Studie Verteidiger erleiden die häufigsten Kopfverletzungen

Köln · Gehirnerschütterungen gelten im Sport noch immer als eine leichte Verletzung. Dabei gehen Experten längst davon aus, dass sie langfristig schwere Schädigungen am Gehirn hinterlassen können.

Der Kölner Verteidiger Frederik Sörensen holte sich am Wochenende "nur" einen Cut an der Augenbraue.

Der Kölner Verteidiger Frederik Sörensen holte sich am Wochenende "nur" einen Cut an der Augenbraue.

Foto: afp, PST

"Schiri, ist das das Finale? Ich muss wissen, ob das wirklich das Finale ist." Die Worte von Christoph Kramer waren wenige Wochen nach dem WM-Triumph der deutschen Fußball-Nationalmannschaft 2014 in Rio de Janeiro in aller Munde. Sein Zusammenstoß mit Ezequiel Garays Schulter in der 17. Minute, wie er bewusstlos zu Boden ging, hatte jeder sofort wieder vor Augen. Dass er trotz einer Gehirnerschütterung wenige Minuten später wieder auf dem Feld stand, zeigt, dass Kopfverletzungen noch immer nicht ernst geworden werden.

Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft, die Universität Paderborn und das Unfallkrankenhaus Berlin kommen in einer aktuelle Studie zum Ergebnis, dass in Deutschland die Häufigkeit von sogenannten "Concussions" aufgrund der Popularität des Fußballs am höchsten ist.

Das Risiko hängt dabei insbesondere von der Spieler-Position ab. Verteidiger sind am stärksten gefährdet, eine Kopfverletzung zu erleiden (37,9 Prozent), gefolgt von Mittelfeldspielern und Stürmern (jeweils 27,6 Prozent) und den Torhütern (6,9 Prozent). Spieler-Spieler-Kontakte stellen dabei die häufigste Ursache dar.

Was in Amerikas Football-Profiliga NFL längst ein großes Thema ist, wartet in Deutschland noch immer auf Beachtung. Außerhalb des anglo-amerikanischen Raums "gibt es bislang kaum gesicherte klinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse", heißt es in der Studie.

Langfristige Folgen

Dabei gehen viele Experten davon aus, dass Gehirnerschütterungen langfristige Folgen wie Gedächtnisverlust, Demenz und Depressionen haben können. Die irreparable Gehirnerkrankung CTE (Chronische Traumatische Enzephalopathie) wird auf Concussions zurückgeführt. Der Neurologe Bennet Omalu obduzierte im September 2002 die Leiche des Ex-Footballspielers Mike Webster, der im Alter von 50 Jahren verstorben war. Er entdeckte, dass Websters Gehirn im Zustand eines Demenzkranken war. Bei einem Zusammenstoß zwischen zwei Spielern wirken Kräfte bis zu 700 Kilogramm.

Die NFL wehrte sich lange Zeit gegen einen Zusammenhang zwischen Schlägen auf den Kopf und neurologischen Leiden. Kopfverletzungen wurden lange Zeit bagatellisiert, Euphemismen der Kommentatoren wie "he got his bell rung" bestimmten das Bild: "Jemand hat seine Glocke geläutet."

Im März jedoch bestätigte erstmals ein Offizieller eine solche Verknüpfung. Jeffrey Millner, Vizepräsident für Gesundheit und Sicherheit: "Die Antwort ist wohl Ja." Studien zeigen, "dass bei einer Zahl von zurückgetretenen NFL-Spielern CTE diagnostiziert wurde".

Diesen Schritt muss der Fußball erst noch gehen. Dabei sind die Fälle zahlreich. Dortmunds Roman Bürki, damals noch Torhüter von Grasshopper Zürich, wurde von seinem Gegenspieler Kristian Nushi am Kopf getroffen und lag 15 Minuten regungslos am Boden, da eine Trage fehlte. Petr Cech ist seit seinem Schädelbasisbruch 2006 die Stimme jener, die schwere Kopfverletzungen fürchten. Er geht seither nur noch mit einem Helm ins Tor. Frankreichs Nationaltorhüter Hugo Lloris von Tottenham Hotspur wurde 2013 gegen den FC Everton von Romelu Lukaku so hart am Kopf getroffen, dass er kurzzeitig bewusstlos wurde.

Der Teamarzt empfahl einen Wechsel, aber der portugiesische Trainer André Villas-Boas widersetzte sich - Lloris spielte weiter. "Hugo hat einen starken Charakter und ist eine große Persönlichkeit", sagte er damals. Immerhin das ist heute nicht mehr möglich: Seit 2015 entscheidet allein der Mannschaftsarzt über das Weiterspielen eines Akteurs.

(sid)
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