Hingucker des 33. Spieltags Wenn Männer weinen und auf Häuschen klettern

Düsseldorf · Kevin Großkreutz und Ralph Hasenhüttl weinten hemmungslos – aus unterschiedlichen Gründen. Darmstadt-Held Sandro Wagner machte seinen Emotionen auf anderem Wege Luft. Nur bei der Meisterfeier der Bayern kochten keine Gefühle hoch. Die Hingucker des 33. Spieltags.

VfB Stuttgart: Fans stürmen nach Pleite gegen Mainz den Platz
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Stuttgart-Fans stürmen Platz nach Pleite gegen Mainz

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Kevin Großkreutz und Ralph Hasenhüttl weinten hemmungslos — aus unterschiedlichen Gründen. Darmstadt-Held Sandro Wagner machte seinen Emotionen auf anderem Wege Luft. Nur bei der Meisterfeier der Bayern kochten keine Gefühle hoch. Die Hingucker des 33. Spieltags.

Tränen des Tages: Kevin Großkreutz

Kevin Großkreutz hatte schon bei der ersten Frage des Sky-Reporters Mühe, seine Tränen zurückzuhalten. Angesprochen auf den Platzsturm der Stuttgarter Fans nach dem 1:3 gegen Mainz meinte der 27-Jährige sichtlich ergriffen, dass er das verstehen könne. "Wir sind verantwortlich dafür, es tut mir leid."

Der drohende Absturz des VfB nahm den Weltmeister sichtlich mit. Dabei war Großkreutz erst im Januar von Galatasaray Istanbul zu den Schwaben gewechselt, doch die emotionale Bindung zum VfB scheint schon jetzt sehr groß zu sein. Er sei "super aufgenommen worden. Ich habe dem Verein viel zu verdanken".

Schon vor der Partie hatte Großkreutz dem VfB auch im Falle der Abstiegs die Treue versprochen. Er würde den Verein "niemals so verlassen, sondern es wieder ausbügeln. Ich brenne. Dafür habe ich zu viel Stolz", schrieb er bei Instagram.

Worte, die auch bei den Fans ankommen. "Bis auf Großkreutz könnt ihr alle gehen", brüllten die aufgebrachten Anhänger nach der Mainz-Pleite immer wieder. Dass dieser Großkreutz im Spiel nach wochenlanger Verletzungspause meilenweit von seiner Form entfernt war und an zwei Gegentreffern maßgeblich beteiligt war, interessierte dabei offenbar keinen.

Umstrittener Abschied des Tages: Ralph Hasenhüttl

Es waren die üblichen Reflexe der Enttäuschten. Als Ralph Hasenhüttl am Samstag vor seinem letzten Heimspiel gegen Bayern München als Trainer des FC Ingolstadt verabschiedet wurde, gab es viele Pfiffe. Im Fanblock wurden große Transparente hochgehalten, darauf stand: Hasenhüttl wolle lieber Rangnicks Hofnarr in Leipzig sein als König der Schanzer, oder: Er habe keinen Charakter.

Zugegeben, sonderlich elegant hat Hasenhüttl die wunderbare Beziehung nicht beendet. Trotz laufenden Vertrages wollte er weg, und dann auch noch zu RB Leipzig, für viele Romantiker der Inbegriff für eine Fußball-Welt, in der nur Geld zählt. Selbst seine Spieler aber versicherten, sie hätten Verständnis dafür, dass der Trainer sich verändern wolle.

Und aus Stein ist der Österreicher nun auch wieder nicht. Er weinte, als er nach dem Spiel vor den Fanblock trat, er weinte, als er das Spielfeld verließ, er weinte, als er später betonte, er sei "sehr, sehr stolz, was in den letzten drei Jahren hier passiert ist". Vom letzten Tabellenplatz in der 2. Liga hat er Ingolstadt emporgehoben und souverän in der 1. Liga gehalten.

Die Mannschaft, die er nun gegen eine Ablöse von 1,5 Millionen Euro vorzeitig verlässt, weiß jedenfalls, was sie an Hasenhüttl hatte. Hasenhüttl wiederum scheint am Samstag noch einmal sehr bewusst geworden zu sein, was er an dieser Mannschaft hatte. "Hier waren Jungs", sagte Mannschaftskapitän Marvin Matip, "die für ihn durchs Feuer gegangen sind."

Siegtor geschossen, dann vom Platz geflogen - Sandro Wagner sorgte einmal mehr für die größten Schlagzeilen bei Aufsteiger Darmstadt 98. Der U21-Europameister von 2009 avancierte in der 82. Minute mit seinem Treffer zum 2:1 (1:1) bei seinem Ex-Klub Hertha BSC wieder zum Matchwinner und sicherte höchstpersönlich den Klassenverbleib. Fünf Minuten später jedoch flog er per Gelb-Roter Karte vom Platz.

"Vielleicht war es ja mein letztes Spiel für Darmstadt", sagte der 28-Jährige bei Sky nach seinem 14. Saisontor - ihn zieht es angeblich in die 2. englische Liga. Wagner zelebrierte aber Samstag noch genüsslich seinen Siegtreffer vor der Hertha-Kurve.

