Marcel Reif im Interview "Es gibt Menschen, denen meine Art nicht gefällt"

An diesem Samstag beendet der Fußball-Kommentator nach 30 Jahren seine Karriere. Der umstrittene Grimme-Preisträger beklagt eine Verrohung der Sitten.

Die Hass-Tweets an Marcel Reif vorgelesen von Marcel Reif
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Die Hass-Tweets an Marcel Reif vorgelesen von Marcel Reif

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Foto: Screenshot Youtube

Es gibt wohl keinen Kommentator, an dem sich die Zuschauer-Gemüter so erhitzt haben wie an Marcel Reif (66). Für die Fans von Borussia Dortmund gilt er als Anhänger des FC Bayern, in München sieht man in ihm einen Schwarz-Gelben. Im Dortmunder Stadion wurde er sogar mit einem Bierbecher beworfen, die BVB-Ultras entschuldigten sich später bei ihm. Ob geliebt oder verachtet - eins ist der in Polen geborene Sportjournalist in jedem Fall: ein Kenner seines Fachs. Für die Moderation des "Torfalls" von Madrid 1998, als im Champions-League-Halbfinale zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund ein Pfosten brach, hat Reif mit Günther Jauch den Bayerischen Fernsehpreis erhalten. Seine Berichterstattung über die Fußball-WM 2002 wurde mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Heute Samstag (20.45 Uhr, Sky) endet Reifs Laufbahn am Mikrofon mit dem Champions-League-Endspiel in Mailand.

Herr Reif, im vergangenen Jahr wurden Sie tätlich angegriffen, von den ständigen Schmähungen in sozialen Netzwerken ganz zu schweigen. Haben Sie deshalb Ihren Vertrag bei Sky nicht verlängert?

Marcel Reif Nein, den Spaß an meiner Arbeit und am Fußball lasse ich mir so schnell nicht verderben. Aber in den vielen Jahren bei Sky hat sich eine gewisse Routine eingeschlichen. Deshalb habe ich einen Strich gemacht und lasse nun jüngere Kollegen nach vorn.

Nach zwei Vorfällen mit BVB-Fans sprachen Sie von einer "Eskalation von Hass". Gibt es eine Verrohung der Sitten in den Stadien, die nun auch die Sportreporter betrifft?

Reif Ich nutze die Gelegenheit gern, um klarzustellen, dass diese beiden Ereignisse singuläre Vorfälle waren, auf die das Dortmunder Fan-Umfeld sehr spektakulär reagiert hat. Das fand ich ziemlich honorig.

Aber hat sich das Klima insgesamt nicht geändert? Einige Trainer haben sich mehrfach äußerst arrogant gegenüber den Journalisten verhalten.

Reif Da ist was dran. Um nur ein Beispiel zu nennen: Pep Guardiola hat mit mir in seinen knapp drei Jahren als Trainer des FC Bayern nicht ein einziges Wort gewechselt. Das muss er natürlich auch nicht, aber es ist bezeichnend für eine gewisse Sprachlosigkeit. Ob der Respekt noch in ausreichendem Maß vorhanden ist, wage ich zu bezweifeln. Alle großen Clubs machen mittlerweile ihr eigenes Fernsehen; womöglich rührt die grassierende Unart, kritische Fragen als Blasphemie zu brandmarken, auch daher. Andererseits war früher bestimmt nicht alles besser, und ich mag auch nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen; wir Journalisten vergreifen uns ebenfalls mal im Ton oder fragen Dinge zu einem falschen Zeitpunkt.

Wie verhält es sich mit dem Ton in den sozialen Netzwerken?

Reif Da würde ich in der Tat von einer Verrohung der Sitten sprechen. Der ZDF-Kollege Béla Réthy verwendet in diesem Zusammenhang gern den Begriff "asoziale Medien". Das wäre mir zu pauschal, hat aber was. Ich weiß, dass diese Medien immer wichtiger werden, leiste mir aber den Luxus, sie zu ignorieren. Das ist für mich keine Form der Kommunikation; ich muss mich nicht mehr von jedem auf sein Niveau runterziehen lassen.

Was treibt Menschen dazu, solche Beleidigungen von sich zu geben?

Reif Die Netzwerke schaffen die Möglichkeit, sich auszukotzen. Offenbar erliegen manche der Versuchung, sich als anonymer Teil einer Masse dieses Kommunikationsinstrumentariums zu bedienen und sich gegenseitig hochzuschaukeln. Mein Sohn liest das alles für mich durch und macht mich aufmerksam, wenn irgendwelche Äußerungen justiziabel sind, und dann greife ich auch schon mal ein, aber den Rest lasse ich an mir abperlen.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich viele Zuschauer von Ihrer Art provoziert fühlen?

Reif Wer sich öffentlich äußert, weckt immer Widerspruch, und offenbar gibt es Menschen, denen meine Art nicht gefällt.

Nach Ihrem Wechsel in den Sport hat Franz Beckenbauer Sie abschätzig als "Zauberer" bezeichnet. Sie haben damals mit Ironie und Intellekt eine neue Farbe in den Fußballkommentar gebracht. Ist das auch ein Grund, warum Sie polarisieren?

Reif Ich habe mich nie als erstes oder letztes intellektuelles Bollwerk im Fußball gesehen, so viel Verantwortung würde ich auch gar nicht tragen wollen. Ich habe meinen Job so erledigt, wie ich es für richtig gehalten habe. Wenn das zur Folge hatte, dass mir Menschen gern zugehört haben, umso besser, aber ich bin damals nicht angetreten, um die Welt zu verändern.

T. GANGLOFF STELLTE DIE FRAGEN.

(RP)
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