Champions League Raus aus dem toten Winkel — warum der Videobeweis fehlt

Doping, Homosexualität, Videobeweis - der Fußball war schon immer gut im Totschweigen und Aussitzen. Dass zumindest der Videoassistent nach langem Anlauf endgültig im populärsten Sport des Planeten angekommen ist, zeigt sich in der Champions League. Weil er dort fehlt.

BVB: Tor von Pierre-Emerick Aubameyang zu Unrecht aberkannt
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Aubameyangs Treffer zu Unrecht aberkannt

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Foto: rtr, tj

Fußball ist konservativ. 2017 gibt es kaum einen Ort im öffentlichen Raum, an dem Tradition und Brauchtum noch so unverdächtig gelebt und bis aufs Messer verteidigt werden. Schon als vor einem Jahr das Freistoßspray auf breiter Front Einzug in die Gürteltaschen der Bundesliga-Schiedsrichter hielt, fürchteten viele Fußball-Traditionalisten, dass die grauen Herren von Fifa und Uefa die DNA ihres geliebten Sports noch ein wenig mehr verwässern würden. Inzwischen hat sich die Neuerung als ziemlich immun gegenüber allen Rasierschaum-Witzeleien erwiesen und ist nurmehr das, als was sie von vornherein gedacht war: ein nützliches Werkzeug.

In einer Branche, die mit solchen vermeintlichen Nebensächlichkeiten halbe Sommerlöcher zu stopfen weiß, ist die Einführung des Videobeweises nicht weniger als eine Zeitenwende. Etwa seit der späten Kreidezeit, intensiver seit Erfindung der Farbfernsehens diskutieren Fans, Spieler und Entscheidungsträger das Für und Wider der Videoüberwachung auf öffentlichen Fußballplätzen. Man bekommt einen Eindruck davon, wie verhärtet die Fronten sind, wenn man bedenkt, dass es bereits vor über 30 Jahren praktische Versuche gab. Die Bilder von damals unterscheiden sich kaum von den heutigen Videokabinen und Schiedsrichtern, die verkniffen auf ihr Knopf im Ohr drücken.

Damals wie heute fremdelt der Fußball mit einer Technologie, die in anderen Sportarten längst Usus ist. Weder der mitunter chaotische Confed Cup noch die ersten Wochen der Testphase in der Bundesliga haben aber zu einem Konsens auf breiter Front geführt. Noch immer geben Bedenkenträger strittige Entscheidungen zu bedenken und befürchten gleichzeitig Themenarmut an deutschen Stammtischen, wenn Schiedsrichter künftig weniger Fehler machen.

Tatsächlich sind in der Zwischenzeit schon etliche Fehlentscheidungen verhindert worden. Als Stuttgarts Orel Mangala am vergangenen Sonntag den Schalker Amine Harit nach weniger als fünf Minuten im Strafraum traf, hätte Schiedsrichter Frank Willenborg instinktiv weiterspielen lassen. Erst das Videostudium brachte Königsblau einen Strafstoß und die frühe Führung. Ob ohne diese Entscheidung drei Punkte herausgesprungen wären, bleibt freilich der Fantasie überlassen. Ähnliche Szenen sind aber in Zukunft Alltag und können in der Summe tektonische Verschiebungen der Bundesliga-Tabelle nach sich ziehen.

Wie bei allen Errungenschaften lernt man erst richtig zu schätzen, was man hat, wenn es plötzlich nicht mehr da ist. Zwar dürfte grundsätzlich allen Protagonisten bekannt gewesen sein, dass der Videobeweis in der Bundesliga nicht mehr als ein großer Test ist. In der Champions League dagegen wird noch ganz nach alter Väter Sitte gebolzt. Dass es Borussia Dortmund am Mittwochabend gleich mit solcher Wucht zu spüren bekommen würde, damit hätte aber wohl niemand gerechnet. Einem Gegentreffer von Harry Kane ging ein Foulspiel des Torschützen voraus, dem regulären Ausgleichstreffer von Pierre-Emerick Aubameyang verweigerte der Schiedsrichter die Anerkennung. Beide Szenen wären mit Hilfe des Videobeweises einfach zu entlarven gewesen. Auch wenn sich die Dortmunder im Nachgang noch recht zurückhaltend äußerten, war das Hätte-Wäre-Wenn doch unvermeidlich. Manager Michael Zorc konnte nicht mehr an sich halten und polterte: "Der Schiedsrichter hatte leider nicht das Niveau dieser Spielpaarung. Wenn auf solch einem Niveau Fehlentscheidungen getroffen werden, ist es schwer, das Spiel am Ende noch zu drehen."

Was Zorc nicht sagte: Trotz technischer Pannen, mitunter elend langen Entscheidungswegen und schrecklich viel Innovation hat sich der Videobeweis im Fußball bereits bewährt. Dass gerade im Millionenspiel Champions League auf dieses Hilfsmittel verzichtet wird, ist niemandem mehr glaubhaft zu machen. Schon im nächsten Herbst wird nach allen Regeln der Vernunft auch in der Königsklasse der Videoassistent Einzug halten. Der Sportart Fußball, der sich derzeit ganz anderen Gefahren ausgesetzt sieht, wird das am wenigsten schaden.

(ak)
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