MSV-Profi Hajri Der Weltenbummler

Duisburg · MSV-Profi Enis Hajri hat auch in Bulgarien, China und Tunesien gespielt. Seine Familie hat davon finanziell profitiert, musste aber auch Entbehrungen hinnehmen. Es ist das Los eines Profis, der nicht zu den Topverdienern der Branche zählt.

 Enis Hajri jubelt im Mai 2015 über sein Tor gegen Holstein Kiel.

Enis Hajri jubelt im Mai 2015 über sein Tor gegen Holstein Kiel.

Foto: dpa, rwe hak

Im Sommer 2013 wechselt Enis Hajri vom 1. FC Kaiserslautern zum FC Homburg. Von der 2. Bundesliga in die viertklassige Regionalliga. Ein Karriereknick, schwarz auf weiß in seiner Transferhistorie hinterlegt. "Das 'Warum' interessiert keinen", sagt Hajri. "Die schauen nur auf deine Vita und sagen: Der war in der vierten Liga, den holen wir nicht." Mittlerweile spielt der zweifache Vater für den MSV Duisburg in der 3. Liga. Der Deutsch-Tunesier ist 33 Jahre alt und seit 2004 im Fußballgeschäft unterwegs. Er steht exemplarisch für das Gros der Profifußballer, bei denen es nicht darum geht, ob nun Real Madrid oder Bayern München das Millionengehalt überweist. Enis Hajris bewegte Geschichte zeigt, dass dieses "Warum" neben sportlichen Kriterien stark von der Familienplanung und auch von finanziellen Überlegungen abhängig ist. Jetzt, wenn die aktive Karriere allmählich dem Ende entgegengeht, schaut Hajri häufiger mal auf seine Entscheidungen zurück. "Meine Frau steht bei mir ganz weit oben im Kurs, weil sie das alles mitgemacht hat", sagt er.

Kamilla Hajri hat keine Ahnung, worauf sie sich einlässt, als sie ihren zukünftigen Mann im Jahr 2000 kennenlernt. Sie nehmen sich eine Wohnung in Stuttgart, Bad Cannstatt. Kamilla verdient ihr Geld als Reiseverkehrskaufrau, Enis spielt Fußball. Erst in Mannheim, dann in Aachen, Weiden und Oggersheim. An den jeweiligen Orten mietet sich Enis Hajri ein zweites Domizil. "Am Wochenende wurde gependelt. Entweder kam sie zum Spiel oder ich bin in die Heimat gefahren." Klar, unter der Woche sei es "nicht so prickelnd" gewesen, ohne Freundin, Familie oder Freunde in einer fremden Stadt zu wohnen. "Da waren aber noch keine Kinder da, da war das alles noch halb so wild. Richtig los ging es, als ich nach Bulgarien gewechselt bin", erklärt Hajri.

2009 übernehmen die ehemaligen Stuttgarter Profis Fredi Bobic und Krassimir Balakov das Zepter bei Chernomorets Burgas. Plötzlich ist die Distanz nicht mehr auf eine zweistündige Autofahrt begrenzt, jetzt geht es um Flugdistanzen. "Gott sei Dank gab es einen Direktflug von Burgas nach Stuttgart", betont Hajri. Allerdings sind die Treffen mit Kamilla nicht mehr so regelmäßig. Internettelefonie ersetzt den persönlichen Kontakt — eine suboptimale Lösung. "Man ist müde vom Alltag, hat nicht jeden Abend Lust, zu telefonieren, sich zwei Stunden alles zu erzählen", beschreibt Hajri. "Richtig schwierig wurde es, als Kamilla in der Winterpause schwanger wurde. Ich konnte die neun Monate nicht bei ihr sei. Sie war schwanger und alleine zu Hause." Schwangerschaftskurse, Frauenarzttermine und Ultraschallbilder — all das bekommt Hajri nur über das Smartphone mit.

