Bundesliga-Trend Mehr Tore dank Freistoßspray

Düsseldorf · Granit Xhaka griff mit beiden Händen in den Berg aus Schaum, wie ein Schuljunge, der sich für eine Schneeballschlacht wappnet. Schiedsrichter Bastian Dankert hatte das Freistoßspray etwas großzügig im Halbkreis vor dem Ball verteilt, den Borussia Mönchengladbachs Mittelfeldspieler im Tor des FC Augsburg platzieren wollte. Momente wie dieser sind selten geworden. Das Freistoßspray ist zehn Spieltage nach seiner Einführung in den beiden obersten Fußballligen längst zur Selbstverständlichkeit geworden.

FC Arsenal: Schiedsrichter besprüht sich mit Freistoß-Spray
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Schiri Moss sprüht sich und Cazorla Freistoß-Spray ins Gesicht

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Wenn der Schiedsrichter sich vorbeugte und eine weiße Linie vor die Füße der Freistoßmauer zog, johlte das Publikum vor ein paar Wochen noch. Inzwischen gibt es den Grund zum Jubeln häufig einen Augenblick später - wenn der Ball im Netz landet. Seit der Einführung des Sprays Mitte Oktober hat sich die Anzahl der Freistoßtore in der Bundesliga fast verdoppelt. Vorher fielen im Schnitt 0,1 pro Spiel, seitdem sind es 0,19. Wissenschaftler werden angesichts der kleinen Stichprobe die Nase rümpfen. Allerdings waren es auch in der Hinrunde der vergangenen Saison nur 0,11 pro Partie, im Jahr davor 0,1.

Schweinsteiger zirkelt Freistoß in den Winkel
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Schweinsteiger zirkelt Freistoß in den Winkel

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Ex-Schiedsrichter Urs Meier bezeichnete das Freistoßspray noch im Sommer als "Unsinn". Er verwies zudem auf die WM-Statistik: In Brasilien resultierten sogar weniger Tore aus direkten Freistößen als 2010 in Südafrika. Dort war noch niemand auf die Idee gekommen, man müsse 9,15 Meter Mauerabstand mit einer Sprühdose sichern. Nach dem Ende der Bundesliga-Hinrunde klingt Meier nicht mehr ganz so abgeneigt. "Es ist nicht nur negativ, sondern auch positiv", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. "Aber der Ansatz ist nach wie vor der falsche. Wir müssen starke Persönlichkeiten ausbilden, die die Regel ohne Spray durchsetzen."

Meier sagt, er vernehme keine Klagen von den ehemaligen Kollegen - die Spieler verharrten pflichtbewusst hinter der Linie, die Sprühdose störe nicht am Hosenbund, an die Verneigung vor der Mauer hätten sie sich gewöhnt. Der "Diener" wäre Meier selbst in seiner aktiven Zeit aber schwer gefallen, ein Affront gegen seine Autorität auf dem Rasen. "Ich will auf Augenhöhe sein, ich muss die Spieler sehen. Irgendwann wird es eine Szene geben, in der ein Schiedsrichter eine Tätlichkeit übersieht, weil er die Linie ziehen muss", prophezeit er. In der Rückrunde rechnet Meier zudem mit etwas mehr Rebellentum in der Mauer: "Bei der WM haben die Griechen angefangen, die Linie konsequent zu missachten. Ich bin gespannt, wie die Schiedsrichter in der Bundesliga reagieren, wenn die Spieler die Grenzen austesten."

Den wahrscheinlichsten Grund für mehr Freistoßtore hat Hakan Calhanoglu sehr lapidar benannt. "Früher kam die Mauer immer weiter nach vorne, jetzt bleiben alle Spieler wegen der Linie in der Mauer stehen", sagte der Kunstschütze von Bayer Leverkusen der "Sport Bild". Man wird Calhanoglu und Co. noch etwas schießen lassen müssen und die Schiedsrichter noch eine Weile sprühen lassen, um endgültig zu klären, ob das Spray ein dauerhafter Faktor ist.

BVB-Keeper Mitchell Langerak patzt beim Ausgleich von Kevin De Bruyne
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"Die deutschen Schiedsrichter haben mehr Ruhe", bewertet Meier den einen Effekt. Der "Tagesspiegel" brachte in die weitere Diskussion um die Trefferquote den Vorschlag ein, "dass sich die Wachstumsraten noch steigern ließen, würde man einen Schaumkreis um den Torhüter ziehen, den dieser nicht verlassen darf". Obwohl mit dem Spray mehr Freistoßtore fallen, sind sie doch vor allem schön, weil sie immer noch selten sind. So war die Schaumschläger-Aktion Granit Xhakas völlig vergebens — sein Schuss landete auf Kniehöhe in der Mauer.

(RP)
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