Interview mit Wolff-Christoph Fuss "Den Kommentator hat niemand eingeladen"

Düsseldorf (RPO). Wolff-Christoph Fuss gehört zu den beliebtesten Fußballkommentatoren Deutschlands, weil er die Floskelhölle weiträumig umfährt. Für Sat.1 kommentiert er die Champions League, für "Liga Total!" die Bundesliga. Im Interview mit unserer Redaktion erzählt er, was er in der Halbzeit macht und wer nicht sein Lieblingsverein ist.

 Wolff-Christoph Fuss kommentiert am Samstag das Champions-League-Finale zwischen Manchester United und dem FC Barcelona.

Wolff-Christoph Fuss kommentiert am Samstag das Champions-League-Finale zwischen Manchester United und dem FC Barcelona.

Foto: Sat1

Beim Rückspiel Manchester United gegen Schalke 04 war sehr frühzeitig die Luft raus. Wie gehen Sie mit solchen Situationen um?

Wolff-Christoph Fuss: Das gehört dazu. Das ist dann noch ein wenig Klappern und Hoffen, denn im Fußball ist ja vieles möglich. Aber nach einer Stunde hatte auch ich die Hoffnung aufgegeben. Da nehme ich mich dann fast automatisch mit meinen Kommentaren zurück und es geht nur darum, das Aus noch ein wenig zu begleiten. Da kannst du dann auch noch ein paar Anekdötchen erzählen, da gibt es dann Platz und Zeit. Es hätte ja auch keinen Sinn gemacht, Schalke zu vernichten, wo das Team doch so viel Spaß gemacht hat in der Saison.

Wir würden ja gerne mit Ihnen über andere Fußballkommentatoren lästern, haben aber die Vermutung, dass Sie sich darauf nicht einlassen.

Fuss: Das stimmt.

Versuchen wir es mal anders — was kann man als Kommentator alles falsch machen?

Fuss: Alles. Das ist ja eine Sympathiefrage. Wenn dem Fernsehzuschauer schon die Stimme nicht gefällt, dann kann der Kommentator so viel Ahnung haben, wie der will. Dann hat er verloren, sobald der nur anfängt zu sprechen. Der Fußballkommentator ist der 23. Mann, der, der nicht eingeladen ist. Die Leute schalten ja den Fernseher ein, weil sie das Fußballspiel sehen wollen, und nicht, weil sie dich hören wollen. Da wird man dem Zuschauer aufs Auge gedrückt. Und der nimmt für sich in der Regel in Anspruch, viel mehr zu wissen, es besser zu können und deutlich unterhaltsamer zu machen. Wenn ein Kommentator aber Sympathiepunkte hat, darf er sich auch mal Fehler erlauben, ohne dass die Leute gleich die Kiste eintreten.

Haben Sie Floskeln, die Sie auf jeden Fall vermeiden?

Fuss: Natürlich. Hüben wie drüben. Es brennt lichterloh. Die langen Kerls bei Standardsituationen. Den Bock umstoßen. Den Schalter umlegen. Ich habe schon mal während einer Sendung gefragt, was das eigentlich für ein Schalter ist, den man da umlegt. Ist das ein kleiner oder eher ein großer? Ich versuche so zu den Leuten zu sprechen, als würde ich bei ihnen auf der Couch sitzen. Das mag man oder das mag man nicht. Und ich habe das Glück, dass der ein oder andere das mag.

Wie bereiten Sie sich auf ein Spiel vor?

Fuss: Ich bin in der Vorbereitung eher altmodisch. Jeder Spieler kriegt einen Post-It-Zettel. Da steht dann drauf, wann der Spieler das letzte Mal getroffen hat, wie oft er getroffen hat, wo er herkommt, wo er hin will. Wie groß, wie alt, wie schwer. Anekdoten. Auf einem anderen Zettel stehen die Informationen zu den Vereinen. Das ist wie in der Schule mit den Spickzetteln. Nur dass ich eben gucken darf.

Da ist ja vermutlich auch viel unnützes Wissen dabei. Lassen Sie uns doch daran mal teilhaben. Das können wir gut für die nächste Party gebrauchen.

Fuss: Beim Spiel Manchester gegen Schalke hatten wir die Statistik, dass bei 329 Europacup-Begegnungen, bei denen die Heimmannschaft das Hinspiel mit zwei Toren Unterschied verloren hat, das Spiel in sieben Fällen noch gedreht wurde, das sind knapp zwei Prozent. Darunter waren zwei deutsche Mannschaften, einmal die Bayern 1988 gegen Inter Mailand, einmal der VfB Stuttgart 1998 gegen Feyenord Rotterdam. Das habe ich den Zuschauern in Manchester erspart. Das ist ja auch eine Kunst, Informationen zurückzuhalten. Ich habe den Anspruch, alles zu wissen. Aber in den 90 Minuten verbrät man vielleicht fünf Prozent. Ich glaube, Johannes (Johannes B. Kerner, Anm. d. Red.) hat die Statistik mit den 329 Begegnungen gebracht. Sehr lustig.

