Bundesliga brutal Blut und Spiele

Düsseldorf · Der Wolfsburger Schlussmann Koen Casteels trifft den Stuttgarter Christian Gentner mit seinem Knie am Kopf und verletzt ihn schwer. Das Regelwerk des DFB berücksichtigt indes beim Strafmaß nicht, wie schwer ein Gegenspieler verletzt wird.

Christoph Kramer holt sich bei Foul von Naby Keita Risswunde
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Kramer holt sich bei Keita-Foul Risswunde

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Foto: afp

Christian Gentner liegt in der 85. Minute regungslos auf dem vom Regen durchweichten Rasen. Das Bundesligaspiel zwischen dem VfB Stuttgart und dem VfL Wolfsburg geht in diesen Sekunden weiter. Sekunden, in denen Gentner mit schwersten Gesichtsverletzungen auf dem Boden liegt. Doch die wenigsten haben zu diesem Zeitpunkt erfasst, wie schwer sich der Mittelfeldspieler bei einem Zusammenstoß mit dem Wolfsburger Torwart Koen Casteels verletzt hat. Raymond Best, Mannschaftsarzt der Schwaben, eilt auf das Feld und holt dem ohnmächtigen Spieler die Zunge aus dem Hals und verhindert Schlimmeres. Die Diagnose später ist dennoch niederschmetternd: Gentner erleidet Brüche des Augenhöhlenbodens, des Nasenbeins und des Oberkiefers.

Casteels wird für die Aktion nicht verwarnt. Der Schiedsrichter wertet die Szene in Realgeschwindigkeit als Unfall. Er hat wahrgenommen, dass Casteels den Ball weggefaustet hat. Er hat offenbar nicht gesehen, dass der Schlussmann seinen Gegenspieler mit dem Knie im Gesicht getroffen hat. Hätte er es registriert, hätte es zwingend mindest Gelb-Rot gegen Casteels (war schon verwarnt) und Elfmeter für Stuttgart geben müssen. Doch Guido Winkmann aus Kerken lässt weiterlaufen - und er wird auch deshalb nicht stutzig, weil alle Spieler auf dem Platz ohne Protest weiterspielen.

Es kommt bedauerlicherweise zu solchen Zusammenstößen. Winkmann hat dennoch den Videoassistenten in Köln angefunkt. Dort saß Denis Aytekin vor den Bildschirmen. Aytekin ist selbst ein sehr erfahrener Schiedsrichter, der für den DFB auch internationale Begegnungen pfeift. Aytekin hat den ersten Eindruck von Winkmann bestätigt - ein Unfall. Er hat offenbar Winkmann nicht dazu geraten, sich die Szene selbst noch einmal an einem Bildschirm anzusehen. Diese Möglichkeit gibt es, doch die Schiedsrichter sind angehalten, nur in ganz wenigen Ausnahmefällen davon auch Gebrauch zu machen. Weil es die Anweisung gibt, das Spiel nur so kurz wie unbedingt nötig zu unterbrechen. In diesem Fall wäre aber wegen der Verletzungsunterbrechung ausreichend Zeit gewesen. Schiedsrichterchef Hellmut Krug erklärt: "Regeltechnisch ist die Entscheidung zwar grenzwertig, aber vertretbar." Krug wird das vor allem so beurteilen, was es ihm kein Anliegen sein kann, die Autorität des Videoschiedsrichters zu schwächen.

Was wäre, wenn...?

Was wäre passiert, wenn Casteels nicht so verheerend am Kopf, sondern an der Schulter getroffen hätte? Wäre der Aufschrei genauso groß gewesen? Was wäre passiert, hätte Winkmann dann auf den Elfmeterpunkt gezeigt? Wäre dann nicht geklagt worden, im internationalen Vergleich würden zu leichtfertig Strafstöße ausgesprochen?

Casteels bedauert die Verletzung Gentners, bestreitet aber jede Absicht. "Wenn das Foul ist, muss man die ganze Jugendausbildung umstellen, ab fünf, sechs Jahren", sagt er. "Schon da wird Torhütern beigebracht, dass du das linke Knie mitnimmst, wenn du mit rechts hochgehst." Ron-Robert Zieler, der Torwart des VfB, unterstützt die Argumentation.

Auch auf anderen Plätzen zeigte der Fußball seine brutale Seite. In Bremen hatte der Schalker Thilo Kehrer den Bremer Gegenspieler Max Kruse abgeräumt, der Stürmer brach sich beim Aufprall das Schlüsselbein und fällt mindestens acht Wochen aus. Kehrer ist mit Gelb verwarnt worden. In Leipzig hat Naby Keita mit voller Wucht mit dem Fuß im Gesicht getroffen - Kramer konnte trotz blutender Fleischwunde weiterspielen. Keita sah Rot.

In anderen Sportarten gibt es längst eine Erweiterung des Regelwerks - im Eishockey wird die Dauer einer Strafe auch daran gekoppelt, ob es nach einem Foul eine Verletzungsfolge gibt. Im Fußball gibt es die Uraltforderung, die Sperre für den Foulenden auszuweiten, bis der verletzte Spieler wieder dienstbereit ist. Vielleicht sollte man darüber noch mal nachdenken. Im Fall von Casteels wird es keine Nachbetrachtung geben. Durch die Überprüfung im Videobeweis ist eine nachträgliche Sperre ausgeschlossen.

(gic)
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