieter Hecking (52) sagt: "Vor eineinhalb Jahren wurde gesagt: Thomas Tuchel, Markus Weinzierl, Roger Schmidt sind die Trainer der Zukunft. Durch die Ereignisse der vergangenen Saison werden sie plötzlich anders gesehen. Mir wird da manchmal zu schnell endgültig geurteilt, positiv wie negativ."

In Hoffenheim ist man jedenfalls begeistert von Nagelsmanns Innovationsgeist. Im vergangenen Jahr ließ er das Training von einer Drohne filmen, in diesem Sommer installierte er neben dem Platz eine riesige Videowand, um dem Team seine Analysen direkt auf dem Rasen mitzugeben. "Grundsätzlich gilt: Es gibt nicht junge oder alte Trainer. Was einzig zählt, ist der Erfolg", sagt Vogts. "Darum werden auch erfahrene Trainer heute mit einem Team arbeiten und nicht mehr allein."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort