Guardiola bei den Bayern In Schönheit gescheitert

München · Pep Guardiola verlässt den FC Bayern nicht als gebrochener Mann, denn er hat vieles bewirkt. Und doch ist er in München auf hohem Niveau gescheitert.

Die Münchner Ära von Pep Guardiola in der Chronologie
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Als alles vorbei ist, steht Pep Guardiola (45) im Kabinengang des Münchner Stadions, legt die Stirn in Falten, blickt mit großen Augen aus einem blassen Gesicht, streicht sich nervös über Nase, Stirn und den kahlrasierten Schädel. Wegweisende Erklärungen zum Ausscheiden aus der Champions League findet er nach einem bitteren 2:1-Sieg gegen Atlético Madrid nicht. Das Hinspiel hatten die Spanier mit 1:0 gewonnen, das Auswärtstor bringt sie ins Finale. "Es tut sehr weh", sagt der Trainer. Weniger, weil er auch im dritten und letzten Anlauf mit dem FC Bayern im Halbfinale an einem spanischen Klub gescheitert ist, vielmehr, "weil es mir für die Spieler leid tut", wie er versichert. Dabei wischt er am Nasenflügel entlang — nicht nur für Hobby-Psychologen ein deutlicher Hinweis darauf, dass er zumindest nicht die volle Wahrheit sagt.

Er muss damit leben, dass seine Münchner Mission als gescheitert angesehen wird — trotz der zwei, bald drei Meisterschaften. Die Champions League, der wichtigste europäische Wettbewerb, ist von Anfang an das große Ziel. Für alle Beteiligten, nicht nur für die Klub-Manager, die Mannschaft oder die Öffentlichkeit, auch für Guardiola selbst. Das gibt er aber nicht zu. "Ich habe nur für die Spieler gearbeitet", beteuert der Katalane, "wenn ich den Spielern irgendetwas hinterlassen habe, bin ich glücklich." Pause. Nervöser Wischer über den Kopf. "Und ich war glücklich hier."

Guardiola hat das Kapitel München abgeschlossen, auch die Kraftprobe mit Borussia Dortmund im Pokalfinale spielt nach dem Halbfinale der Champions League keine Rolle mehr. Die allseitigen Beifallskundgebungen quittiert er mit süßsaurem Lächeln. Er hört gar nicht hin, als sein Atlético-Kollege Diego Simeone ganz tief in die Kiste der Lobpreisungen greift und behauptet: "Ich habe in der ersten Halbzeit gegen die beste Mannschaft in meiner Karriere gespielt. Es ist unfassbar, wie Bayern aufgetreten ist." Dabei passt diese Bemerkung genau ins Profil, das Guardiola seinem Fußballleben verordnet hat. Natürlich geht es ihm um Titel, um Erfolg. "Im Fußball zählen die Ergebnisse", sagt er. Gute Ergebnisse aber sind für ihn kein Selbstzweck, er ist kein Zyniker wie der Erzrivale José Mourinho, dem gleichgültig ist, mit welchem miesen Mittel Siege erreicht werden. Guardiola hat sich dem Ideal des Schönen verschrieben. Er ist der treuste Schüler des großen Johan Cruyff.

Der Holländer entwickelt mit seinem Trainer Rinus Michels in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren ein Spielsystem, in dem alle Akteure Angreifer und Verteidiger sind, das den Ballbesitz zum wichtigsten Mittel erklärt und das sein kleines Land zur führenden Fußballmacht erhebt. Cruyff und vor ihm Michels exportieren den "totalen Fußball" zum FC Barcelona, ein ganzer Klub lebt dieses System. Vor allem Guardiola, der Cruyffs spielerisches Gehirn auf dem Platz und als Trainer ein Jünger der Fußballdoktrin des Holländers wird.

Mit einer Detailversessenheit, die so manchen seiner Spieler an den Rand des Nervenzusammenbruchs befördert, übt Guardiola als Coach Laufwege, Raumaufteilung, Kombinationsvarianten. Zufrieden ist er nie. Alles kann immer noch besser sein, das Ideal ist manchmal nah (bei den Champions-League-Siegen mit Barcelona), aber es liegt in seinem Wesen, dass es unerreichbar bleibt. Das macht Guardiola zu schaffen, weil er die Grenzen nur schwer akzeptieren kann. Das lässt seine Eitelkeit nicht zu. Deshalb wirkt er oft mürrisch, grüblerisch, abwesend. Deshalb tobt er am Spielfeldrand, gestikuliert, redet in drei Sprachen gleichzeitig, schüttelt seine Spieler, umarmt sie, beschimpft sie und sinkt gleich darauf kraftlos auf die Bank zurück. Man glaubt ihm, dass Trainer sein anstrengend ist. Nach seinem Abschied von Barcelona nimmt er sich ein Sabbatjahr. So weit kommt es diesmal nicht, Guardiola geht auf die nächste Mission. Diesmal will er Manchester City zum perfekten Fußball führen — auch weil er dafür wohl weit über 20 Millionen Euro im Jahr verdienen soll. Da kann man schon mal auf ein Sabbatjahr verzichten.

Guardiola geht nicht als gebrochener Mann, obwohl er in den Stunden nach dem Ausscheiden ganz so aussieht. Er darf darauf verweisen, dass er viele Spieler weitergebracht hat. Und er hat Einfluss auf den deutschen Fußball genommen. Taktische Tüfteleien sind nicht mehr verpönt, schöner Fußball ist zu einem Wert geworden. Noch eher jedoch als Guardiola bemerkte ein anderer erklärter Anhänger des Schönen und Guten, dass es damit nicht getan ist. Bundestrainer Joachim Löw hat beim WM-Turnier 2014 bewiesen, dass er durchaus ein Interesse am nackten Ergebnis hat. Der Titelgewinn war auch eine Folge der Einsicht, dass es keine Noten für den künstlerischen Ausdruck gibt.

Guardiola hat ebenfalls gezeigt, dass er nicht nur die reine Lehre verfolgt. Er lässt Straßenkämpfer wie Arturo Vidal oder Franck Ribéry und den Fußball-Anarcho Thomas Müller spielen. Er hat seine Abneigung gegen das gelegentlich brachiale Mittel des Standards Eckball überwunden. Und er setzt die deutsche Wucht nicht mehr auf den Index. Ein wenig verzieht er dabei aber immer noch das Gesicht. Am liebsten wäre ihm die feine Kombination möglichst bis zur Torlinie. Und am allerliebsten der Titelgewinn mit solchen Mitteln. In der Champions League, versteht sich. Das wird noch ein Jahr dauern, mindestens. Vielleicht funktioniert das jenseits des FC Barcelona, dem diese Spielweise in die DNA verpflanzt ist, allerdings gar nicht. Dann bleibt Guardiola außerhalb Kataloniens ein Unvollendeter, der nach dem Ideal strebt, das er nicht erreichen kann. In München ist er auf hohem Niveau gescheitert. Immerhin in Schönheit.

(pet)
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