China statt Chiemgau: Dettmar Cramer feiert 75. im "Reich der Mitte"

Qinghuangdao/München (dpa). Andere denken über die "Rente mit 60" nach, er hat mit 75 noch nicht genug. Statt im beschaulichen Reit im Winkl in den bayrischen Alpen feiert Dettmar Cramer seinen 75. Geburtstag am Dienstag in der chinesischen Stadt Qinghuangdao, sechs Autostunden nordöstlich von Peking. Dort, wo früher die chinesischen Kaiser ihre Sommerresidenz hatten, hat er bis Ende Oktober das Sagen. Der Fußball-Professor bildet dort von morgens acht bis abends um neun im Auftrag des Weltfußball-Verbandes (FIFA) Trainer aus.

Nach einem Dreivierteljahrhundert einmal kürzer zu treten, daran hat Dettmar Cramer nie ernsthaft gedacht. "Das habe ich ein paar Mal versucht, aber meist hing nach einem Vierteljahr der Haussegen schief. Mit Bergwandern und Tennis spielen allein kam ich nicht zurecht. Es ist immer weiter gegangen, ich muss das haben", sagt der Mann, den seine Trainer-Tätigkeit in mehr als 90 Länder der Erde führte und der in allen Kontinenten große Wertschätzung genießt.

Eigentlich wollte Weltenbummler Cramer Sportmediziner werden, doch als er mit 16 Sepp Herberger kennen lernte, war der Weg zum Trainer vorgezeichnet. "Für mich ist es keine Frage, dass Sepp der beste Trainer überhaupt war. Dieses gerüttelt Maß an Erfahrung hat vor und nach ihm keiner erreicht", zollt Cramer seinem Mentor im Gespräch mit der dpa noch heute größten Respekt. Dass nicht er, sondern Helmut Schön 1964 Herbergers Nachfolger wurde, hat ihn nicht getroffen. "Das ist in der Öffentlichkeit falsch dargestellt worden. Es gab zwischen Schön und mir eine Absprache, dass ich nicht gegen ihn kandieren würde. Herberger hat seinen Nachfolger Schön selbst bestimmt, das ist alles ordnungsgemäß verlaufen."

Statt die Nationalmannschaft zu trainieren, reiste Cramer von 1967 an für die FIFA um den Globus. Im Januar 1975 übernahm er das Traineramt beim FC Bayern München und gewann zwei Mal den Europapokal der Landesmeister sowie den Weltpokal. "Es war natürlich meine schönste Zeit als Trainer. Gut, dass Präsident Neuberger nicht wusste, wie leicht es war, diese Mannschaft zu trainieren, sonst hätte er mich am Ende nicht mehr bezahlt. Mit ihr zusammen zu arbeiten, war ein Geschenk des Himmels, es gab nie disziplinarische Schwierigkeiten", erinnert sich der 1,65 m große Cramer, der von Sepp Maier einmal despektierlich "laufender Meter" genannt wurde. Zu Franz Beckenbauer pflegt Cramer, dem es nie vergönnt war, einen deutschen Meistertitel zu erringen, ebenso engen Kontakt wie zu Fritz Walter. "Wenn der Franz und ich zusammen sind, dann senden und empfangen wir auf derselben Wellenlänge."

Die Ausweitung der Champions League von 24 auf 32 Mannschaften sieht Cramer kritisch: "Was zu viel ist, ist zu viel." Generell sieht er aber den Fußball nicht auf dem falschen Weg. "Klar, es gibt im Moment zu viele Spiele, es gibt im Durchschnitt zu viel Geld. Alles das wird sich einpendeln. Der Fußball hat schon andere Sorgen gemeistert, denken Sie nur an den Bundesliga-Skandal." An eine künftige Kräfteverschiebung hin zum afrikanischen Fußball glaubt Dettmar Cramer nicht, "weil die politischen, organisatorischen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch zu unstabil sind".

Beim Blick zurück ist Cramer mit sich und der Welt im Reinen. "Ich würde alles noch einmal ganz genau so machen", sagt er, ohne lang zu überlegen, und verrät auch sein Motto, unter das er sein Wirken stellt: "Wer hart genug gegen sich selbst ist, wird selten versagen." Die mehr als 2 500 Jahre alte Weisheit des Konfuzius hat es Cramer angetan: "Ich glaube, dass es darauf ankommt im Leben: Auf Selbstdisziplin."

(RPO Archiv)
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