Hajri verpasst Geburt seiner Tochter

Und die Geburt verpasst er auch. "Der Trainer hat gesagt, du kannst rüberfliegen, aber wir spielen morgen. Wir sind dein Arbeitgeber und wollen, dass du spielst. Dafür kannst du nach dem Spiel für eine Woche nach Hause fliegen", erzählt Hajri. Gewissensbisse plagen ihn. "Zum damaligen Zeitpunkt wollte ich unbedingt dabei sein, aber im Nachhinein finde ich es nicht tragisch. Es ist meine Arbeit. Wenn dein Arbeitgeber sagt, du musst arbeiten, ist das Teil unseres Geschäftes. Wir verdienen damit unser Geld. Das ist die weniger prickelnde Seite des Fußballgeschäfts. Da musst du dich für die Mannschaft opfern. Ich habe mir geschworen, dass ich beim zweiten Kind da sein werde." Am Ende verbucht Hajri die Zeit in Bulgarien aber als tolles Erlebnis. Kamilla und Töchterchen Emilya ziehen nach Burgas, zusammen lebt die Familie Hajri noch zwei Jahre mit Blick aufs Schwarze Meer.

Auch sportlich läuft es in Bulgarien. Hajri wird zweimal in Folge zum Spieler des Jahres gewählt. Werder Bremen klopft an. Plötzlich ist auch die Möglichkeit da, in die Heimat zurückzukehren. Unter Bruno Labbadia trainiert Hajri zwei Wochen beim VfB Stuttgart mit. Der Wechselwunsch scheitert aber an der Ablöseforderung Burgas'. Es gibt nämlich einen Verein, der für den damals 28-Jährigen mehr bietet: HN Jianye aus China. "Ich habe mit meiner Frau gesprochen, die hat sofort gesagt: Nein, ich komme nicht mit!" Enis Hajri fliegt dennoch ins Reich der Mitte, schaut sich die Gegebenheiten vor Ort an und kehrt begeistert zurück. "Ich hätte es nicht gemacht, trotz des Geldes, wenn ich gemerkt hätte, dass ich nicht hinter der Entscheidung stehen kann", sagt Hajri, der aber nicht verhehlt, dass die Finanzen einen mitentscheidenden Faktor darstellen: "Ich wusste, ich mache keine 500 Bundesligaspiele mehr, also musst du schauen, dass die Familie später von deinen Entscheidungen profitiert."

Zehn Monate in China

Also ziehen die Hajris 2012 nach China. Der Profi spricht auch hier von einer "insgesamt schönen Zeit", man merkt ihm aber an, dass ein längerer Aufenthalt als die zehn Monate nicht möglich gewesen wären. Die Sprachbarriere ist das größte Hindernis. "Wenn ich ins Taxi eingestiegen bin, habe ich unseren Übersetzer angerufen, der hat dem Fahrer gesagt, wo ich hin will. Schlussendlich hat der Verein uns Spielern einen englischsprachigen Fahrer gestellt", erzählt Hajri. Die asiatische Küche ist für die Hajris hingegen kein Problem. "Ich habe mit Brasilianern und Argentiniern zusammengespielt, da haben die Frauen gesagt: Hier bleiben wir nicht, das Essen ist nichts für uns."

Bei den Hajris kündigt sich der Abschied an, als Emilya mit hohem Fieber krank wird. "Meine Frau hatte große Angst. Wegen der Sprachbarriere konnte der Arzt ihr nicht mal erklären, was die Kleine hat. Du kannst die Packungsbeilage nicht lesen und weißt gar nicht, was du deinem Kind da gibst", beschreibt Hajri und nimmt schließlich ein Angebot des gerade abgestiegenen Zweitligisten Kaiserslautern an. "Meine Frau hatte gesagt: Ich habe dich nie um etwas gebeten, habe mich nie in deinen Fußball eingemischt, aber das würde mich sehr glücklich machen."