"Da sind viele Emotionen dabei. Ich wurde hier nicht so schön weggeschickt", sagte Wagner nach dem Abpfiff und versuchte seinen Jubel vor der falschen Kurve zu erklären: "Das war nicht böse gemeint. Gerade die Ostkurve hat mich unterstützt. Aber oben gab es einige, die mich immer ausgepfiffen haben und meinten, ich sei ein Blinder."

SV Darmstadt 98: Sandro Wagner provoziert Hertha-Fans
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Wagner provoziert Hertha-Fans nach Siegtreffer für Darmstadt

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Der Gang in die Kabine wurde dann für den Ex-Berliner zum Spießrutenlauf. Wütende Hertha-Fans stürmten am Sicherheitsdienst vorbei und wollten dem Stürmer, der von 2012 bis 2015 glücklos in Berlin agierte, an die Wäsche. Mit einem kurzen Sprint rettete sich Wagner in die Katakomben des Olympiastadions.

Das Geheimnis seiner Torserie trägt André Hahn an seinen Füßen. "Diese Schuhe werde ich nächste Woche noch einmal anziehen und dann wahrscheinlich einrahmen", sagte der 25-Jährige nach seinem Doppelpack beim 2:1 gegen Bayer Leverkusen.

Fünf Tore hat der Angreifer von Borussia Mönchengladbach an den vergangenen sechs Spieltagen erzielt. Schon sein 1:1 bei Bayern München war Gold wert, sein zweiter Doppelpack der Saison erst recht.

"André macht einfach immer weiter, auch nach einer vergebenen Chance - das zeichnet ihn aus", sagte Trainer André Schubert über seinen Torjäger, der nach einem Brutalo-Tritt des Schalkers Johannes Geis 16 Spieltage verpasst hatte und erst Mitte März sein Comeback gab.

Bundesliga: Die Elf des 33. Spieltages
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33. Spieltag: Elf des Tages

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Die lange Auszeit könnte aber auch ihr Gutes haben. "Ich bin frisch und fühle mich gut", sagte Hahn, als er auf seine EM-Hoffnungen angesprochen wurde. Vielleicht sollte Gladbachs Tor-Garant seine Schuhe also doch noch nicht einrahmen.

Eintracht Frankfurt darf nach drei Siegen in Folge wieder auf den Klassenerhalt hoffen, Werder Bremen liegt vor dem Endspiel am letzten Spiel gegen die Hessen auf dem Relegationsplatz. Es hätte auch anders laufen können, wenn die Schiedsrichter ein bisschen besser aufgepasst hätten.

In Köln wurde beim 0:0 ein Treffer von Santiago Garcia für Werder Bremen nicht gegeben, weil Schiedsrichter Felix Zwayer auf Foulspiel an Köln-Keeper Timo Horn gesehen hatte. Eine Fehlentscheidung. Frankfurt profitierte beim 1:0-Sieg gegen Borussia Dortmund davon, dass ein Tor von Mats Hummels wegen Abseits aberkannt wurde. Auch hier lag das Team um Schiedsrichter Daniel Siebert falsch. Schiedsrichter machen eben Fehler, "das ist klar. Aber großartig drüber nachzudenken macht keinen Sinn", sagte Bremens Sportdirektor Thomas Eichin.

Gänsehaut-Moment des Tages: Ivica Olic

Ein letztes Mal hallten die "Ivica"-Rufe durch das Volksparkstadion und Ivica Olic genoss es in vollen Zügen. "Ihr seid die besten Fans der Welt", rief ihnen der Stürmer des Hamburger SV nach dem 0:1 gegen den VfL Wolfsburg durchs Megafon zu. Und schwärmte hinterher: "Hier hatte ich mein erstes Bundesliga-Spiel und ich habe davon geträumt, dass ich hier auch mein letztes haben werde." Der 36-Jährige bekam von Trainer Bruno Labbadia mit der Einwechslung einen würdigen Abschied. "Wir wollten Olic den Sieg schenken", sagte Aaron Hunt mit Bedauern.

Wie es für den beim HSV schon lange aussortierten Dauerläufer weiter geht, weiß er selbst nicht. Zwischen 2007 und 2009 schoss er noch 29 Tore, nach seiner Rückkehr im Winter 2015 aus Wolfsburg aber nur zwei. "Es ist alles offen, ich habe noch Lust zu kicken, aber es muss passen mit der Familie", sagte Olic. Die zuletzt unbefriedigende Zeit wird der durchtrainierte Publikumsliebling schnell abhaken.

Der Kroate war für zwei Millionen Euro zum HSV zurückgekommen. So richtig bereut hat es der Flügelflitzer nie, dafür liegt ihm der Verein zu sehr am Herzen. "Ich wünsche dem HSV und seinen tollen Fans, dass es bald besser läuft", sagte Olic und erinnerte kurz an spannende Europa-Pokal-Abende vor sechs Jahren.

