Überraschungen in der Königsklasse Alle wieder wach!

Düsseldorf · Der Fußball wird immer mehr zum Einheitsbrei - eine geschlossene Gesellschaft von einer Handvoll Klubs macht die Titel unter sich aus. Deshalb tut es gut, auch mal wieder Überraschungen zu erleben - wie die Erfolge der AS Rom und des FC Liverpool.

AS Rom - FC Barcelona: Bilder des Spiels
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AS Rom feiert eine magische Nacht gegen Barcelona

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Foto: afp

Der Fußball ist zu einer gigantischen Seifenoper mutiert. Es gibt jeden Tag neuen Stoff. Es ist ganz egal, ob man auch mal ein paar Folgen verpasst, man gewinnt schnell den Anschluss. Denn es ändert sich an der Geschichte selten etwas. Eine geschlossene Gesellschaft von einer Handvoll Klubs macht die großen Titel unter sich aus. Spanien, Deutschland und England marschieren seit Jahren vorneweg, wenn es um die wichtigsten Trophäen im europäischen Vereinsfußball geht. In den vergangenen fünf Spielzeiten erreichten zehnmal Teams aus Spanien (fünfmal Real Madrid, dreimal FC Barcelona, zweimal Atlético Madrid) das Halbfinale. Viermal schaffte es der FC Bayern in die Vorschlussrunde, einmal Borussia Dortmund. Aus England waren es je einmal Manchester City und der FC Chelsea. Aus Italien zweimal Juventus Turin. Nur ein Team aus einem anderen Land war vertreten: die AS Monaco in der vergangenen Saison.

Und dann gibt es Abende wie diesen. Abende, an denen die Gesetzmäßigkeiten des Geschäfts ausgehebelt werden. Die AS Roma ging im Viertelfinalhinspiel der Champions League beim FC Barcelona mit 1:4 unter. Eine denkbar ernüchternde Ausgangsposition - und so ist es nicht verwunderlich, dass nur 100.000 Zuschauer hierzulande die Partie in der Einzeloption beim Bezahlsender Sky verfolgten. Die parallele Begegnung zwischen Manchester City und dem FC Liverpool wollten dagegen 470.000 sehen. Es sprach wenig gegen diese Entscheidung. City wird von Pep Guardiola trainiert, die Reds von Jürgen Klopp - die Drei-Tore-Führung der Gäste sahen viele nicht als beruhigendes Polster an. Bereits nach zwei Minuten erzielten die "Citizens" die Führung, und nun war man sich sicher, ein "Wunder" erleben zu können. Angesichts der Summen, die City in den Kader gepumpt hat, hätte sich die Sensation aber so oder so in engen Grenzen gehalten.

Es kommt nur noch ganz selten vor, dass der Fußball magische Momente bietet. Der Fußball bietet tolle Tore. Er bietet trotz moderner Hilfsmittel immer noch genügend Diskussionsstoff, was die Bewertung von strittigen Szenen angeht. Doch er hat viel von seiner Unberechenbarkeit eingebüßt. In dem zurückliegenden Transfersommer haben die fünf stärksten Ligen des Kontinents fast 4,5 Milliarden Euro in neue Spieler investiert. In der englischen Premier League waren es 1,549 Milliarden, die italienische Seria A hat 1,033 Milliarden ausgeben, die Ligue 1 in Frankreich 675 Millionen, die deutsche Bundesliga 617 Millionen, und die spanische La Liga immerhin noch 555 Millionen Euro. Europäische Fußballvielfalt sieht jedenfalls anders aus. Das letzte Mal, dass es ein Team aus einem Land außerhalb der Top fünf unter die letzten vier geschafft hat, liegt schon 13 Jahre zurück: 2005 scheiterte PSV Eindhoven im Halbfinale am AC Mailand.

Als in Rom Barca mit zwei Toren zurücklag, wollte noch nicht so richtig die Euphorie ansteigen. Da stand immerhin Lionel Messi für die Katalanen auf dem Platz. Und Andrés Iniesta. Und Gerard Piqué. Und Marc-André ter Stegen. Der Hochadel der Branche. Bei den Römern spielt ein gewisser Federico Fazio. Oder Daniele De Rossi. Letzterer ist einer breiteren Öffentlichkeit noch ein Begriff, weil er 2006 mit Italien Weltmeister wurde. Aber Kostas Manolas? Kostas wer? Nur Feinschmecker des Sports werden ihn auf dem Zettel gehabt haben. Nun köpfte er den Ball zum 3:0 an ter Stegen vorbei und rüttelte damit alle wieder wach. Mit diesem Erfolg ist wenigstens für diesen kurzen Moment in Erinnerung gerufen worden, dass da nicht nur Marketingpüppchen über den Rasen laufen. Der Fußball hat seine eigenwillige Dynamik entfaltet - ein ekstatisches Stadion, ein entfesselnd aufspielender Außenseiter und der haushohe Favorit, der sich nicht mehr berappeln konnte.

In Frühzeiten der Champions League, die 1992 den Europapokal der Landesmeister abgelöst hatte, lebten die europäischen Abende auch und vor allem von der Spannung durch überraschende Siegeszüge von Außenseitern. Im modernen Fußballgeschäft ist die Hürde dafür allerdings sehr hoch geworden. Zu hoch? Über sechs Gruppenspiele einen der ersten beiden Plätze zu belegen, ist für einen Außenseiter schwer genug. Dann in den K.o.-Spielen in Hin- und Rückspiel jeweils den ganz Großen noch einmal ein Bein zu stellen, ist sehr unwahrscheinlich geworden. Zu groß ist der Unterschied der Qualität in den Kadern. Die Auswechselbank von Top-Klubs ist oft hochkarätiger besetzt als das Stammpersonal der meisten Kontrahenten.

Deswegen sind es Abende wie der in Rom, die sich ins kollektive Fußballgedächtnis brennen. Die Geschichten schreiben, wie die von Roms amerikanischem Klubchef James Pallotta, der vor Fans in einen historischen Brunnen auf der zentralen Piazza del Popolo sprang und dafür vom Verbraucherschutzbund angezeigt wurde. Der dann statt der geforderten 500 Euro Strafe 230.000 Euro für die Restaurierung des Brunnens spendete. Es sind Abende wie der von Rom, die dem Fußball das Besondere geben. Das nicht Kalkulierte. Das nicht Berechenbare. Berechenbarkeit ist natürlich das, was die großen Klubs wollen, damit die Investoren die Laune an ihrem Spielzeug nicht verlieren. Sie nimmt den Produkt aber viel vom Glanz. Umso wichtiger, dass es wenigstens gelegentlich Ausgänge wie den in Rom gibt. Denn es wird noch genügend Spielausgänge geben, die alles sind, aber nicht überraschend.

(gic)
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