Für das Angebot in Kaiserslautern spricht auch die Vertragslänge von drei Jahren. In Fußballerkreisen ein "langfristiges Engagement". "Die Kleine war zweieinhalb Jahre alt, dann war auch die Frage: Bleibe ich in China und sie verpasst ein Jahr im Kindergarten oder kehre ich zurück. So war klar: Ich unterschreibe in Lautern für drei Jahre, dann ist sie im Kindergarten auf jeden Fall an einem Ort", sagt Hajri. Doch so einfach wird es nicht. Kaiserslautern verpasst in der ersten Saison den direkten Wiederaufstieg, will den Kader umbauen und nach einem Jahr wird Hajri nahegelegt, sich einen anderen Verein zu suchen. "Und dann ging das Ganze wieder los", sagt Hajri. "Eigentlich bist du glücklich, warst ein Jahr da, hast ein Häuschen und die Kleine ist im Kindergarten."

Aus Sorge zurück nach Deutschland

In dieser Phase flattert ein Angebot aus der tunesischen Heimat ins Haus. Hajri entscheidet sich, auf Leihbasis zum CS Sfaxien zu wechseln. Die Familie soll in Deutschland bleiben. "Ich bin hingeflogen, es war alles super, aber innerhalb von anderthalb Monaten hat sich die politische Lage brutal verändert. Da war ein Anschlag. Chaos ist ausgebrochen." Kamilla Hajri ist zu dieser Zeit ein zweites Mal schwanger, kann in Deutschland aus Sorge um ihren Mann nicht mehr schlafen. "Mir blieb nichts anderes übrig, ich musste zurück", erzählt Enis Hajri. "Das war nicht einfach, ich musste finanziell auf alles verzichten."

Für Kaiserslautern darf er in dieser Saison aufgrund der Transferrichtlinien nicht mehr auflaufen — auch nicht für einen anderen Verein in den ersten drei Ligen. Hajri spricht mit Lauterns Vorstandsvorsitzendem Stefan Kuntz. Zusammen mit einem Werbepartner kommt die Idee zur Ausleihe nach Homburg. "Finanziell war es mir egal, ich wollte einfach nur spielen. Für mich war klar, ich werde nicht mehr umziehen", sagt Hajri, der daraufhin nur 40 Kilometer von seiner Familie entfernt spielen kann. "Es war nicht das höchste Niveau, aber ich war einfach glücklich, dass ich wieder zuhause bin. Das war der Hauptpunkt. Viele haben gesagt, du machst deine Karriere kaputt. Das alles war dann aber plötzlich nicht mehr wichtig. Es gibt Wichtigeres als Fußball. Da muss man auch mal zurückstecken." Das Wichtigste für ihn: Er erlebte die Geburt seiner zweiten Tochter Anisa hautnah mit. "Ich konnte alles einlösen, was ich mir vorgenommen hatte."

Seit 2014 in Duisburg

Mittlerweile sind die Hajris nach Duisburg gezogen. Seit 2014 spielt Enis für den MSV, stieg mit ihm in die zweite Liga auf und wieder in die dritte ab. Sein Vertrag läuft bis 2018. Dann ist er 35 Jahre alt. "Ich will so lange spielen wie möglich. Später kann ich mir sehr gut vorstellen, hier zu bleiben. Wenn mich der Verein integrieren will". sagt Hajri. Sein finanzielles Polster reicht dafür, dass er in Ruhe die Karriere nach der Karriere angehen kann. Ausgesorgt hat er jedoch nicht.

Dem Fußball will Hajri in irgendeiner Funktion erhalten bleiben. "Das Business ist verrückt, aber schön. Du kannst von heute auf morgen eine riesige Nummer sein, aber von heute auf morgen auch ein Niemand", sagt Hajri. Der größte Wunsch seiner Frau Kamilla ist es, ein festes Zuhause zu finden. Am liebsten in der Heimat Stuttgart. "Den Gedanken muss ich ihr aber nehmen. Es wird wohl wieder dazu kommen, dass ich für einen Verein arbeiten werde. Am liebsten für den MSV, aber es kann eben auch wieder sonstwohin gehen."

(erer)
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