Als das Unfassbare praktisch zur Realität geworden war, brachen fast alle Dämme. Hunderte teils vermummte Fans stürmten den Platz und attackierten die Mannschaft, die entsetzten VfB-Profis mussten von Sicherheitskräften erst in die Katakomben und dann aus dem Stadion begleitet werden. In Stuttgart liegen angesichts des drohenden zweiten Bundesliga-Abstiegs nach 1975 die Nerven blank. Aus eigener Kraft kann sich der fünfmalige deutsche Meister nicht mehr retten.

Das 1:3 (1:1) der erschütternd schwachen Schwaben gegen den FSV Mainz 05 hinterließ tiefe Spuren. Noch lange nach Spielschluss gelang es Kapitän Christian Gentner nicht, den aufgebrachten Mob zu beruhigen. Sportvorstand Robin Dutt, der nach der Pleite Tränen in den Augen hatte, war auch am Sonntag noch geschockt: "Das hängt total nach und geht nicht spurlos an uns vorbei. Das berührt uns emotional sehr."

Während Präsident Bernd Wahler von einer "bedrohlichen Situation" sprach, zeigte Dutt sogar Verständnis für die VfB-Fans, die außer Rand und Band waren. "Dass die Wut und Enttäuschung der Fans unheimlich groß ist, muss man verstehen. Dass manche etwas über das Ziel hinausschießen, gehört dazu."

Die Attacke der eigenen Fans auf die Mannschaft war der Tiefpunkt an einem Nachmittag zum Vergessen für Stuttgart. Entsprechend fassungslos waren Dutt und Trainer Jürgen Kramny nach der fünften Niederlage in Serie und dem Absturz des VfB. "Für uns ist das natürlich eine brutale Geschichte, sehr, sehr bitter", sagte Kramny mit leichenblasser Miene nach dem sportlichen Offenbarungseid seiner Mannschaft.

Den vierten Meistertitel in Folge feierten die Spieler des FC Bayern München routiniert wie unterkühlt. Im Stadion gab es nach dem Sieg in Ingolstadt ein paar Hüpfeinlagen auf dem Rasen und Fotos mit einer Papp-Schale. In der Kabine wurden die üblichen Selfies geschossen, für Trainer Pep Guardiola gab es eine Kopfdusche — mit Wasser.

Auf dem Rückweg nach München wurde im Bus zu den Klängen von Helene Fischer ein bisschen getanzt und gesungen, alles in allem lief es aber gesittet ab. Auch die Fans in München hielten sich zurück. Größere Autokorsi blieben aus.

Der Meistertitel der Bayern war "business as usual", der Klassenerhalt des SV Darmstadt 98 dagegen die größte Überraschung der Saison. Und so enterten die Profis des Aufsteigers, der auch in der kommenden Saison im deutschen Fußball-Oberhaus vertreten sein wird, nach der Rückkehr aus Berlin mitten in der Nacht das Kassenhäuschen des heimischen Stadions.

Am Böllenfalltor tanzten die Darmstädter kurv vor Mitternacht unter dem Jubel der Fans auf dem Häuschen, das an die Zeiten vor dem "modernen Fußball" erinnert. "Die Spieler haben frei bis Dienstag, sie können machen, was sie wollen", sagte Darmstadts Erfolgstrainer Dirk Schuster. Sein Spieler Benjamin Gorka war dagegen enttäuscht, "dass wir nicht am letzten Spieltag was zu feiern haben."

In Ingolstadt war Robert Lewandowski Bayern Münchens Meistermacher. Sein siebter Doppelpack bescherte dem deutschen Rekordchampion das 2:1 beim Aufsteiger und Titel Nummer vier am Stück in der Bundesliga. "Wir sind sehr, sehr zufrieden. Viermal in Folge deutscher Meister ist eine große Leistung, eine historische Leistung", sagte der Torjäger.

Der 27 Jahre alte Pole legte am Samstag den Grundstein dafür, am letzten Spieltag auch noch einen persönlichen Titel feiern zu dürfen - und noch ein wenig Geschichte zu schreiben. Mit 29 Toren führt er die Schützenliste nun fast uneinholbar vor seinem Dortmunder Konkurrenten Pierre-Emerick Aubameyang (25) und Teamkollege Thomas Müller (20) an.

"Ich habe vier Tore Vorsprung, aber ich will noch einmal Gas geben", kündigte Lewandowski für das Saisonfinale gegen Hannover 96 an. Der Torjäger, der 2014 im Dortmunder Trikot schon einmal Torschützenkönig mit gerade einmal 20 Treffern geworden war, möchte mehr. "30 Tore wären schön", sagte er. Lewandowski wäre nach 39 Jahren der erste Bundesligaspieler, der die 30-Tore-Marke knacken würde. Dieter Müller traf in der Spielzeit 1976/77 für den 1. FC Köln 34 Mal. Unerreicht bleiben wird aber der Rekord von Gerd Müller aus der Saison 1971/72:
Der Bomber des FC Bayern bejubelte damals fantastische 40 Treffer.

(areh/sid/dpa)
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