Ein Besuch bei Jupp Heynckes "Triple-Gewinner bleibst du ewig"

Schwalmtal · Vor gut einem Jahr gab Jupp Heynckes den Beruf des Fußballtrainers auf. Jetzt genießt er die neue Freiheit.

Jupp Heynckes - Der Fußball-Trainer im Porträt
28 Bilder

Das ist Jupp Heynckes

28 Bilder
Foto: AP

Das Navigationsgerät empfiehlt, sich noch mal scharf rechts zu halten. Es ist ein überflüssiger Hinweis, denn es führt nur eine Straße nach Fischeln. Und es geht auch nur eine Straße durch Fischeln. Die Häuser sind durchnummeriert, von Fischeln x bis Fischeln y.

Meist sind es Einfamilienhäuser mit Vorgärten ohne Zaun. Glasbausteine in der Fassade sind ein häufig benutztes Stilmittel, die Häuser stammen aus den 60er Jahren. Manche sind älter, aber inzwischen renoviert. Auch das von Jupp Heynckes. Er bewohnt einen im mediterranen Landhausstil umgebauten Bauernhof. Und Besucher begrüßt der Schäferhund Cando mit seinem Lieblingsspielzeug im Maul am schmiedeeisernen Hoftor.

Heynckes genießt seinen Ruhestand

Seit einem Jahr hat Heynckes wieder mehr Zeit "für den Hund, für meine Familie, Freunde und die Nachbarn". Die Reihenfolge ist eigentlich gleichgültig. Er stutzt nur ganz kurz, wenn mal wieder klar wird, "dass es schon ein Jahr her ist". Die Zeit sei ja "doch ganz schön schnelllebig". Und für einen Moment bekommt sein Blick so etwas Träumerisches. Er holt ihn allerdings wieder zurück in die Gegenwart. "Manche sagen, dass alles schnell vergessen wird. Aber Weltmeister oder Triple-Gewinner, das bleibst du für die Ewigkeit", erklärt er.

Jupp Heynckes zum Welt-Trainer des Jahres gekürt
10 Bilder

Jupp Heynckes zum Welt-Trainer des Jahres gekürt

10 Bilder

Heynckes ist beides. Als Spieler wurde er Weltmeister, auch wenn er im Finale 1974 nicht mitspielte. Dabei sollte er eigentlich noch für Bernd Hölzenbein eingewechselt werden. Dieser Plan wurde von der Hektik der Schlussphase beim 2:1 gegen Holland durchkreuzt. Als Trainer hat er vor einem Jahr mit den Bayern das Triple aus Meisterschaft, Champions League und DFB-Pokal gewonnen. Das hat ihn unsterblich gemacht. Deshalb fiel es ihm nicht so schwer, mit 68 Jahren und frischem Ruhm abzutreten. Von der großen sportlichen Vergangenheit zeugen ein paar Andenken in seinem Arbeitszimmer. In der Vitrine steht eine Miniatur-Kopie des Champions-League-Pokals, den er mit Real Madrid und den Bayern gewonnen hat, und die Trophäe für den Trainer des Jahres.

Zur Erinnerung an das letzte Trainerjahr, das sein erfolgreichstes war, braucht er sie nicht. Sie wirken wie Dokumente. Die lebendigere Erinnerung transportieren seine Spieler. Er sagt "meine Spieler", wenn er von Philipp Lahm, von Bastian Schweinsteiger, Manuel Neuer oder Toni Kroos spricht. Sie nennen ihn noch immer Trainer. Und mit Kroos hat er gerade telefoniert.

Bundesliga 12/13: Heynckes feiert Abschied in Gladbach
5 Bilder

Bundesliga 12/13: Heynckes feiert Abschied in Gladbach

5 Bilder

Der neue Mann von Real Madrid hat von der Massageliege angerufen. "Das", sagt Heynckes, "hätte es bei uns nicht gegeben." Mit leise lächelnder Altersmilde und einem Kompliment für das lockere Regiment seines Kollegen Carlo Ancelotti ("ein ganz großer Trainer") lässt er es natürlich durchgehen. Nur dass Kroos sich immer noch nicht bei "WhatsApp" angemeldet hat und deshalb tüchtig Telefonkosten verursacht, findet Heynckes nicht gut.

Verschwendung kann er nämlich nicht leiden. Diese Lektion hat er in seiner Kindheit gelernt. Und er ist auch deshalb nie ein neureicher Millionär geworden, mit den Extravaganzen des Geschäfts kann er nichts anfangen. Das passt zu seinem Bekenntnis: "Ich bin immer ein bodenständiger Mensch gewesen."