Ab wie viel Minuten vor dem Anpfiff sitzen Sie eigentlich an Ihrem Arbeitsplatz?

Fuss: Knapp eine halbe Stunde. Da gibt es dann die offiziellen Aufstellungen, die ich mit meinen Aufstellungen vergleiche. Ich spreche mit meinem Redakteur, auf was wir achten müssen, was die zentralen Duelle sind.

Rennen Sie in der Halbzeit auf Toilette?

Fuss: Das hängt davon ab, ob ich muss. Im Rückspiel zwischen Manchester und Schalke bin ich sitzengeblieben. Dann gibt es eine kurze Manöverkritik. Alles erkannt, alles angesprochen? Also die Urfragen werden gestellt [lacht]. Vielleicht gibt es ein Wasser oder einen Kaffee. Relativ profane Dinge.

Wie ist das eigentlich, wenn Sie neben spanischen Kommentatoren sitzen, die den Torschrei über mehrere Minuten praktizieren?

Fuss: Ach, das geht eigentlich. Einmal war es superlaut an der Anfield Road in Liverpool. Da haben alle geschrien, aber der Spanier hat am lautesten geschrien. In Manchester saß neben mir ein ruhiger Engländer. Die sind auch eher nüchtern so wie die deutschen Kommentatoren. Ich mag es ja, wenn der Kommentator das Spiel mit einer gewissen Emotionalität begleitet, aber es muss auch passen. In Südamerika ist der Live-Kommentar eine Kunstform. Da gibt es ja Wettbewerbe, wer am längsten Goool schreien kann, ohne Luft zu holen. Aber das ist ja der Torschrei um des Torschreis willen.

Haben Sie ein Lieblingsstadion?

Fuss: Mehrere. Im Ausland ist es die Anfield Road. Da ist es sehr ursprünglich. In Deutschland ist es in Köln sehr stimmungsvoll, in Dortmund und auf Schalke. Auch in der Allianz-Arena kommt das vor. Gegen Manchester im vergangenen Jahr habe ich mich echt umgeguckt und gefragt: Sind das tatsächlich die Bayern-Fans?

Welches Spiel hätten Sie gerne kommentiert?

Fuss: Natürlich ist ein großes Finale mit der deutschen Nationalmannschaft reizvoll, und idealerweise gewinnt die deutsche Mannschaft. Wenn ich da an das EM-Finale 1996 denke oder an das WM-Finale 1990. Aber ich bin sehr zufrieden mit dem, was im Moment passiert.

Es gibt ja einige berühmte Kommentatoren-Sprüche wie "Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt, Tor". Hätten Sie das 3:2 anders kommentiert?

Fuss: Sicher nicht. Das hat Herbert Zimmermann der Zeit angemessen gemacht. Es ist interessant, wenn ich mit älteren oder ehemaligen Kommentatoren spreche. Ernst Huberty hat ja beim WM-Halbfinale Deutschland gegen Italien 1970 nach dem Ausgleich in letzter Minute den legendären Satz gesagt: "Schnellinger, ausgerechnet Schnellinger". Im Moment größter Ekstase gibt der in aller Nüchternheit so einen Satz zu Protokoll, das ist sensationell. Ich habe ihm gesagt: Das kann doch nicht sein, da musst du doch so aus dem Schuh gehen, dass dir die Herberger-Büste von der Wand fällt. Er antwortete: In dem Moment hat mir doch sowieso keiner zugehört, weil sich alle in den Armen lagen. Heute geben die Kommentatoren aber tendenziell eher mehr Gas, wenn es denn passt.

Es ist vermutlich so aussichtslos wie Sie dazu zu bewegen, über andere Kommentatoren zu lästern — aber könnten Sie uns nicht verraten, für welchen Verein Sie halten.

Fuss: Nein.

Ist Mönchengladbach zufällig Ihr Lieblingsverein?

Fuss: Nein. Lieblingsverein ist ja auch generell übertrieben. Man kann ihn sich ja nicht aussuchen. Und wenn ein Klub mit drei Jahren an dich herangetreten ist auf mysteriöse Art und Weise, entwickelst du eine Sympathie, die du nicht ablegen kannst.

Info

Wolff-Christoph Fuss wurde am 23. Juni 1976 in Ehringshausen (Hessen) geboren. Bevor er für Sat.1 und T-Home kommentierte, war er für DF1, Sport1, ESPN und Premiere im Einsatz. Sein Vertrag bei Sat.1 läuft 2012 aus. Was danach passiert, ist unklar. Fest steht nur: 2012 gehen auch die Übertragungsrechte für die Champions League von Sat.1 aufs ZDF über. Fuss lebt in München.

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