Minderjährige in der Bundesliga Kampf um Fußball-Kinder - Pro und Contra

Düsseldorf · Der Streit um die Transfers von Minderjährigen löst in der Bundesliga heftige Diskussionen aus. Dürfen Klubs wie Hoffenheim oder Wolfsburg 13-Jährige unter Vertrag nehmen? Ein Pro und Contra unserer Redaktion.

 Der Wechsel des 13-jährigen Alexander Laukart (rot eingekreist) vom FC St. Pauli zum VfL Wolfsburg sorgt für Diskussionen in der Bundesliga.

Der Wechsel des 13-jährigen Alexander Laukart (rot eingekreist) vom FC St. Pauli zum VfL Wolfsburg sorgt für Diskussionen in der Bundesliga.

Foto: fcstpauli.com

PRO (Von Stephan Seeger)

Lionel Messi ist dreimal in Folge zum Weltfußballer des Jahres gewählt worden, der Argentinier gilt sogar als bester Spieler aller Zeiten. Und das, obwohl er mit 13 Jahren von den Newell's Old Boys aus Argentinien in die berühmte Fußballschule des FC Barcelona, "La Masia" , wechselte. Zu früh? Mitnichten. Denn bei den Katalanen wurde Messi geschult, die Ausbildung in der katalanischen Metropole hat ihm zu dem gemacht, was er heute ist: der beste Spieler des Planeten. Natürlich hat Messi einen großen Batzen Talent mit in die Wiege gelegt bekommen. Aber Talent alleine reicht nicht, um junge Spieler zu Weltstars zu formen.

Und genau deshalb ist es aus Sicht der Vereine nur logisch, dass sie Spieler schon in jungen Jahren verpflichten. Besser gesagt: Vereine wie 1899 Hoffenheim oder der VfL Wolfsburg wären dumm, einen 13 Jahre alten, talentierten Fußballer nicht zu verpflichten und in ihrem Verein, in ihrem Internat auszubilden.

Die Argumentation, dass ein Ortswechsel in so jungen Jahren einem Kind nicht gut bekommt, ist in der heutigen Zeit nicht mehr haltbar. Die Spieler bekommen bei den Vereinen eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung, werden gefordert und gefördert. Nicht nur sportlich, sondern auch schulisch. Zudem könnte man das gesamte Internatswesen in Frage stellen.

Die oberste Prämisse in den Fußball-Internaten lautet: Erst kommt die Schule, dann der Sport. Nach dem Schultag wird von den Ausbildern kontrolliert, ob das Kind die Hausaufgaben gemacht hat, zudem müssen die Minderjährigen gute Noten erreichen, ansonsten haben sie keine Zukunft. "Die Kids werden alle einen Schulabschluss haben und durch unsere Seminare später alleine in der Wirtschaft bestehen können, wenn es mit dem Traum vom Fußballprofi nichts wird", sagt Thomas Eglinski, der das Fußball-Internat in Marl betreibt, gegenüber unserer Redaktion zu den Perspektiven der hoffnungsvollen Kids.

Auch wenn die Spieler ihre Familien lange nicht sehen, finden Sie bei den Profivereinen doch ein neues zu Hause. Die Trainer und Ausbilder sind nicht nur Begleiter, sondern werden schnell zu Ersatzvätern und -müttern. Und der Tagesablauf lässt gar keinen Platz für Heimweh. Viele junge Spieler stehen morgens auf und sind erst spät am Abend wieder auf ihrem Zimmer. Aber das ist der Preis, den die jungen Kicker für ihren großen Traum, einmal so zu spielen wie Messi, bezahlen. Und am Ende müssen es die Eltern verantworten, ihrem Sprössling einen solch gewagten Schritt zu ermöglichen. Die Vereine bieten den jungen Spielern nur eine gute Ausbildung und eine Perspektive. Eine Karriere kann niemand versprechen.