CL 12/13: Jupp Heynckes feiert mit Pokal
12 Bilder

CL 12/13: Jupp Heynckes feiert mit Pokal

12 Bilder

Darum genießt er nach 50 Profijahren in der Öffentlichkeit die Rückkehr ins Private, für das während der Arbeit so wenig Raum war. "Endlich kann ich mich wieder bewegen wie ein normaler Mensch", erklärt der Mann, der sein Leben zuvor zwischen Trainingsplatz, Stadion, Hotel und Flughafen geführt hat. "Allein das Gewimmel auf den Flughäfen nicht mehr mitmachen zu müssen, ist wunderbar. Meine Frau und ich, wir fragen uns manchmal, wie wir das alles bewältigt haben." Die Antwort auf diese Frage gibt er selbst: "Indem man entsprechend lebt. Der Job erfordert das, aber mir ist das nie schwer gefallen, mein Beruf war immer meine Erfüllung."

Der Beruf hallt noch nach. Öffentliche Anfragen, Einladungen rauschen nach wie vor ins Haus, die Bayern rufen immer wieder mal zu Besuchen nach München. Und für "meine Spieler" ist der 69-Jährige selbstverständlich immer noch da. Kroos hat er bereits am Telefon dazu geraten, "auf dem Boden zu bleiben, es war erst ein Spiel bei Real. Ich schaue deine nächsten Spiele an, und du bekommst von mir eine Bewertung". So viel Zeit muss einfach sein.

Für die Karriere von Toni Kroos fühlt er sich persönlich verantwortlich. Schließlich hat er ihn in der gemeinsamen Zeit bei Bayer Leverkusen ans ernsthafte Denken im Profisport herangeführt und bei den Bayern zur internationalen Klasse entwickelt. Es ist schwer vorstellbar, dass die Münchner Kroos unter einem Cheftrainer Heynckes hätten ziehen lassen.

Aber er ist nun kein Cheftrainer mehr. "Man muss irgendwann loslassen können", sagt er. Der Dreifach-Triumph war sicher der richtige Moment dafür. Dennoch erlaubt er sich berechtigten Stolz auf das, was er erreicht hat. Und natürlich ist er stolz darauf, was seine ehemaligen Spieler im Jahr nach dem Triple bei der WM erreicht haben. Er habe sich vor allem für Lahm, Schweinsteiger, Boateng, Müller und Neuer gefreut, beteuert Heynckes. Und er sagt: "Für Philipp, Basti, Jerome, Thomas und den Manuel. Was die geschafft haben, das Triple und die Weltmeisterschaft, das haben nicht einmal die Granden des deutschen Fußballs geschafft." Und seine Augen glänzen.

Für seine Jungs kann er sich genauso begeistern wie für den Fußball, auch wenn er behauptet: "Ich schau mir nicht mehr alles an." Das ist schwer zu glauben, wenn Heynckes über die WM oder die Bundesliga spricht. Wenn er feststellt, "dass das Niveau bei der WM nicht überragend war. Gut war bei der deutschen Mannschaft, dass sie zunächst mal defensiv gut gestanden hat. Das ist der Schlüssel". Wenn er sich wünscht, "dass die Bayern endlich mal gleichwertige Gegner bekommen, dass Dortmund dran bleibt, weil die Liga von der Spannung lebt". Wenn er den Schalker Umgang mit der Verletztenserie im vergangenen Jahr lobt ("sie haben das mit vielen jungen Spielern aufgefangen"). Wenn er Leverkusen "ein bisschen mehr Mut" wünscht. Wenn er dem Neu-Gladbacher Ibrahima Traore empfiehlt, "sein Spiel ein paar Meter weiter nach vorn zu tragen. Er sollte sich anschauen, wie Arjen Robben das spielt". Und wenn er über die Entwicklung des Fußballs redet. "Es ist gut, wenn wir Konzepte für die Nachwuchsarbeit haben, wir brauchen gute Ausbilder", sagt er - und nach einer kurzen Pause: "Mir hat das immer großen Spaß gemacht, mit jungen Leuten zu arbeiten."

"Es gibt immer Höhen und Tiefen"

Sie haben so ganz nebenbei seine Methoden jung gehalten. "Ich habe viel gelernt in meinem Leben", versichert Heynckes, und er gibt gern zu, "dass ich auch Fehler gemacht habe". Der Umgang damit hat ihn gelassener gemacht im Laufe der Jahre. "Es gibt immer Höhen und Tiefen", sagt er, "erst wer bittere Niederlagen erlebt hat, der kann mit dem Erfolg umgehen."

Das könnte ein Spruch sein, den er sich gerahmt in den kleinen Trophäenschrank stellt. Aber das muss er nicht. Er hat das gelernt. Ein Jahr nach dem Höhepunkt seiner Trainerlaufbahn schaut er gelassen auf seinen Hof, ins Grün, in den ein paar Meter entfernten Hardter Wald. Und er sieht überhaupt nicht so aus, als würde er sich in die umtriebige Welt des großen Fußballs zurückwünschen. Das fände Cando auch gar nicht gut. Er ist bis zum Hoftor mitgelaufen und blickt voller Argwohn zum Herrn des Hauses. Nicht dass da einer unbemerkt davonläuft. Zum Glück wird das Tor von innen geschlossen. Cando ist wieder ganz zufrieden.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort