Interview mit Simon Rolfes "Es macht richtig Spaß, Gladbach zuzugucken"

Leverkusen · Leverkusens Ex-Nationalspieler spricht über die Probleme bei Bayer, das heutige Duell mit Borussia Mönchengladbach (ab 18.30 Uhr im Live-Ticker) und die Premier League.

 Er tauschte im Sommer das Leverkusener Trikot gegen den Business-Dress: Ex-Nationalspieler Simon Rolfes hier bei einem Auftritt im ZDF-Sportstudio an der berühmten Torwand.

Er tauschte im Sommer das Leverkusener Trikot gegen den Business-Dress: Ex-Nationalspieler Simon Rolfes hier bei einem Auftritt im ZDF-Sportstudio an der berühmten Torwand.

Foto: imago sportfotodienst

Irgendwann schaut Simon Rolfes in seinem neuen Büro im Eschweiler Gewerbegebiet dann doch mal auf die Uhr. Am Abend trainiert er mit Talenten aus der Region. Und das ist ein fester Termin in seinem Wochenkalender. Dann tauscht der Ex-Nationalspieler von Bayer Leverkusen Business-Outfit gegen Sportdress.

Nach seinem Karriereende im Sommer hat der 33-Jährige mit einem Kompagnon eine Firma gegründet, in der er jungen Profis eine langfristige Karriereberatung anbietet. "Die Herausforderungen für junge Spieler sind so groß wie nie, und genauso ist der Bedarf an Professionalität viel größer als früher", sagt Rolfes. Nebenbei absolviert er ein internationales Master-Studium bei der Uefa und arbeitet als Experte fürs ZDF.

Den Entschluss aufzuhören, haben sie bisher nicht bereut, oder?

Rolfes Nein.

Weil Sie es genießen, Herr über den eigenen Tag zu sein?

Rolfes Ja, total. Das Fußballgeschäft ist zwar ein goldener Käfig, aber es ist ein Käfig. Um es klarzustellen: Wenn ich noch mal 17 wäre, würde ich wieder alle Energie hineinstecken, Profi zu werden, aber nach 15 Jahren ist es auch einfach okay, dass Schluss ist.

Bei Ihrem Ex-Klub in Leverkusen hinkt man den Erwartungen mal wieder hinterher.

Rolfes Definitiv. Dafür, dass der Verein vor der Saison 60 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben hat, ist die Ausbeute bislang einfach zu gering. Der Anspruch ist ja die erneute Teilnahme an der Champions League, und im Moment müssen sie bei Bayer aufpassen, dass der Zug in der Liga nicht ohne sie abfährt.

Wo liegen die Probleme?

Rolfes Man muss feststellen, dass die komplette bisherige Achse weggebrochen ist, die auf dem Platz, aber nicht nur dort für Stabilität gesorgt hat. Stefan Kießling spielt leider kaum noch eine Rolle, Gonzalo Castro und ich sind nicht mehr da, Lars Bender ist verletzt, Emir Spahic ist weg, und Ömer Toprak war lange verletzt. Ich glaube, das hat man unterschätzt. Denn ohne Stabilität im Team kannst du nicht konstant punkten.

Muss Bayer also eine Umbruchsaison in Kauf nehmen?

Rolfes Mit Sicherheit dauert es, bis sich neue hierarchische Strukturen gebildet haben. Auf der anderen Seite hat man diese Zeit gar nicht, weil man mit den getätigten Investitionen Erfolg haben muss. Und es wird ja nicht leichter: Wenn RB Leipzig aufsteigt, gibt es sofort einen Champions-League-Anwärter mehr.

Auf einen anderen Champions-League-Anwärter, auf Mönchengladbach, trifft Leverkusen heute Abend.

Rolfes Ja, und Gladbach ist mittlerweile längst ein dauerhafter Champions-League-Kandidat. Das ist kein Überraschungsteam mehr.

Da würde Sportdirektor Max Eberl wahrscheinlich widersprechen.

Rolfes Vielleicht. Mir geht es um die Mentalität in einem Verein, und die ist entscheidend, ob sich Erfolg dauerhaft einstellt. Das Selbstverständnis zu entwickeln, in quasi jedes Spiel mit dem Anspruch gehen zu können, es auch zu gewinnen, braucht seine Zeit. Das haben die Gladbacher geschafft. Hinzukommt die Champions-League-Erfahrung aus dieser Saison, auch das wird Borussia noch einen Schub geben.

Hat Borussia in Sachen Mentalität damit Leverkusen sogar etwas voraus?

Rolfes Jein. In einzelnen Spielen hat Leverkusen schon mehr Erfahrung, dafür haben die Spieler unter dem Strich einfach im Europapokal schon mehr Schlachten geschlagen. Aber ich finde, dass in Gladbach eine unglaubliche Dynamik steckt, ein unglaublicher Drang nach oben.

Waren Sie überrascht, dass der Rücktritt von Lucien Favre keinen Einbruch in Gladbach verursacht hat?

Rolfes Absolut. Ich halte Favre für einen großartigen Trainer, weil es nicht mehr so viele gibt, die nicht nur ein Team, sondern auch Spieler individuell besser machen. Dass Borussia das Wegbrechen eines so starken Trainers so aufgefangen hat, ist für mich unglaublich. Aber André Schubert hat es sehr gut gemacht, indem er das Gute von Favre übernommen und mehr Energie reingebracht hat. Es macht richtig Spaß, Gladbach zuzugucken.

Das Spiel heute wird um 18.30 Uhr angepfiffen. Diese Neuerung gibt es seit 2009. Braucht die Bundesliga demnächst auch ein Montagsspiel?

Rolfes Natürlich ist ein möglichst kompakter Spieltag eine schöne Sache, aber man muss eben auch sehen, dass Fußball längst ein weltweites Produkt ist. Wenn wir nicht flexibler werden und auf Märkten wie Asien und den USA mehr Präsenz zeigen, werden uns die Engländer noch weiter davon laufen - nicht nur beim Geld.

Wo noch?

Rolfes In den nächsten Jahren werden sie anfangen, Know-How von uns einzukaufen, nicht nur unsere besten Spieler, sondern auch unsere besten Manager. Und dann wird sich der Einsatz des vielen Geldes, der momentan sehr schlecht ist, ändern. Noch kaufen die englischen Klubs für zig Millionen viel Masse statt Klasse, aber irgendwann wird man sich in der Premier League fragen, warum die Bundesligaklubs international mit dem halben Etat mithalten können. Und wenn dann zum vielen Geld auch noch bessere Strukturen kommen, hat die Bundesliga ein großes Problem.

(klü)
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