Ungeduld und Pfiffe Fans haben zu hohe Erwartungen

Düsseldorf · In den Stadien sitzt eine Generation Fans, die selten zufrieden zu stellen ist: Heute wird noch die eigene Mannschaft gefeiert, morgen gnadenlos ausgepfiffen. Reaktionen wie diese sind Teil einer Entwicklung, in der Fußball nur ein austauschbares Produkt ist. Eine Analyse.

 Standpunkt: Auf diesem Plakat im Stadion von Fortuna Düsseldorf fordern Anhänger im Jahr 2013 mehr Solidarität mit der Mannschaft.

Standpunkt: Auf diesem Plakat im Stadion von Fortuna Düsseldorf fordern Anhänger im Jahr 2013 mehr Solidarität mit der Mannschaft.

Foto: Imago

An keinem Ort ist die Vergesslichkeit größer als in einem Fußballstadion. Die gestrige Heldentat des eigenen Teams mag noch so groß gewesen sein. Wenn heute nicht den gewachsenen Ansprüchen entsprechend abgeliefert wird, kann das Publikum mitunter gnadenlos sein. Das ist kein exklusives Phänomen an vereinzelten Standorten in der Republik, sondern ist recht repräsentativ bei fast allen Profivereinen zu beobachten. Ein, zwei Fehlpässe, ein frühes Gegentor, dazu ein Schuss etwas zu deutlich über den Kasten. Die Unruhe auf den Rängen wird immer größer. Als deutliches Zeichen der Unzufriedenheit wird gepfiffen. Beste Hinrunde aller Zeiten? So gut wie seit Jahren nicht mehr in der Tabelle? Keine Abstiegssorgen, wie es jahrelang Tradition war? Alles ganz egal! Es gibt sie nicht mehr, die bedingungslose Solidarität zwischen Mannschaft und Zuschauern. Seit Fußball ein Event geworden ist, ist Geduld hohen Qualitätsansprüchen gewichen. In jedem Spiel muss geliefert werden.

Duisburg im April 2017. Wahrlich leidgeprüfte Fans pilgern in die Wedauer Arena. Der einstige Bundesligist darf nur noch in der Dritten Liga mitspielen. Dort machen die Meidericher allerdings eine gute Figur. Die Tabelle weist den MSV seit 27 Spieltagen als Spitzenreiter aus. Der Wiederaufstieg steht kurz bevor. Vorfreude sucht man dennoch vergebens. Beim vergangenen Heimspiel gegen den FSV Frankfurt kam es gar zum Bruch zwischen Mannschaft und Fans. Die Anhänger pfiffen ihr - zugegeben desaströs auftretendes - Team beim Stand von 0:2 in der ersten Hälfte gnadenlos aus, sangen hämisch "Oh, wie ist das schön". Nach dem 3:2-Sieg verweigerten die Spieler ihrerseits den Gang in die Fankurve, was wiederum mit einem Pfeifkonzert quittiert wurde. Mittlerweile gab es ein Krisengespräch. Das Ergebnis: Burgfrieden, um den Aufstieg nicht zu gefährden.

In Mönchengladbach dauerte es gerade einmal zehn Minuten, bis erste Unruhe aufkam. Die Hausherren lagen nach einem Strafstoß 0:1 in Rückstand. Hernach stand alles auf dem Prüfstand und wurde kritisch begleitet. Wohlgemerkt war der Gegner in Borussia Dortmund ein Champions-League-Kandidat. Das beeindruckte einige Anhänger indes nicht, sie bedachten missglückte Spielzüge der Mannschaft mit Pfiffen. Vergessen sind die Erfolge der vergangenen Jahre.

Pfiffe auch in Köln

In Köln spielt der "Effzeh" die beste Saison seit 25 Jahren. Die erste Europapokalteilnahme seit der Spielzeit 1992/93 ist möglich. Läuft das Spiel mal nicht wie gewünscht, gab es aber auch hier zuletzt immer lauter werdende Pfiffe. Trainer Peter Stöger und Geschäftsführer Jörg Schmadtke übten zuletzt öffentliche Kritik am hohen Anspruch des eigenen Anhangs. Das ist eine neue Dimension der Erwartungshaltung: Kritik trotz Erfolgs. Statt "Wenn ihr absteigt, schlagen wir euch tot", heißt es nun gefühlt "Wenn ihr die Champions League verpasst, schlagen wir euch tot."

Im Falle des Misserfolgs wird die Kritik dann eben noch verstärkt. Fans sanktionieren Leistungen der eigenen Mannschaft längst nicht mehr nur mit Pfiffen und Beschimpfungen, es hat sich eine Kultur der Selbstjustiz entwickelt, die mit Busblockaden begann, sich in Einschüchterungsbesuchen beim Training oder im privaten Umfeld fortsetzte und vor massiven Drohungen nicht haltmacht. Die selbst ernannten Siegelbewahrer des Fußballs werden so zu Richtern und Vollstreckern. Die Vereine haben selbst keinen Weg gefunden, sich angemessen zu wehren. Mal werden Fanklubs verboten, mal Stadionverbote ausgesprochen. "Wir müssen da vielleicht noch an manchen Orten deutlicher werden", sagt Hendrik Große Lefert. Er ist Sicherheitsbeauftragter des Deutschen Fußball-Bundes. "Wir haben lange zugesehen, es muss sich etwas ändern."

Der Weg vom Alleinvertretungsanspruch des wahren Fußball-Wesens zu einer sehr freien Interpretation der Macht im Stadion ist nicht weit. Für viele Fans scheint mit dem Kauf einer Eintrittskarte ein Ticket für einen rechtsfreien Raum gelöst, besser: für einen Raum, in dem sie selbst, und nur sie selbst die Gesetze schreiben.

Zu Ursachen dieser Entwicklung hat sich Fanforscher Jonas Gabler einmal gegenüber unserer Redaktion geäußert: "Es ist zu einer Entfremdung zwischen den Beteiligten gekommen. Die Distanz zwischen Zuschauern und Akteuren ist immer größer geworden", sagte der Wissenschaftler. Diese Entwicklung hat sich weiter verstärkt.

Es gibt nicht mehr die Vertrautheit früherer Tage zwischen Fans und Mannschaft. Mit der Kommerzialisierung starben Identifikationsfiguren aus. Neue Vereinslegenden werden vergeblich gesucht. Gab es früher den lockeren Austausch beim Bier, gibt es nun glatt gebügelte PRPhrasen und Fantreffen, die eher der Vermarktung dienen als dem Kontakt zur Basis - ohne Herz und Seele, ohne echte Liebe. Das spiegelt sich auf den Rängen wider.

(RP)
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