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Finanzquerelen bei bayer Leverkusen Calmunds Abschied in neuem Licht

Leverkusen (RP). Es ist ein schwüler Frühsommertag im Juni 2004. Das Rheinland ächzt in feuchter Hitze vor sich hin, am Abend soll es ein Gewitter geben. Feucht wird's schon vorher. Denn es fließen Tränen unterm Bayer-Kreuz - Krokodilstränen und echte. Reiner Calmund, (viel) Fleisch gewordene Volkstümlichkeit im erfolgreichen Fußball-Unternehmen des Leverkusener Konzerns, gibt seinen Abschied bekannt. Aus gesundheitlichen Gründen. "Ich bin platt", sagt er, "27 Jahre vorn auf dem Bock zu sitzen, das reicht."

 Reiner Calmund hilft Dynamo Dresden.

Reiner Calmund hilft Dynamo Dresden.

Foto: ddp, ddp

Die Öffentlichkeit ist überrascht. Kenner des Klubs glauben, dass Calmund seine Niederlage im Kampf mit den Sparkommissaren bei Bayer verloren hat. Zu denen zählt in erster Linie Calmunds Geschäftsführer-Kollege Wolfgang Holzhäuser. Der sitzt bei Callis Abschied mit auf dem Podium.

Was beide wissen, aber lieber nicht verraten, gerät erst zwei Jahre später ans Licht. Gut drei Wochen vor Calmunds Abgang hat Bayer Selbstanzeige beim Finanzamt Leverkusen gestellt. Der Revisor hatte Rechnungsbelege über 11,85 Millionen Dollar (etwa 9,2 Millionen Euro) gefunden, "die nicht eindeutig zugeordnet werden konnten", wie Holzhäuser heute sagt. "Wir haben keine Verträge gefunden, auf die sich die Rechnungen beziehen und aus reiner Vorsorge Selbstanzeige erstattet", erklärt der im Amt verbliebene Geschäftsführer. 2,5 Millionen Euro Steuer zahlte Bayer nach. Damit drohen zumindest keine juristischen Konsequenzen. "Alle Beteiligten sind rechtlich sauber gestellt", sagt Meinolf Sprink, der Sportbeauftragte im Konzern. Tom Bender, Sprecher der Deutschen Fußball Liga, die den Profifußball verwaltet, erklärt: "Bayer hat uns pflichtgemäß informiert. Wir prüfen den Vorgang."

Das Geld war auf ein Konto des Spielerberaters Juan Figer in Uruguay geflossen, der die südamerikanischen Fußballer Paulo Rink, Ze Roberto, Robson Ponte, Franca und Juan nach Leverkusen vermittelt hatte. Ob der wiederum als eine Art Strohmann für Bayer steuerfreie Netto-Zahlungen an "seine" Spieler leistete, ist nicht zu klären. Holzhäuser aber soll sich in Hintergrundgesprächen im vergangenen Winter über Calmunds freigiebige Transferpolitik beklagt haben. Eine Ablösesumme von 8,5 Millionen Euro für Franca beispielsweise habe er immer für überhöht gehalten. Und er müsse sich vorwerfen, "dass ich nicht früher mal Nein gesagt habe". In der eigentümlichen Geschäftsführer-Doppelspitze war Calmund fürs Sportliche, Holzhäuser aber fürs Finanzielle zuständig.

Findige Zeitgenossen argwöhnen natürlich, dass Calmunds Abschied ein paar Wochen nach der Selbstanzeige beim Finanzamt keineswegs allein mit gesundheitlichen Problemen begründet war. Der Hauptdarsteller bestreitet das vehement. "Ein Zusammenhang meines Rücktritts mit der Selbstanzeige ist völliger Blödsinn", sagt Nordrhein-Westfalens WM-Botschafter. Sein Anwalt Stefan Seitz unterstreicht: "Bei der Selbstanzeige handelt es sich um längst abgehakte Sachverhalte. Mit dem Ausscheiden von Calmund hat die Selbstanzeige nichts zu tun." Calmunds Ex-Kollege drückt es entschieden behutsamer aus. "Das möchte ich nicht kommentieren", sagt Holzhäuser. Was er damit allerdings denn doch getan hat.

Sprink, einer der Betreiber des Sparkurses in der Sparte Fußball, findet es bedauerlich, "dass wir zwei Tage nach einer Steuerfahndung durch eine Indiskretion wieder in der Öffentlichkeit stehen". Fahnder hatten Klubräume und Wohnungen ehemaliger Mitarbeiter durchsucht, weil sie Fragen nach "der steuerlichen Einordnung" eines Spielertransfers nachgehen.

Nicht die einzige schlechte Schlagzeile, die Bayer produziert. Gegen Calmund wird im Zusammenhang mit Provisionszahlungen in Höhe von 580000 Euro ermittelt. Und der "Stern" berichtet, der Klub habe in der Saison 2002/03, als er mit einem Bein in der Zweiten Liga stand, sein Budget derart überzogen, dass er das Geschäftsjahr mit einem Verlust von 42 Millionen Euro abgeschlossen habe.

Holzhäuser befürchtet dennoch kein Image-Problem. "Im Gegenteil", sagt er, "wir dokumentieren durch den Sanierungskurs und die Selbstanzeige, wie verantwortungsbewusst wir mit dem Geld der Bayer AG umgehen." Er verweist auf erste Erfolge des Sparprogramms. Die Verbindlichkeiten seien gegenüber 2003 um 75 Prozent abgebaut, für 2007 erwarte der Klub ein ausgeglichenes Ergebnis. Maßgeblichen Anteil habe daran die deutliche Reduzierung der Personalkosten. "Sie liegen bei 50 Prozent des Etats, damit im Schnitt der Bundesliga", beteuert er. Die teuren Träume vom europäischen Spitzenfußball aber wirken noch immer. Gestern erklärte Jens Nowotny seinen Abschied zum Saisonende. Als Ausstandsgeschenk bekommt er 4,7 Millionen Euro. So steht's im Vertrag. Ausgehandelt mit Holzhäuser.

(alfa)
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