Finale in der Champions League Madrid — die geteilte Fußball-Stadt

Madrid/Düsseldorf · Zum ersten Mal stehen zwei Klubs aus einer Stadt im Finale der Champions League: Real und Atletico.

 Erstmals in der Geschichte der Champions League kommt es im Finale zu einem Stadtduell.

Erstmals in der Geschichte der Champions League kommt es im Finale zu einem Stadtduell.

Foto: ap

Die gute, alte Kybele verlebt ein vergleichsweise ruhiges Frühjahr — so weit man von ruhig sprechen kann, wenn mehrere zwölfspurige Straßen auf einen zulaufen. Seit 1782 sitzt die als Lebensspenderin und große Mutter der Natur bewährte antike Göttin in ihrem mit zwei Löwen bespannten Wagen mitten auf einer zentralen Kreuzung in Madrid. Horden von Fußballfans fielen in dieser Saison noch nicht über sie her. Die Anhänger von Real, die hier seit jeher die Triumphe ihres Klubs begehen, konnten zwar den Gewinn der "Copa del Rey", des nationalen Pokalwettbewerbs feiern, mehr aber nicht. So gesehen ist es relativ ruhig am Brunnen der Kybele.

Die ganz große Party fand ein paar Hundert Meter weiter den Paseo del Prado hinauf statt. Auf einem anderen Platz. Mit einem anderen Brunnen. Und mit einem anderen Gott. Der für das Meer zuständige Neptun bekam am vergangenen Wochenende Gesellschaft. Fans und Spieler von Reals Stadtrivale Atletico besangen und begossen dort die Meisterschaft.

Ob an diesem Wochenende bei Frau Kybele oder bei Herrn Neptun gefeiert wird, entscheidet sich rund 600 Kilometer weiter westlich. Im Lissabonner Stadion des Lichts stehen sich Real und Atletico gegenüber. Erstmals in der Geschichte der Champions League und ihres Vorläuferwettbewerbs, dem Europacup der Landesmeister, treffen zwei Rivalen aus einer Stadt aufeinander. London mit seinen Champions-League-Stammgästen Arsenal und Chelsea ist das nie gelungen, auch Mailands AC und Inter machten den wichtigsten Wettbewerb im Vereinsfußball noch nicht unter sich aus.

Diese Premiere eines Stadtduells — in Spanien als "Derbi madrileno" bezeichnet — ist die Steigerung zum nationalen Endspiel, wie es die Champions League vergangenes Jahr im Wembley mit dem Finale zwischen Bayern München und Borussia Dortmund bot.

Unterschiede wie Tag und Nacht

Real Madrid: Der Weg ins Finale der Champions League
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Der Weg von Real Madrid ins Finale

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Die Begegnung am Samstag in Lissabon (20.45 Uhr/Live-Ticker) macht aus der Drei-Millionen-Einwohner-Metropole Madrid eine geteilte Stadt. "Atleti" steht für den ärmeren Süden der Hauptstadt, Real für den deutlich wohlhabenderen Norden, in dem sich neben dem Bernabeu-Stadion die Bürotürme von Banken und Konzernen in den Himmel schrauben, wo Botschafter residieren und das Leben etwas schöner und chicer und teurer ist. Auf der einen Seite das imposante Bernabeu, auf der anderen das aus heutiger Sicht vorsintflutlich anmutende Stadion Vicente Calderon, das nur auf einer Seite überdacht ist. Real kommt auf 188 Millionen Euro Fernseh- und 212 Millionen Euro Sponsorengelder; 53 bzw. 40 Millionen Euro stehen auf Seiten Atleticos dagegen. Gegensätze prägen das Duell.

Atletico, zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts von baskischen Studenten als Außenposten von Athletic Bilbao gegründet, gibt sich als Verein der Arbeiter und der kleinen Leute. Der Verein ist ein Gegenentwurf zum großbürgerlichen, edlen, blütenweißen Real. Auch in den Charakteren der aktuellen Trainer kommt der Gegensatz zum Ausdruck. Auf der einen Seite steht Reals Carlo Ancelotti, ein Weltmann mit Charme und besten Manieren, der in den Metropolen Mailand, London und Paris wirkte. Auf der anderen Seite der Argentinier Diego Simeone, der die Attitüde des Malochers aus seiner Zeit als Profi mit auf den Trainerposten genommen hat und über sich sagt: "Wenn ich Matsch sehe, werfe ich mich hinein. Arbeit ist alles."

Atletico Madrid: Der Weg ins Finale der Champions League
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Der Weg von Atletico Madrid ins Finale

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Der Kronprinz hält zu den "Matratzenmachern"

Auch durch den Königspalast zieht sich in Sachen Fußball ein Graben. König Juan Carlos I. sympathisiert mit Real, bei den wichtigen Spielen sitzt er auf der Ehrentribüne des Bernabeu. Sein Sohn, Kronprinz Felipe, bekennt sich zu den "Matratzenmachern", wie die Profis von Atletico wegen ihrer rot-weißen, an alte Matratzen erinnernden Trikots genannt werden.

Dass diese Mannschaft in der abgelaufenen Saison den spanischen Meistertitel geholt hat, ist ein Stück für Fußball-Romantiker. Zum ersten Mal seit 2004, als sich der FC Valencia durchsetzte, ging nicht Real oder der FC Barcelona als Sieger durchs Ziel. Stattdessen wurde eine Mannschaft Sieger, die eine Idee von Fußball kultivierte, die wenig zu tun hat mit dem weltweit gefeierten und oft kopierten Kurzpasspiel. Atletico bietet einen Fußball voller Leidenschaft, der von einer hingebungsvollen Defensive lebt.

18 Jahre hatte Atletico auf seinen zehnten Meistertitel warten müssen. 40 Jahre ist es her, dass der Klub unter den letzten vier in Europa stand. 1974 unterlagen die Madrilenen im Endspiel dem FC Bayern. Nach einem 1:1 gewannen die Münchner das Wiederholungsspiel im Brüsseler Heyselstadion mit 4:0 (zweimal Müller, zweimal Hoeneß).

Real hat morgen mehr zu verlieren als Atletico. Seit zehn Jahren, seit dem 2:1 in Glasgow gegen Bayer Leverkusen, wartet der Klub auf den zehnten Titel in diesem Wettbewerb. Sami Khedira, der den Platz des gesperrten Xabi Alonso einnehmen könnte, weiß: "Die Fans und der Verein sehnen sich nach diesem zehnten Champions-League-Titel, und der war immer auch mein Ziel." Für den deutschen Nationalspieler ist das Finale zudem die Generalprobe für die Weltmeisterschaft. Nach einem halben Jahr Verletzungspause kann er sich auf höchstem Niveau präsentieren. Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff sagt: "Mein Traum ist es, dass er zum Einsatz kommt und in der 83. Minute das Siegtor schießt."

Dann wäre morgen bei Kybele richtig was los.

(RP)
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