Erster Torschütze der Bundesliga Sterbehilfe — Timo Konietzka plant seinen Tod

Brunnen (RPO). Der Wind rauscht durch die Gassen, zerrt an der zuckersüßen Hotelfassade, die Gischt peitscht meterweit auf die Promenade - und Timo Konietzka spricht über den Tod. Der erste Torschütze der Bundesliga-Geschichte steht am Ufer des Vierwaldstätter Sees. Er hat zwei schwere Herzattacken überstanden, mit 72, und er blickt mit flatternden Hosen hinaus auf das aufgewühlte Wasser. Er kneift die Augen zusammen, in der Ferne türmen sich die Berge.

Die Jubiläumstorschützen der Bundesliga
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Den Moment seines Abschieds hat Timo Konietzka, der ehemalige Nationalspieler und deutsche Meister, erschreckend detailliert im Kopf. Sterbehilfe ist seine Wahl, der Gift-Cocktail aus dem Becher. "Ja, ich plane meinen Tod. Ich werde da liegen, meine Familie einladen, Kinder, Enkelkinder, dann sage ich: 'Jetzt nehme ich den Schluck. Macht's gut! Wir werden uns leider nicht wiedersehen.' Dann ist es vorbei mit dem Leben."

"Ich will 100 Jahre alt werden"

Doch Konietzka ist ein Kämpfer. Als Spieler, damals bei Borussia Dortmund, als Trainer, auch heute. "Ich will 100 Jahre alt werden! ", sagt er, "denn mit Wille und gesundem Lebenswandel ist viel möglich." Timo Konietzka geht es gut, zumindest verhältnismäßig gut. Er läuft jeden Tag in seiner Wohnung in Brunnen auf und ab, auf einer Gesundheitsmatte vor dem Fernseher. Fünf Meter hin, fünf Meter zurück. 90 Minuten lang, manchmal zweimal am Tag. Er muss aufpassen, sich dabei nicht an der Dachschräge den Kopf zu stoßen.

Die täglichen Tempoläufe, "60 mal 50 Meter!", die hat er drangegeben. Zu heftig war der Schock nach den Herzanfällen. "Ich war weg vom Fenster, dachte: Mein Gott! Wie kann das sein? Zwei, drei Stunden lang, die Schmerzen! Ich habe doch immer gesund gelebt! "

Bis auf den Alkohol, das räumt Konietzka bereitwillig ein. Vor der ersten Herzattacke war "Austrinken" im Hotel Ochsen, das er gemeinsam mit seiner Frau Claudia führt. Bier, Wein, Schnaps, wieder Bier. Am Morgen seine Läufe, da ging plötzlich das Licht aus. Ohnmacht. Die Entscheidung, sein Ende "nicht in Gottes Hände" zu legen, stand aber schon vorher.

"Ich will kein Pflegefall werden"

Timo Konietzka hat viele dahinsiechen sehen, Freunde und Verwandte. "Eine Schwester ist an Krebs gestorben, ein Bruder an Knochenkrebs. Meine Mutter war im Pflegeheim, sie hat mich nicht mehr wiedererkannt. Ich will kein Pflegefall werden, angeschlossen und künstlich am Leben erhalten von Geräten. Das will ich mir ersparen, so dahinzudämmern!"

Was aber kommt nach dem Tod? "Nichts. Das muss eine wunderbare Sache sein, ohne Sorgen und Schmerzen", sagt Konietzka, Nachfahre ungetaufter polnischer Einwanderer. Angst ist ein Gefühl, das er nicht kennt. "Angst habe ich nie in meinem Leben gehabt. Höchstens mal, wenn so ein Zwei-Meter-Mann vor dem Spiel kam und zu mir sagte: 'Hömma! Du siehst heute keinen Ball oder ab mit dir ins Krankenhaus!'" Er lacht knarzig. Es sind die Momente, in denen von 44 Jahren Schweiz nichts zu hören ist - es klingt nach tiefstem Kohlenpott.

Anekdoten aus längst vergangener Zeit

Anders im Hotel. Timo Konietzka trägt Schweizer Tracht, ein goldener Ochsen-Stecker blitzt im Ohr. Er und seine Frau sind wunderbare Gastgeber, tischen köstliches "Poulet", also Hähnchen, mit verschiedenen Soßen auf. Frau Konietzka, daran gibt es keinen Zweifel, hält die Zügel in der Hand. Ihr Mann sitzt am massiven Holztisch, unterhält die Gäste mit Anekdoten aus einer längst vergangenen Zeit, ab und an bringt er leere Flaschen zum Container.

Heute sitzt Ramon Zehnder mit am Tisch, die Freunde wühlen bei einem Glas Rotwein in einer alten Fotokiste. Konietzka unter Tage, auf dem Platz, auf der Bank, jung, dynamisch. Nur das Bild vom ersten Bundesliga-Tor 1963 fehlt. Denn, die Geschichte wird ihn ewig verfolgen: Es gibt keines. Dabei hat er vor Jahren verzweifelt 1000 Mark Prämie ausgesetzt.

Timo Konietzka hat ein erfülltes Leben in der Idylle genossen. Wer ihn besucht, denkt, dieser Mann lebe im Paradies, obwohl Konietzka gar nicht an Gott glaubt. Und er ist noch lange nicht bereit zu gehen.

Doch für den Fall der Fälle hat er bei Exit, der "Vereinigung für humanes Sterben", ein "lebenslängliches Abonnement", wie er sagt. Es klingt so makaber, dass es schmerzt.

(SID/sgo)
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