CONTRA (Von Tanja Walter)

Der Streit um junge Fußballspieler nimmt eines nicht in den Blick: 13-Jährige sind Kinder mitten in der Pubertät. Die Psychologie spricht von Adoleszens und "entstehendem Erwachsenenalter". Prof. Dr. Gerd Mietzel, einer der prominentesten Köpfe der Psychologie an der Universität Duisburg/Essen, beschreibt anschaulich, wie Jugendliche in diesem Alter die Sturm- und Drangphase durchlaufen. Stimmungsschwankungen und Stress mit den Eltern stehen auf der Tagesordnung.

Es sei also dahin gestellt, ob das ein guter Zeitpunkt ist, sich auf die sportliche Karriere zu konzentrieren, dass ein Ortswechsel und eine ständige Entfernung zum Elternhaus in Kauf genommen werden. "Dieser Weg ist nicht richtig. Der Junge wird zu früh aus dem familiären Umfeld gerissen", sagte auch Paulis Jugendchef Joachim Philipkowski der "Bild". Die Eltern des Nachwuchstalents Alexander Laukart können daran nichts Schlimmes finden. Sie sehen darin in erster Linie einen Internatswechsel und die Möglichkeit, sich auszuprobieren. Kritiker und Entwicklungspsychologen fragen indes, wie diese Kinder unbeschadet mit einem derartigen Hype um ihre Person zurecht kommen sollen.

Sind die, um die es beim Transfer geht, eine Hilfe in der Entscheidungsfrage? Können sie selbst einen Beitrag leisten, um die bestmögliche Entscheidung für ihre Entwicklung zu finden? In sportlicher Hinsicht sind es die Vereine, die Interesse anmelden. Und aus Leidenschaft zum Sport und der besonderen Förderung, die diese Jugendlichen erfahren, werden sie vermutlich die Chance eines frühzeitigen Transfers gerne nutzen wollen. Entwicklungspsychologen wie Gerd Mietzel bescheinigen Jugendlichen unter 15 Jahren, dass sie kognitiv noch mit mangelnder Systematik vorgehen. Kann ein 13-jähriger wie Alexander Laukart vom VfL Wolfsburg überschauen, was der Wechsel von Hamburg nach Wolfsburg für seine Entwicklung fernab der angepeilten Profikarriere bedeutet?

Nein, sicher nicht, er hat ja auch Eltern, die das für ihn tun können. Wie viele Eltern tagtäglich sind sie dafür verantwortlich, was ihre minderjährigen Kinder tun und wo sie sich aufhalten. Die Realität um den Fußballwahn zeigt aber, dass die mögliche Profikarriere im Visier mancher Eltern keine Möglichkeit auslassen: Bei einem Fußballspiel der D-Jugend in Wiesbaden prügelten sich Eltern und Betreuer im Mai 2010 am Spielfeldrand. Reizgas kam zum Einsatz, zwölf Menschen wurden dabei verletzt. Im Mai 2011 lösen Väter in Siegen bei einem B-Jugend-Spiel eine Schlägerei aus. Der Jugendleiter bezeichnete damals die Aggression der Väter als ungeheuer. Erst im Dezember gab es im hessischen Bettenhausen eine Prügelei nach einem Jugendspiel.

Prügelnde Eltern am Spielfeldrand bei Spielen in den unteren Ligen zeigen, dass die Macht der Emotionen groß ist, wenn es um Fußball geht. Ganz aus den Augen verloren ist da der Spaß am Sport. Im Bereich des Nachwuchsfußballs sind die Schwerpunkte anders gesetzt: statt um den Spieleinsatz geht es mehr um den frühen Aufstieg. Und prügeln muss sich deshalb auch niemand — außer vielleicht verbal rangelnde Vereine und Trainer. Die Eltern reiben sich hingegen die Hände, ohne zu hinterfragen und den Sport fest im Visier. Alle sind mit Ehrgeiz bei der Sache — hoffentlich nicht mit dem falschen.

(seeg)
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