Carlo Ancelotti schreibt Geschichte Mürrischer Spaßvogel schenkt Real Madrid "La Decima"

Madrid · Carlo Ancelotti wirkt nicht gerade wie ein Strahlemann. Der Italiener betrachtet die Welt um sich herum meist mit einer sauertöpfischen Miene. Dabei zieht er die linke Augenbraue hoch und kaut gleichzeitig mit offenem Mund Kaugummi, sodass sein ganzes Gesicht in Schieflage zu geraten scheint.

 Pokal in der Hand, Augenbraue im Anschlag: Carlo Ancelotti.

Pokal in der Hand, Augenbraue im Anschlag: Carlo Ancelotti.

Foto: afp, bb/bf/seb

Nach dem Finale der Champions League, das Real Madrid mit 4:1 in der Verlängerung gegen den Stadtrivalen Atletico gewann, zeigte Ancelotti, warum sie ihn in Italien liebevoll nur "Carletto", das kleine Karlchen, nennen. Ancelotti ließ sich von seinen Spielern in die Luft werfen, posierte mit den Kindern von Marcelo und Xabi Alonso für ein Erinnerungsfoto und nahm sogar milde lächelnd in Kauf, dass ein Teil der Mannschaft seine Pressekonferenz stürmte.

Dritter Triumph in der Champions League

Seit Samstag ist Ancelotti Rekordtrainer. Er ist der erste, der dreimal die Champions League gewann. Nach den zwei Titeln mit dem AC Mailand beschenkte der 54-Jährige nun Real Madrid mit "La Decima". Der bisher einzige Coach, der dreimal im Europapokal der Landesmeister triumphierte, war Bob Paisley, der 1977, 1978 und 1981 mit dem FC Liverpool die wertvollste Trophäe des europäischen Klubfußballs in seinen Besitz brachte.

Zudem drang Ancelotti in den illustren Kreis der Fußball-Lehrer ein, die mit zwei verschiedenen Vereinen in der Königsklasse triumphierten. In Zeiten der Champions League war dies bislang nur Jose Mourinho (FC Porto und Inter Mailand), Jupp Heynckes (Real Madrid und Bayern München) und Ottmar Hitzfeld (Borussia Dortmund und Bayern München) gelungen. Ernst Happel gewann mit Feyenoord Rotterdam und dem Hamburger SV den Europapokal der Landesmeister.

Dass der Eindruck vom mürrischen Trainer täuscht, hatte einst schon Paolo Maldini bestätigt. Ancelotti sei ein Spaßvogel, der seinesgleichen suche, schrieb Maldini im Vorwort von Ancelottis Biografie. "Sogar vor einem Champions-League-Finale macht er Witze. Die Leute denken, vor solch wichtigen Spielen würde er dramatische Reden in der Kabine halten, die uns zu Tränen rühren. Tränen hat es in der Tat gegeben. Aber weil wir nicht aufhören konnten, zu lachen", berichtet der frühere Kapitän des AC Mailand, der Ancelotti erst als Mitspieler und dann als Trainer erlebt hatte. Sie seien auch "per Du" geblieben, als der eine Spieler und der andere schon Trainer war, so Maldini. Keine Selbstversändlichkeit in einem Land, in dem der Coach grundsätzlich mit "Mister" angesprochen wird.

In der Heimat feierten die Medien den ehemaligen Mittelfeld-Akteur, der seine Trainerlaufbahn als Co-Trainer der italienischen Nationalmannschaft begonnen hatte, nach dem dritten Triumph in der Champions League als Trainer. "Real Madrid verdankt diesen Titel der hartnäckigen Geduld Ancelottis, der eine Mannschaft neu gestaltet und aus jedem Spieler das Beste herausgeholt hat", schrieb die Zeitung "La Repubblica". Die "Gazzetta dello Sport" wagte einen Blick in die Zukunft: "Eine neue Ära beginnt in Europa unter Ancelottis Zeichen". Gleichzeitig blickte sie zurück auf Ancelottis größe Niederlage. "Ancelotti löscht Istanbul aus der Erinnerung".

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Größte Niederlage 2005

In der türkischen Metropole hatte Ancelotti 2005 mitansehen müssen, wie der von ihm gecoachte AC Mailand einen 3:0-Vorsprung gegen den FC Liverpool noch in eine Niederlage im Elfmeterschießen verwandelte. In Lissabon war es nun seine Mannschaft, die das Spiel zu ihren Gunsten drehte. "Diese Trophäe ist sehr wichtig für Real und wir haben die gesamte Saison dafür gearbeitet", sagte Ancelotti und berichtete von seiner Begegnung mit Real-Präsident Florentino Perez: "Er war sehr zufrieden. Schon an meinem ersten Tag in Madrid hatte er mir gesagt, dass im Trophäenschrank noch ein Cup fehlte."

Dann kündigte er mit einem verschmitzten Lächeln an, er sei für eine lange, schlaflose Party-Nacht bereit. Vorher widmete er den Titel noch seiner Lebensgefährtin und seiner Familie.

(areh)
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