Zwischen Technik und Tradition Elf Follower müsst ihr sein

Düsseldorf · Videoschiedsrichter und Trainingssoftware sind in der Bundesliga bereits Alltag. Die Digitalisierung wird den Fußball jedoch weitgehender verändern - und für Klubs zum Spagat zwischen Technik und Tradition.

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Foto: Screenshot Twitter / @ChristavoFring

Bayern Münchens größte Konkurrenten heißen längst nicht mehr Borussia Dortmund oder Real Madrid, sondern Netflix und Youtube. Denn die Interessen der Jugendlichen verändern sich. Sie gucken Serien bei Netflix statt Konferenz bei Sky, himmeln Youtube-Stars an statt Poster von Fußball-Idolen aufzuhängen und gehen lieber zu Live-Wettkämpfen von Gamern als zum Derby ins Stadion.

Die Digitalisierung ist für die Bundesliga eine der größten Herausforderungen - doch viele Klubs scheuen radikale Lösungen. Es ist ein täglicher Kampf zwischen Tradition und Technik, der schon am Eingang anfängt. Während man am Flughafen längst per Handy einchecken kann, geht das in vielen Stadien nicht. "Es gibt schließlich viele Fans, die ihre Karten aufheben - gerade wenn sie bei besonderen Spielen live dabei waren", erteilt etwa Andreas Cüppers, Abteilungsleiter Digitale Entwicklung bei Borussia Mönchengladbach, einer Komplettumstellung eine Absage.

Das ändert sich in der Bundesliga
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Foto: dpa, htf hak

Experten warnen jedoch, dass die Bundesliga im weltweiten Wettstreit den Anschluss verliert, wenn sie sich nicht modernisiere. "International hinkt man den US-Ligen und der Premier League hinterher", sagt Werner Ballhaus, Digital-Experte von der Unternehmensberatung PwC. Ein Grund sei der fehlende Druck, weil die Einnahmen aus Transfers und der Fernsehvermarktung steigen. Aus Sicht des Online-Marketing-Experten Sven Schmidt täuschen aktuelle Erfolge über viele Probleme hinweg: "Die Klubs bejubeln ihren Fernsehvertrag, dabei können bei dem Rückenwind auch Schweine fliegen", sagte er unlängst bei einer Konferenz.

Die Marke Bundesliga müsse stattdessen im Digitalzeitalter auch für junge Menschen attraktiv gemacht werden. "Heute ist der Briefmarken-Sammelmarkt tot, weil die Briefmarken-Sammler tot sind. Es ist kein Nachwuchs nachgekommen", sagt Schmidt. Welche Strahlkraft die Klubs weltweit haben, zeigen die Fan-Zahlen beim sozialen Netzwerk Instagram: Schalke 04 kommt hier auf 390.000 sogenannte Follower, der FC Bayern München auf zehn Millionen - und Real Madrid auf 52,4 Millionen.

Um sich weltweit zu vermarkten reisen viele Klubs zwar seit Jahren nach Asien oder in die USA. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat sogar ein Büro in Singapur. Aus Sicht der Experten gibt es auch in der digitalen Auslandsvermarktung noch Luft nach oben. "Man könnte zum Beispiel die Bandenwerbung digital austauschen, wenn ein Spiel über das Internet in China gezeigt wird. Dort könnte dann etwa Alibaba statt Wiesenhof stehen", sagt Ballhaus.

Problematisch ist aus Experten-Sicht auch, dass die Bundesliga in sozialen Netzwerken kaum Spielszenen zeigen darf - denn diese Rechte haben sich die Fernsehsender gesichert. Während US-Ligen wie die NBA die besten Würfe über Facebook & Co. verbreiten können, müssen sich die Klubs auf Trainingsszenen und andere Schnipsel beschränken. "Für die DFL wäre es bei der Auslandsvermarktung einfacher, wenn sie mehr Rechte nutzen dürfte", heißt es in der Branche: "Aber den Klubs sind die maximalen Erlöse aus der Vermarktung wichtiger." Lieber jetzt Geld für neue Spieler, als auf künftige Märkte hoffen, lautet vielfach die Devise.

Die Klubs müssen daher kreativ sein — beim 1. FC Köln experimentieren sie beispielsweise mit dem vor allem bei jungen Mädchen beliebten Netzwerk Musical.ly. "Die Zielgruppe der Zukunft ist digital. Vor 20 Jahren hat sich die Frage, ob man Köln- oder Leverkusen-Fan wird, vor allem auf dem Schulhof entschieden - heute entscheidet sich vieles auf dem Smartphone", sagt Kölns Kommunikationschef Tobias Kaufmann. Sein Gladbacher Kollege Cüppers sagt jedoch auch: "Wir verlieren nicht unbedingt einen Fan an einen anderen Klub, nur weil der im Digitalbereich etwas besser aufgestellt ist." Soll heißen: Nur weil es in Köln W-Lan im Stadion gibt und in Gladbach nicht, wechselt kein Fan die Mannschaft.

Trotzdem raten die Experten dazu, die Digitalisierung zu nutzen, um das komplette Stadionerlebnis zu verändern (siehe Grafik): Bezahlt würde dann nicht bar oder mit Guthabenkarten, sondern per Smartphone. Tickets könnte man für jedes Spiel über eine zentrale Online-Plattform buchen. Entsprechende Versuche, das Ticketgeschäft zu zentralisieren, habe es vor einigen Jahren sogar gegeben, heißt es in der Branche. Technisch sei das relativ leicht umsetzbar. Doch die Gespräche zwischen DFL und Klubs scheiterten. Ein Grund: Die Ticketbeauftragten der Vereine wollten ihre Jobs behalten.

Es ist eine Gratwanderung, die die Bundesligaklubs meistern müssen: Sie müssen sich modernisieren, ohne ihre Basis, die Fans, wegen zu viel Kommerz zu verlieren. "Klubs werden zu Entertainment-Konzernen", sagte zuletzt Julian Kawohl, Professor für Strategisches Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Doch das ist natürlich ein Satz, den kein Ultra-Fan gerne hören wird.

Man müsse "einen Spagat zwischen Borsigplatz und Shanghai" schaffen, hat BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke mal gesagt. In Mönchengladbach heißt das, dass man nicht alles machen wird, was die Digitalisierung möglich macht. "Wir wollen die Fan-Kultur und die Stimmung im Stadion erhalten - passt dazu, sich Essen und Getränke in die Nordkurve bringen zu lassen?", fragt Cüppers.

(frin)
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