Trainer-Legende gestorben Udo Lattek: Lehrer, Taktiker und väterlicher Freund

Düsseldorf/Köln · Vor knapp drei Wochen ist er 80 Jahre alt geworden. Es wurde keine große Geburtstagsfeier. Udo Lattek lebte in einem Kölner Pflegeheim. Er litt nach zwei Hirnoperationen und einem Schlaganfall an Parkinson. Am Wochenende ist Deutschlands erfolgreichster Vereinstrainer gestorben.

Udo Lattek – ein Leben für den Fußball
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Es war still um ihn geworden. Das passte eigentlich nicht zu einem Leben, das er gern und mit aller Wucht in der Öffentlichkeit lebte. Lattek war ein Wesen für die Medien, er hatte die Mechanismen des Schaugeschäfts Fußball früh durchblickt. Er war einer der ersten großen Stars im Trainergeschäft. Das gefiel ihm.

Er stand gern im Rampenlicht, er genoss die Atmosphäre der Stadien, das unvergleichliche Summen von zehntausend Stimmen auf den Tribünen, die Verehrung, die einem der Hauptdarsteller entgegen gebracht wird, sogar die Abneigung, die Pfiffe. Aber vor allem war er süchtig nach dem Erfolg.

Die besten Sprüche von Udo Lattek
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Foto: dpa, hrad nic

Udo Lattek hat große Erfolge gefeiert. Und alles begann für den gebürtigen Ostpreußen beim Deutschen Fußball-Bund. Er arbeitete als Jugendtrainer und als Assistent von Bundestrainer Helmut Schön. Einer seiner Schützlinge war Franz Beckenbauer, der später der größte deutsche Fußballer wurde. Und Lattek hatte einen guten Draht zu seinem Spieler.

Als der FC Bayern München einen Nachfolger für Branko Zebec suchte, dessen knallharte Methoden der Mannschaft nicht mehr zeitgemäß erschienen, wurde Beckenbauer zum Steigbügelhalter für eine große Trainerkarriere. "Ich kenne da einen beim DFB", sagte er. Und weil sein Wort schon damals zählte beim FC Bayern, verpflichteten die Münchner den jungen DFB-Trainer.

Die Fußball-Welt trauert um Udo Lattek
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Foto: dpa, sv ase nic

Es war für beide Seiten ein Glücksfall. "Er war genau die richtige Mischung aus Lehrer, Taktiker und väterlichem Freund, die wir brauchten", erklärte Beckenbauer. Und Lattek bekam eine Mannschaft, die gerade am Anfang einer ganz großen Erfolgsgeschichte stand. Er war klug genug, seinen Fußballern die ganz lange Leine zu gönnen. Sie belohnten ihn dafür mit Titeln. Dreimal in Folge wurden die Bayern unter Latteks Führung deutscher Meister, zur Krönung gewannen sie 1974 den Europapokal der Landesmeister (dem Vorläufermodell der Champions League).

Das war der Höhepunkt in Latteks Laufbahn als Trainer, obwohl er bei Borussia Mönchengladbach und bei seinem zweiten Bayern-Engagement noch fünf Meisterschaften und mit dem FC Barcelona einen Europapokal-Titel feierte. Da war er längst selbst ein großer Star, der mit entsprechendem Selbstbewusstsein seine eigene Marke sicherte.

Kein Wunder, sondern eher typisch, dass er es in Barcelona auch mit dem Superstar Diego Maradona aufnahm. Er erzählte selbst gern, wie sich Maradona zur Abfahrt des Mannschaftsbusses verspätete. Lattek gab dem Chauffeur das Kommando: "Abfahren." Und er hatte damit seine Entlassung unterschrieben. Denn Maradona war im Klub noch einflussreicher.

Latteks Selbstbewusstsein schadete das nicht. Er machte die Episode zum Teil der eigenen Legende, an der er mit allen Mitteln gekonnter Selbstvermarktung strickte. Er gab den Medien Zucker, er zoffte sich mit ihnen in aller Öffentlichkeit, er ließ sie an seinen Gefühlen, seinen Gedanken und auch seinen Niederlagen teilnehmen wie nie ein Trainer zuvor. Er war ein sehr moderner Fußballtrainer. Lattek hat gern gehört, wenn ihn jemand mit den großen Darstellern der Gegenwart verglichen hat. Es schmeichelte ihm, wenn einer in Jürgen Klopp ein wenig Lattek entdeckte.

Wie der Dortmunder Trainer konnte Lattek am Spielfeld wunderbar emotional agieren, und er beherrschte den geschliffenen Vortrag, auch die Kunst der kleinen Beleidigungen und Provokationen. Es war kein Zufall, dass er eine zweite Karriere auf der Seite der Medien machte, als bissiger Zeitungs-Kolumnist und als Experte beim TV-Fußball-Stammtisch "Doppelpass". Dieses Format war eine Maßanfertigung für den streitbaren Geist, weil er hier immer das letzte Wort haben durfte, und weil es seinem Darsteller-Talent entgegenkam. Er war hier längst mehr als ein Trainer, er war ein Unterhalter, einer, der den Fußball mit auf eine andere Ebene hob. Auch das hat er genossen. Und er hat seine Verdienste daran herausgestrichen. So viel Zeit musste immer sein.

Aber neben dem krawalligen Lattek gab es auch stets den demütigen Lattek. "Ich bin ein Bauernsohn, aus dem Nichts gekommen. Ich habe dem Fußball alles zu verdanken", sagte er an seinem 75. Geburtstag. Und er stand nicht nur auf der Sonnenseite. Sein Sohn starb mit 15 Jahren an Leukämie, aber Lattek überspielte die Trauer mit Arbeitswut und manchmal grenzwertigen Alkoholexzessen. Auch hier blieb er ein öffentlicher Mensch. Er verglich sich mit dem großen Schauspieler Hans Albers, "weil der, wie ich, saufen konnte und hart arbeiten". Eine Nummer kleiner als Albers hätte Lattek es nicht gemacht.

Fast wäre ihm die Sucht nach Erfolg und Anerkennung, nach Stadion und Publikum schon früher zum Verhängnis geworden. Vor 15 Jahren ließ er sich noch einmal aus seiner Rolle als Chefkritiker des deutschen Fußballs auf eine Trainerbank locken. Dem Angebot, Borussia Dortmund aus der Abstiegszone zu führen, konnte er einfach nicht widerstehen.

Den Klassenerhalt schaffte er unter donnernder Begleitung der Medien und mit Hilfe seines Assistenten Matthias Sammer. Manchmal jedoch habe er "Angst gehabt, tot von der Bank zu fallen", sagte Lattek. Das war ebenso wahr wie wohl kalkuliert. Passend für einen Mann, der die Selbstdarstellung liebte, das Drama und das große Wort. Vor dem Sterben, hat er gesagt, habe er keine Angst, "nur vor dem Dahinsiechen".

Es blieb ihm nicht erspart.

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