Druck im Jugend-Fußball steigt Der Berater lauert sogar im Aufzug

Düsseldorf · Eine alarmierende Studie der Universität Leeds zeigt, dass enormer Druck von allen Seiten viele jugendliche Fußballer an den Rand des Burn-outs treibt. Auch in Deutschland geben Entwicklungen Anlass zur Sorge.

Die jüngsten Bundesliga-Debütanten
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Foto: dpa/Soeren Stache

Die Berater lauern sogar im Aufzug. "Bei Jugendturnieren belagern sie die Spieler regelrecht, fahren stundenlang in den Hotels rauf und runter, schreiben ihnen bei Facebook", berichtet Ulf Baranowsky, "in der Hoffnung, somit ihre Visitenkarte loszuwerden - und einen kommenden Star an die Angel zu bekommen."

Der Geschäftsführer der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VdV) ist "völlig alarmiert": Laut einer Studie der Universität Leeds klagt jedes vierte Fußball-Talent aus den Elite-Akademien der englischen Spitzenklubs gelegentlich über Burn-out-Symptome. Der Grund: Druck von Vereinen, Beratern, Eltern, Lehrern, Mitspielern - der Zwang zur Perfektion.

Der nächste David Beckham

"Es geht um chronischen Stress, emotionale und körperliche Erschöpfung. Und im schlimmsten Fall reden wir über ein Umfeld, das den Spielern ein Denkmodell einpflanzt, sie seien der nächste David Beckham", schreibt Dr. Andrew Hill vom Biomedizinischen Institut in seiner Analyse. Ab ihrem achten Lebensjahr müssten die Talente jede Saison ein gnadenloses "Aussieben" überstehen, "Cull" genannt. Dies könne zum Burn-out führen, noch bevor die Jugendlichen 16 seien.

Baranowsky sieht auch in Deutschland bedenkliche Tendenzen. "Häufig ist ein völlig überzogener Optimismus festzustellen, alle Eltern denken, ausgerechnet ihr Junge werde der Superstar. Das ist naiv." Auch unter den Bundesliga-Klubs seien schwarze Schafe: "Sie schließen Verträge mit 13-Jährigen, obwohl Förderverträge erst ab 15 erlaubt sind. Sie üben Druck aus, nach dem Transferwunsch wurde dann gesagt: Wenn Du uns verlässt, wirst Du hier nicht mehr spielen." Die Berater sprächen schon 12-Jährige an, "es ist ein einziger Kampf".

Julian Draxler von Schalke 04 bekam von seinem Trainer Felix Magath einst den riskanten Rat, die Schule zu schmeißen - es wäre eine Belastung weniger. Und Mats Hummels von Borussia Dortmund sagte 2007 in einem Interview, die Schule verlangsame seine fußballerische Entwicklung: "Außer, dass es dann im Steckbrief gut aussieht, bringt mir das Abitur als Profi nichts mehr." Baranowsky warnt: "20 bis 25 Prozent der Spieler sind nach der Karriere pleite oder überschuldet. Sie wissen, dass sie auf eine Wand zurasen. Aber sie bremsen nicht."

Christian Wück kennt diese Geschichten. Der Ex-Profi ist U16-Bundestrainer, er wurde einst selbst früh entdeckt, bei Rot Weiss Ahlen betreute er Kevin Großkreutz und Marco Reus, als die weit weg vom Stardasein waren. "Der Aufwand ist schon immens, mit früher ist das gar nicht zu vergleichen. Wir bekommen Spieler, die haben sechsmal Training in der Woche, die Schule und am Wochenende dann noch ein Spiel. Wir müssen eben schon die ersten Anzeichen für übermäßigen Druck erkennen." Ihm habe sich jedoch noch keiner seiner Spieler offenbart.

Klubs und Familien seien allerdings häufig bereit, einem Jugendlichen enorme Verantwortung aufzubürden. "Spieler werden weggelotst mit der kompletten Familie, weil vielleicht arbeitslosen Elternteilen ein Job angeboten wird. Da wird der Druck noch größer, das ist ein Ausmaß, das mir so früher gar nicht in den Sinn gekommen wäre." Er sehe das sehr kritisch, so Wück: "In diesem Alter sollte man Spaß am Spielen haben, da kann man nicht schon die ganze Familie ernähren."

Wer unter dem Druck zusammenbricht, findet an der Kölner Sporthochschule unbürokratische Hilfe. Die Initiative "Mental gestärkt" bietet ein Notfalltelefon an. "Wir schaffen dort einen Schutzraum für Spieler, Eltern, Talente, wir können ruckzuck einen Platz in einer Einrichtung vermitteln, bei der man sonst ewig warten müsste", erklärt Baranowsky. Druck führe zu Versagensängsten.

Schließlich, auch das ist ein Ergebnis der Studie aus Leeds, schafft es von 10.000 Jugendspielern eines Jahrgangs maximal ein Prozent in den Profifußball. Und meist ist kein neuer David Beckham darunter.

(sid/are/seeg)
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